Kapitel 55

3.3K 189 19
                                    

video lupum - ich sehe den Wolf 


Ich rammte mit der Faust gegen die harten Gitterstäbe und schlug mir durch die wiederholenden Bewegungen die Fingerknöchel blutig. »Ich will raus. Sofort!«, kreischte ich hasserfüllt. Ich hielt diese Qualen nicht mehr aus und meine Wut darauf wuchs stetig mehr. Ich schaffte das nicht. Das ging nicht. Niemand ertrug so etwas. Es war kurz vor Mitternacht und der Mond fast vollkommen rund. Allerdings konnte ich ihn kaum noch erkennen, da sich immer wieder dicke Wolken davorschoben, doch ich bemerkte nach und nach, dass sie sich stückchenweise lichteten. 

Ich stand kurz vor meiner Verwandlung, doch wirklich darauf konzentrieren konnte ich mich auch nicht, weil der Zorn, hier in diesem Käfig zu hocken, extremer wurde. Da aber jeder hier im Raum nur noch meine Aggressivität steigerte, wurde ich komplett alleingelassen. Erst war Duncan bei mir im Käfig, bis ich ihn mit meinen Ausrastern wehtat. Auch wenn ich es nicht wollte und es mir total leidtat, machte mein Körper, was er wollte. Ich holte aus, stieß jeden von mir. Natürlich nahm er sich das nicht an, aber ich spürte, dass es ihn irgendwo verletzte und das machte mich bloß noch verrückter.

Dann saß er vor dem Käfig an der Wand und wachte dort über mich. Seinen Kopf vergrub er in seinen Händen, verzweifelte mehr und mehr und da ich durch ihn nur immer lauter brüllte und mich kaum beruhigte, holten ihn Josh und Gary notwendigerweise raus, aber ich wusste, er hockte nun draußen vor der Tür. Duncan würde mich niemals komplett allein lassen. Aber er konnte in diesem Moment nichts für mich tun. Keiner. Und das war noch frustrierender. Das war schlimm.

Mittlerweile war die Zelle, in der ich mich befand, komplett verwüstet. Das Bett bestand bloß noch aus Einzelteilen. Die Matratze war zerrissen und das Federkissen ebenso zerfetzt. Der kleine Schrank neben dem Bett war auch total im Arsch. Das Holz zersplittert und mein Blutdruck kam einfach nicht herunter. »River!«, schnauzte ich. »Ich weiß, dass du vor der Tür sitzt. Mach endlich dieses beschissene Ding auf« und ich rüttelte wie eine Verrückte an den Gitterstäben herum, doch nichts passierte. Mein Blick fiel zugleich auf das Schloss. Es musste doch auch so irgendwie aufgehen.

Ich biss mir auf die Lippe, blickte mich um und sah dann über die kaputten Möbel hinweg. Kurz überlegte ich und mir fiel ein, dass das Bett doch aus Schrauben und Nägeln zusammengesetzt wurde, oder? Deswegen bückte ich mich ohne nachzudenken und suchte mit meinen blutigen Fingern alles ab. Bingo, dachte ich und mein Kopf fuhr zur Tür. Ich rief erneut, damit niemand bemerkte, was ich vorhatte und fummelte fast lautlos am Schloss herum, bis es tatsächlich irgendwann aufschnappte.

War das so einfach? Doch plötzlich durchzuckte mich zum tausendsten Mal ein Schmerz in meinen Gliedern, der mich in die Ohnmacht reißen wollte. Ich brüllte mir die Seele aus dem Leibe. Scheiße. Meine Finger begannen sich zu krümmen, die Nägel wurden länger und ich sah, wie meine Adern weiter hinausragten. Zwar wusste ich nun nicht, was genau passierte, aber es machte mir kaum Angst und das lag eindeutig daran, dass ich gar keine Zeit dafür hatte, mir um irgendetwas Gedanken zu machen, denn da gab es ein ganz anderes Problem: Nämlich diese Qualen irgendwie zu ertragen, ohne dass ich bewusstlos wurde.

Erneut brüllte ich quälend auf, aber dieses Mal wurde die Zimmertür aufgerissen. Es war Duncan. Ich wusste, dass er nichts Böses wollte und sich nur Sorgen machte, aber er sollte einfach nur verschwinden. »Hau ab!«, fluchte ich. »Aber...«, begann er, obwohl er nicht einmal richtig im Raum stand. »Nein. Verschwinde einfach nur! Geh!« Kurz darauf ließ er wütend die Tür zu fallen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der Käfig einen Spalt offenstand. Gut so, dachte ich, denn ich musste hier raus. So schnell wie möglich. Zwar wusste ich nicht, wie ich das mit den Schmerzen packen sollte, aber das war mir in diesem Moment total egal. Irgendwie musste das funktionieren, sonst verlor ich ein für alle Mal den Verstand.

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt