Kapitel 62

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Wo viel Gefühl ist, ist auch viel Leid.


Ich keuchte auf. »Scheiße!«, hauchte ich mit schmerzverzerrtem Gesicht und knickte weg. Sofort fiel ich auf die Knie und sah mich erschrocken um. Die Männer, die mich beschützen sollten und zu Rivers Rudel gehörten, wandten sich suchend zu mir. Sie blickten ebenso eilig hin und her, in der Hoffnung jemanden zu entdecken. Einer suchte die Bäume ab, der andere kam zu mir geeilt, doch dann noch ein Zischen. Er stockte, blickte mich an und hauchte: »Renn weg! Los! Verschwinde!« Dann fiel er auch schon wie ein nasser Sack auf den Boden. Er war auf der Stelle tot.

Scheiße. Fuck. Was war los? Und sofort dachte ich an Jonathan. Ein Pfeil ragte aus dem Rücken des Mannes, als mein Blick zu dem leblosen Körper vor mir glitt. Die Spitze traf ihn mitten ins Herz. Der andere schien ebenso verletzt zu sein. Auf der Stelle nahm ich schließlich meine Beine in die Hand und eilte den kleinen Weg weiter, da ich schleunigst verschwinden sollte. Ich musste in das andere Rudelhaus. Sofort. Dort waren immerhin auch Männer, die Frauen und Kinder beschützten, doch so weit kam ich gar nicht, denn vor mir tauchte ein nur allzu bekanntes Gesicht auf.

»Shane!«, hauchte ich, taumelte nach hinten und begann unvermittelt quer durch die Sträucher zu hetzten. Diese Nacht hatte es etwas geregnet. Es war feucht und somit auch ziemlich schnell meine Klamotten. Ich eilte trotz dessen weiter. Keine Ahnung, in welche Richtung. Hauptsache von ihm weg. Keinen Plan, wo ich mich urplötzlich befand. Ich musste mich nur so schnell wie möglich vom Acker machen, bevor er mich in die Finger bekam, aber irgendwie wusste ich schon, dass es nichts nützte.

Aufgeregt schaute ich immer wieder in jede Richtung, bis ich schlagartig stoppte und ich über Moos schlitterte. Es war mir gar keiner gefolgt, oder doch? Deswegen blieb ich prompt stehen und überlegte kurz, ob ich nicht einfach wieder zurück sollte. Außerdem wunderte ich mich darüber, wie ich mit diesem Pfeil in der Wade überhaupt rennen konnte, aber womöglich schien es das Adrenalin zu sein, was meinen Körper überschwemmte und ich war mehr als froh, dass es funktionierte.

Unverhofft zerriss plötzlich ein Heulen die Stille. Ich wusste sofort, wer es war. Duncan. Er klang gequält und ängstlich. Scheiße, Heaven. Wo bist du?, hörte ich ihn kurz darauf in meinem Kopf, wollte gerade antworten, aber ich wurde augenblicklich von hinten gepackt und herumgerissen. Es waren Shanes Hände, die mich umschlangen. Er war doch nicht verschwunden. Und ich wahrscheinlich einfach bloß zu leichtsinnig. Wäre ja auch zu schön gewesen. »Na, hast du mich vermisst, Babe?«, raunte es an meinem Ohr und ein Schauer jagte mir über den Rücken. »Lass mich los!«, knurrte ich, aber er tat nichts dergleichen. Sein Griff wurde bloß noch fester. 

»Bitte!«, hauchte ich und probierte es nun auf diese Art und Weise, doch es war klar, dass er sich niemals erweichen ließ. »Da du nicht freiwillig zu uns kommst, werde ich dich halt holen! Jetzt bin ich da und du wirst mit mir kommen. Freust du dich schon?« Am liebsten hätte ich gebrüllt, aber das brachte eh nichts. Als ich unverhofft von der einen auf die andere Sekunde Pfotenschläge hörte, erkannte ich kurz darauf hellgraues, fast weißes Fell im Dickicht. Shane hob sofort den Kopf, formte seine Augen zu Schlitzen und riss mich hart herum. »Vergiss es. Du kommst mit!« und ich wurde blitzartig nach oben über seine Schulter geschmissen. Allerdings wehrte ich mich vehement. Das brachte leider reichlich wenig, doch ich ließ mich nicht unterkriegen. Ich musste irgendwie schaffen zu entkommen.

Binnen weniger Sekunden spürte ich aber urplötzlich einen Stich an meinem Hals. Es war nicht Shane, sondern ein Unbekannter, der unverhofft neben uns auftauchte. Mit einem Schlag wurde mir extrem komisch. Meine Gedanken schweiften auf der Stelle ab und meine Glieder wurden ziemlich schwer. Ich schaffte es nicht mehr, mich zu wehren. Mein Zappeln verebbte und meine Arme und Beine hingen kurz daraufhin schlaff nach unten. Die Lider bloß noch halb geöffnet. Ich bemerkte nur noch wie mich Shane anders auf seiner Schulter positionierte, damit ich nicht herunterrutschte. 

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt