Kapitel 85

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Nur durch die Hoffnung bleibt alles bereit, immer wieder neu zu beginnen. 


Dichte Rauchnebelschwaden durchzogen den mit trockenen Nadeln besetzten dichten Wald. Immer wieder strömte dadurch sauerstoffarme Luft in meinen Rachen und ließ mich husten. Mir war so schon extrem übel, doch dadurch wurde es noch schlimmer. Tausend Dinge begannen mir durch den Kopf zu gehen. Ob es nun unser Ende war... Ob wir das alles wirklich verdienten... Und vor allem: Gewinnt das Böse? Wir waren in keinem Märchen, was ich mir in diesem Moment eindeutig wünschte. Jedoch mussten wir der Tatsache ins Auge blicken. Wir konnten nicht bloß das Schicksal auf uns zukommen lassen, sondern mussten uns dagegen wehren. Aber wie nur?

Eine Flucht schien in diesem Moment aussichtslos. Wie River überhaupt nur so ruhig bleiben konnte, war mir unbegreiflich. Ich spürte zwar klar und deutlich, dass es auch nicht spurlos an ihm vorbeiging, aber mit dem Wissen, dass man uns umbringen wollte, wäre ich an seiner Stelle komplett verzweifelt. Womöglich sah es bei ihm im Inneren auch so aus. Zwar spürte ich seine Empfindungen, trotzdem hatte er schon immer einen Frevel dafür diese zu verbergen. Trotz dessen war das ganz gut, da wenigstens einer einen kühlen Kopf behielt.

Wenn man daran dachte, dass ich selbst ein eigenes Rudel haben könnte, war ich mir gar nicht sicher, ob ich das jemals bewältigte, auch wenn ich dazu sicher im Stande wäre. Ich schluckte, nahm eine Hand von Rivers Fell und rieb mir über die Augen. Der Nebel des Feuers brannte mittlerweile extrem und ich sah die anderen Wölfe, die uns begleiteten, nur noch schemenhaft. Sie hatten ebenso zu tun. Immerhin waren wir nicht nur Tiere, sondern auch Menschen und beiden Arten lag es in der Natur, bei so etwas die Flucht zu ergreifen.

Mittlerweile stieg auch die Temperatur ziemlich um uns herum an, was mich echt ins Schwitzen brachte. Was, wenn wir wirklich nicht hier herauskommen? Dieser Gedanke machte mich krank. Ich wollte nicht am lebendigen Leibe verbrennen. Schon die Vorstellung war verdammt grausam. Ich vergrub mich wieder mit beiden Händen fest in Dans Nackenfell, wobei ich bemerkte, dass es ihn beruhigte und er auf Anhieb noch mehr zulegte. Das Problem war bloß: Wohin sollen wir rennen? Es gab nicht viele Möglichkeiten und mir kam es vor, als eilten wir stetig näher zu den geschlängelten Flammen, obwohl das definitiv nicht passieren durfte. Wenn mein Vater den Wald anzündete, hatte er auf alle Fälle etwas vor. Ich war mir auch ziemlich sicher, dass er mich nicht draufgehen ließ. 

Also behielt er etwas in der Hinterhand, um mich rechtzeitig herauszuholen. Möglicherweise beobachtete er uns sogar. Kurz überlegte ich, dass vielleicht doch nicht bloß diese dunkelhaarige Frau ein Maulwurf gewesen war, sondern noch jemand anderes, aber das war schwer zu deuten. Immerhin traute ich das niemandem von uns zu. Das passte nicht. Doch komisch war es schon, dass wir nicht unbemerkt in den Wald gehen konnten, obwohl River einige Männer dazu beauftragte sich zu positionieren, um keinen Menschen oder Wolf durchzulassen.

Was ich weiterhin dazu denken sollte, wusste ich nicht. Nichtsdestotrotz war der Gedanke auf Anhieb verschwunden, als ich bemerkte, dass es mich ablenkte und ich fast noch in einer scharfen Rechtskurve von Duncans Rücken segelte. Augenblicklich knurrte er laut auf und warf den Kopf in den Nacken. »Kannst du dich mal am Riemen reißen? Es ist keinem von uns geholfen, wenn wir dich hier verlieren!«, nahm ich ihn in meinem Kopf wahr. Er wusste, dass ich in der letzten Zeit ständig nachdachte. Wenn man es genau nahm, dann kannte er mich fast nur so, weil sich mein Leben in dieser Stadt komplett änderte. 

Ich fühlte auch genau, dass er immer unruhiger wurde. Gerade da momentan alles aus dem Ruder lief. Die Flammen kamen ebenso stetig näher. Ich spürte schon klar und deutlich die Hitze, die mich fast umbrachte, aber die war nicht so schlimm, wie der Rauch, der sich zu einem dichten Nebel durch den Nadelwald einen Weg bahne. Immer wieder hörte man ein undurchdringbares Knurren. Das Rudel schien am liebsten komplett auszurasten, aber jeder folgte brav River. Sie begleiteten ihn mit Sicherheit auch in den Tod. Egal was es kostete. Schwer schluckte ich das ekelerregende Gefühl meiner Magensäure herunter, die mir durch das Schütteln des Wolfes unter mir; immer wieder in den Mund drang. 

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt