Kapitel 38

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Es ist unglaublich, wie viel die Seele dem zu leihen vermag.


Weitere Tage vergingen. Wann Tag oder Nacht war, konnte ich kaum mehr erkennen und um ehrlich zu sein, brachte es mich auch nicht weiter, das zu wissen. Ich kam ja eh nicht heraus. Außerdem hatte ich wahnsinnigen Hunger, denn seit mindestens drei Tagen kam dieser Typ, den ich die Suppe über den Latz kippte, überhaupt nicht mehr wieder. Sonst gab er mir wenigstens eine Kleinigkeit zu Essen und zu Trinken, aber nun fehlte auch noch das. Deswegen begannen meine Lippen stetig mehr zu reißen. Sie waren spröde. Sogar leicht blutig.

Langsam kam ich mir wirklich vor, als hätte mich jeder vergessen und von niemandem hörte ich ein wirkliches Lebenszeichen. Weder von Duncan, noch Josh oder Stella. Nicht einmal Viola. Auch versuchte ich immer wieder irgendwie herauszukommen, aber es war hoffnungslos. Sogar neben mir an der Wand, war der Putz schon mit den Fingernägeln heruntergekratzt worden, weil ich es an diesem Ort nicht mehr ertrug, doch Wohl oder Übel saß ich fest.

Wahrscheinlich so lange, bis ich elendig zu Grunde ging. Wenigstens hatte ich eine kleine Toilette, damit ich nicht noch in die Ecke pinkeln musste, aber das hielt mir auch keine Flucht frei, außer ich wäre fünf Zentimeter groß und könnte, wie eine Ratte durch Rohre klettern. Immer ekelhafter wurde es mir mit der Zeit, da ich ja nun auch keine Möglichkeit zum Duschen bekam. Zumindest war mein Gesicht nicht mehr ganz so zerschunden. Die blauen Flecke wurden langsam weniger und meinem violetten Auge ging es auch besser.

Lediglich getrocknetes Blut befand sich überall auf mir, durch die Verletzungen, die mir dieser Typ zuzog. Ich selbst drehte aber langsam wirklich durch. Zum tausendsten Mal schlug ich immer wieder meinen Schädel gegen die Wand, in der Hoffnung, dass Duncan es spürte. Er musste mir doch irgendwie helfen, aber dann kam mir da plötzlich eine andere Idee. Unvermittelt ging ich zu dem zerbrochenen Spiegel in der Ecke über dem eigentlichen Waschbecken, was kaum noch vorhanden war.

Geradewegs eilte ich dorthin und entfernte komplett neben der Spur eine lockere Scherbe von der Wand. Dann setzte ich mich auf die Matratze. Als ich noch bei Stella im Badezimmer war, hatte River es gespürt, also kann sich das schon mal nicht geändert haben. Binnen weniger Sekunden setzte ich den ersten Schnitt. Schnell kamen mir nicht nur die Tränen; ich wurde plötzlich wieder so wütend, aber anders. Auf alles und jeden. Auch auf mich selbst. Weil ich es einfach nicht hinbekam von diesem Ort zu fliehen, wie ich bloß so verblendet sein konnte und überhaupt in diese Stadt kam. Und dann kam etwas, was ich nicht einordnen konnte; was ich nicht verstand. Es war komisch. Als wäre ich schlagartig in einer Art Trance oder so etwas. Denn einige Minuten später fand ich mich zwar immer noch auf meiner Matratze wieder, aber ohne jegliche Erinnerungen an die letzten paar Minuten.

Irgendwie hatte ich ein Blackout, obwohl ich weiterhin an meinem Arm herum schnippelte. »Scheiße!«, fluchte ich, als ich im matten Licht erkannte, was ich damit angerichtet hatte. Bis zur Armbeuge besaß ich nun überall tiefe Furchen. Alles war rot und Blut troff auf den Boden. Erneut fluchte ich und riss etwas von dem Laken unter mir ab, um es schnellstmöglich darum zu wickeln. So sollte das alles nicht laufen, aber ich hoffte, dass Duncan es somit erst recht spürte, doch auch die nächsten Stunden änderte sich nichts. Meine Schnitte brannten lediglich. Sonst war alles beim Alten.

Dann wurde mir die Warterei doch zu blöd und ich taumelte ans Gitter, um nach oben zu brüllen. »Ihr könnt mich doch hier nicht versauern lassen. Lasst mich raus ihr Schweine. Habt ihr verstanden?« Ich schrie Beleidigungen, flehte, kreischte und brüllte, aber nichts half. Was soll ich denn bloß machen?

Weinend ließ ich mich schließlich an den Eisenstäben nach unten gleiten, als ich auf einen Schlag plötzlich eine Hand um meine Kehle spürte. »Habe ich dir nicht was gesagt? Ich dachte, du wolltest brav sein?«, doch ich zuckte nicht einmal zurück. Irgendwie war ich es gewohnt, dass mich neuerdings ständig jemand würgte, doch bei ihm tat es noch mehr weh. Er drückte einen Punkt unterhalb meiner Kehle, was mich regelrecht in die Bewusstlosigkeit riss. Schwärze legte sich einen Moment über meinen Geist und als ich wieder etwas wacher wurde, bemerkte ich Hände, die meine Klamotten nach unten zogen.

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt