White Moon - Kiss of the Wolf

Kapitel 84

Wenn einer keine Angst hat, dann hat er keine Phantasie. 

Mein Kopf zuckte nach rechts, wobei ich auch schon ein Geräusch wahrnehmen konnte. Erst war es nicht zuzuordnen. Es klang eher so, als streifte jemand durch die Büsche und den hohen Farn, doch es war anders. Kurz schloss ich die Augen. Ich wusste selbst nicht warum. Entweder lag es daran, dass ich mich einfach bloß richtig auf meine Umgebung konzentrieren wollte und somit mehr spürte... Doch es war, wenn ich es ehrlich nahm, gelogen. Eigentlich lag es nur daran, dass ich wirklich Schiss hatte. Bisher war mir das alles noch gar nicht so bewusst geworden, aber nach und nach bekam ich wirklich eine extreme Angst vor meinem Vater.

Er tötete meine Mutter ohne mit der Wimper zu zucken, die nun unter mir in der Erde lag. Er war mehr als nur ein Monster. Staubtrocken wurde meine Kehle und unwillkürlich hob ich meine Hand, um diese mit meinen Fingern zu umklammern. Manchmal gab es Momente, in denen es mich echt ankotzte. Nun, da ich wusste, dass ich kein wirklicher Mensch war und eigentlich die Kraft besaß alles und jeden niederzumetzeln, benahm ich mich wie eine Heulsuse.

Das elende Gefühl der Angst, wollte sich nicht von mir schieben lassen und lähmte mich. Ich probierte irgendwie meine Wölfin zu erreichen. Sie war aufmerksam, ließ mich wahrscheinlich noch etwas klar denken, wobei ich sicherlich sonst komplett den Verstand verloren hätte. Erneut suchte ich Duncans Augen, der nun bewegungsunfähig am Fleck verweilte. Er wirkte fast wie eine Statue und nicht mehr wirklich lebendig. Seine komplette Aufmerksam galt der Umgebung. Trotzdem konnte ich mir sicher sein, dass er auf mich achtete.

Viola hingegen rutschte etwas weiter zu mir, sodass ich ihren stockenden Atem an meinem Genick spürte. »Scheiße!«, wisperte sie. »Wir müssen verschwinden«, doch niemand achtete auf ihre leisen Worte. Auch nicht ich, als ich probierte mein Zittern unter Kontrolle zu kriegen. Unverhofft herrschte nun eine eisige Stille über dem Wald. Zumindest dort, wo wir uns befanden. Es war schon fast verwirrend, weil es nicht passte.

Die Vögel, die man zuvor zwitschern hörte, schienen komplett verstummt zu sein. Somit verlor ich nur noch mehr den Halt, aber River konnte mich in dem Moment auch nicht herunterbringen und prompt kamen einzelne Wölfe aus dem Gestrüpp. Einige kannte ich und deswegen war mir auch auf Anhieb klar, dass sie zu uns gehörten, aber das beruhigte mich ebenso nicht. Ganz im Gegenteil. Die Körpersprache jedes Einzelnen war definitiv sogar für einen Laien einzuschätzen. Die Nackenhaare gesträubt und unverkennbar nach oben gerichtet. Die Zähne gefletscht und scharfe gebleckte Fänge, die einen noch mehr erschreckten. Sie schritten rückwärts. Auf uns zu. Irgendetwas musste im Verborgenen sein und es war nicht nur Jonathan allein. 

Mit einer einzigen Handbewegung hörte ich, wie Dan mich zu sich dirigierte. Ohne zu zögern stand ich auf und setzte mich in Bewegung. Meine Schwester folgte mir selbstverständlich auf dem Fuß. Sie hatte noch mehr Angst und als wir ankamen, stellte sie sich gleich an Joshs Seite. Er legte vertraut seinen Arm um ihre Schulter und versuchte sie somit zu beruhigen, wobei er ebenso aufmerksam seinen Blick durch die Bäume streifen ließ. Nun dämmerte es schon und durch den mangelnden Lichteinfall, erkannte man das unnatürlich leuchtende Braun seiner Iris. Auch Rivers Augenfarbe hatte sich verändert. Der Wolf in ihm schob sich stetig nach vorn und versuchte verbissen jemanden auszumachen. Da ich jedoch auch wusste, dass wir eigentlich hätten etwas mehr sein müssen, irritierte mich das schon etwas.

Plötzlich spürte ich neben mir etwas Weiches. Garys braunes Fell streifte mir leicht über den Handrücken. Er war extrem groß. Zwar nicht wie River, doch er überragte locker einen normalen Wolf um das Dreifache. Ich konnte nicht anders und auch wenn mein Mate damit ein Problem hatte, musste ich meine Finger in diesem dichten Haar vergraben. Es gab mir noch etwas mehr Sicherheit links und rechts jemanden bei mir zu wissen.