Kapitel 19

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Sowohl in der Dichtung als auch im Leben ist es niemals zu spät für eine Korrektur.


Duncan ließ nicht von mir ab, obwohl Stella immer noch nach mir rief. Sicher hatte sie meine Tasche entdeckt, die ich zuvor gegen die Laterne lehnte und fragte sich nun wo ich steckte. In diesem Augenblick wollte ich etwas zu River sagen, doch er war schneller. »Wir sehen uns, Süße!«, grinste dieser breite Kerl vor mir und streichelte mir noch einmal mit den Fingerspitzen über die Wange. »Das glaube ich ja mal nicht!«, murmelte ich geistesabwesend, aber er feixte bloß: »Natürlich werden wir das. Glaub mir.« Dabei wanderte er mit seiner Hand weiter nach unten und streifte sachte über meinen Schenkel.

Nicht bloß seine Berührung ging mir extrem gegen den Strich, sondern dass er mir damit tatsächlich ein Schauer über meinen Körper jagte; aber nicht vor Ekel. Selbstverständlich wollte ich wieder alles tot analysieren; trotz alledem wies ich mich innerlich zurecht. Ich durfte nicht den Kopf verlieren. Erst recht nicht bei einem Mann, den ich nicht kannte. Ich konnte nicht einmal blinzeln, da war er plötzlich zwei Meter von mir entfernt, ergriff ohne zu zögern die Leiche der toten Frau, als wog sie überhaupt nichts und schmiss sie sich, wie ein Sack, über die Schulter. Erst, als er in der Dunkelheit verschwand, konnte ich mich bewegen und starrte auf den leeren Fleck, wo er sich noch kurz zuvor befand.

Augenblicklich hörte ich Stella erneut meinen Namen rufen und nach kurzem Zögern, verließ ich endlich die Dunkelheit mit zitternden Knien. Ich trat wieder auf den Asphalt, wo ich sah, dass sie fast neben ihrem Wagen stand. Die Fahrertür stand offen und sie suchte noch immer nach mir. Meine Tasche hatte sie ebenso in der Hand. »Ich bin hier«, murmelte ich vollkommen neben der Spur und versuchte mit Mühe und Not wieder etwas herunterzukommen. Zumindest mich so zu geben, als wäre nie etwas passiert. »Was machst du denn dort hinten in den Büschen?«, fragte Stella und kam mir auf halbem Wege entgegen. »Ich...« Keine Ahnung was ich sagen sollte, aber ich versuchte es dennoch erneut. »Ich dachte etwas gehört zu haben, aber da habe ich mich wohl getäuscht.«

Nach meinen Worten schaute sie mich irritiert an und blickte in die Dunkelheit hinein. Ihre Nasenflügel bebten kurz und sie sog die stetig frischer werdende Luft die Lunge. »Du solltest nicht allein in irgendwelche dunklen Ecken gehen. Manchmal weiß man nicht, was da auf einen lauert« und sie zog mich bestimmend, doch auch besorgt, zu ihrem Auto. »Los! Steig ein, damit wir nach Hause kommen. Ich muss nämlich noch mal weg. Aber sonst ist alles in Ordnung, oder? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.« So konnte man es allerdings auch sagen. Zwar nicht ein Gespenst, aber einen Mörder. Oh, Gott.

Schon beim Gedanken daran wollte ich durchdrehen. Gänsehaut überfuhr meinen Körper. Ich sollte mich ablenken, denn immer wieder musste ich an den Vorfall denken. Riss ich mich nicht zusammen, bemerkte Stella, dass etwas nicht stimmte. Trotzdem war es mir nicht möglich ihr das zu sagen. Niemals. Denn wenn Duncan das herausbekam und da war ich mir sicher... Was dann? Wäre ich die Nächste? Ich musste unbedingt meine Klappe halten; obwohl ich es am liebsten laut nach draußen geschrien hätte.

»Heaven?«, holte Stella mich unvermittelt wieder aus meinen Überlegungen und ich erklärte: »Ich hatte einfach nur Angst. Da war so ein komisches Geräusch, aber das war sicher nur ein Tier« und sie wollte daraufhin wissen: »Hast du denn etwas gesehen?« Sie war extrem neugierig. In ihren grünen Augen blitzte etwas auf, was ich nicht deuten konnte. »Nein«, log ich gekonnt und Stella fragte auch nicht mehr nach, was mich innerlich wenigstens etwas aufatmen ließ.

Im Auto setzte ich mich auf den Beifahrersitz und starrte den ganzen Weg nach Hause nur aus dem Fenster, denn die Sache mit Dan beschäftigte mich sehr und als wir in der Villa waren, fühlte ich mich nicht unbedingt besser und auch nicht sicherer. Normalerweise wollte ich Stella ein bisschen über River ausquetschen, aber irgendwie fand ich das in diesem Augenblick echt überflüssig. Sie würde mir Fragen stellen und wie lange ich mich beherrschen konnte, nicht doch einen Nervenzusammenbruch zu bekommen, wusste ich nicht. Aus diesem Grunde musste ich mich anderweitig ablenken. Ich brauchte sofort einen klaren Kopf und eine Dusche.

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt