Kapitel 92

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Der Tod dauert das ganze Leben und hört vermutlich auf sobald er eintritt.


»Mom? Dad? Wo seid ihr?«, rief ich müde. Ich war mit meiner Schicht schon längst zu Ende und war froh darüber endlich wieder die Beine an einem Samstag nach oben zu legen, an dem andere Leute feiern gingen. Ich hingegen wollte meine Ruhe haben. Manchmal fühlte ich mich echt, als wäre ich schon achtzig und nicht achtzehn Jahre alt. Geräuschvoll ließ ich den Schlüssel auf unsere Kommode in die vertraute weiße Schale fallen. Das Haus roch noch nach einem leichten Apfelduft, der in den Räumen stand, so wie ich es kannte. 

Wie backte meine Mutter am Wochenende für uns einen Kuchen. Das war schon Tradition und darauf freuten wir uns alle am meisten. Ich liebte meine Mom über alles. Aus diesem Grund nur noch mehr. Sie war ein herzlicher und gutmütiger Mensch, dachte an jeden und verwöhnte meinen Vater und mich mit allem, was wir brauchten. Kurz huschte ihr strahlendes Gesicht an mir vorbei. Es war nicht real, sondern die Bilder spielten sich in meinem Kopf ab, trotzdem wirkten sie als stünde sie vor mir und das Lachen hallte durch das Haus. Ich wusste, dass ich sie jeden Augenblick wiedersah und freute mich schon extrem darauf. 

Kurzerhand zog ich den himmlischen Duft des Gebäcks in meine Nase, schloss die Augen und stellte meine Converse in die Ecke. Meine Jacke hängte ich ebenso auf und rief erneut nach meinen Eltern. Doch etwas machte mich stutzig. Normalerweise tauchte meine Mutter immer gleich im Türrahmen auf, wenn ich kam, doch dieses Mal war es anders. Zwar wirkte alles vertraut und wie sonst auch, doch schon nachdem mir niemand antwortete umwarb mich ein komisches Gefühl, welches mich innerlich frösteln ließ. Trotz alledem konnte ich den Teufel nicht an die Wand malen. Vielleicht bemerkten sie mich nicht. Auf jeden Fall lag kein Zettel auf dem Schuhschrank, der mir sonst immer geschrieben wurde, wenn einer von ihnen das Grundstück verließ.

Erst war ich drauf und dran in den Garten zu gehen, aber da es dämmerte war mir auch bewusst, dass die beiden nicht dort sein konnten. Vielleicht täuschte ich mich tatsächlich bloß und alles war wie sonst auch. »Mom? Dad?«, rief ich erneut und schritt den langen Flur entlang. Alles war wie sonst auch. Die Bilder von uns an der Wand zeigten eine glückliche und zufriedene Familie und ließ mich schmunzeln. Der Spalt zwischen Tür und Rahmen zu dem Arbeitszimmer meines Vaters, hielt mich schließlich auf, nicht kehrt zu machen und ich flitzte gezielt dorthin, legte meine Hand auf das Holz, um dieses weiter aufzudrücken und sagte: »Alles okay? Warum antwortet ihr mir nicht?« 

Doch nachdem ich die beiden Sätze aussprach, erkannte ich, dass überhaupt keiner da war. Auch hier hatte sich nichts verändert. Nur meine Eltern schienen wie vom Erdboden verschluckt worden zu sein und ich machte mich letztendlich in die Küche auf. Zwar brannte dort kein Licht, aber ich hatte extremen Kohldampf und wenn die zwei doch noch einmal fortgingen, lag sicher eine Nachricht auf dem Küchentisch. Ich ließ das Licht im Flur an, trat in den Raum, in den ich wollte, ließ es dort jedoch aus und schaute auf den Küchentisch. Durch die matte Funzel im Korridor erkannte ich, dass nur die Obstschale darauf stand, sonst war da nichts. Komisch, dachte ich, machte mich zum Kühlschrank auf und öffnete diesen.

Kurz hielt ich dennoch inne, lauschte und war mir sicher die zwei schon zu finden. Immerhin schaute ich bisher nicht auf mein Handy. Vielleicht schrieben sie mir eine Nachricht, was ich mir jedoch kaum vorstellen konnte, da Mutter und Vater eher altmodisch waren. Sie hielten nicht viel von dem ganzen Krimskrams und auch nicht von der modernen Technik. Im Kühlschrank brannte mir augenblicklich das grelle Licht sofort in den Augen und ich blinzelte. Siehe da. Meine Mutter hatte wie immer ihren leckeren Apfelkuchen gebacken. Hm. Sie wusste, wie ich war und auch dieses Mal konnte ich es nicht lassen. Ich musste mir ein Stück abschneiden. 

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt