Kapitel 102

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Du fällst hin, um wieder aufzustehen. Du stehst wieder auf, um weiter zu machen. Du machst weiter, um zu kämpfen. Du kämpfst, um zu siegen!


Ich wusste nicht, was tatsächlich passierte; konnte meine Gefühle ebenso nicht zuordnen. Das Einzige, was extrem präsent war, war das Chaos in meinem Kopf; der ziehende Schmerz in meinem Unterleib und die Sorge um Duncan River, der wie ein Toter auf dem Sofa lag. Nicht einmal dieses Geräusch brachte ihn wieder in die Wirklichkeit, was mich dazu veranlasste fast durchzudrehen. Dan war einer, der wenn etwas geschah, eindeutig der Erste war, der sich aufraffte; auch wenn seine Wunden ihn fast umbrachten. Nun sah es anders aus. Sein lebloser Körper atmete nur flach und uns war allen bewusst, dass nun ich an der Reihe war. Er versuchte mich zu beschützen. Jetzt bin ich dran. Ich muss ihn retten, denn man wird ihn sonst umbringen. Das war gewiss. 

Mein hetzender Blick fuhr zu William, dessen Sinne ebenso geschärft waren. »Was ist passiert?«, fragte er einen Mann mit blondem Haar und breiten Wangenknochen, der mich vorübergehend an Shane denken ließ, doch dieser brachte seine Gefährtin bestimmt schon längst in Sicherheit und hatte somit anderes zu tun. Ich konnte es ihm nicht verübeln, aber nachdem, was er mir antat, hatte ich mehr als nur einen gut bei ihm. Das brauchte dieses Schwein auch nicht vergessen. Wir konnten da jede Hilfe gebrauchen. Gerade, weil nun auch Einige von Duncans Rudel unter der Erde lagen.

Die untergehende Sonne verschwand nun fast komplett hinter den dunklen Tannen und blendete mich leicht, weswegen ich meine Hand über die Stirn halten musste. Er selbst stand im Türrahmen, umklammerte eine Tüte, die ein tropfendes Geräusch aufwies. »Wir haben ein Problem!«, sagte dieser mit einer dunklen Stimme und ließ den schwarzen Plastikbeutel fallen, der sich dadurch öffnete. Erkennbar waren auf der Stelle tote matte Augen, die irgendwo an einen Punkt an die Decke starrten. Augen, die ich kannte. Lippen, die noch vor kurzem mit mir gesprochen hatten. Verzerrte Gesichtszüge ließen mich taumeln, wollten mich in die Ohnmacht reißen; darin vergraben. 

Ein abgetrennter Kopf, dessen Blut nun die Dielen beschmutze; lag auf nun auf dem Boden. Mir wurde so übel wie noch nie. Nicht, dass ich nicht bloß Leichen sehen musste und zusah, wie man Menschen, die mir wichtig waren, umbrachte. Nein. Nun auch noch so etwas. Ich taumelte nach hinten, konnte kaum mehr das Gleichgewicht halten und wollte schon daneben kotzen. »James!«, kreischte ich schon fast. Meine Stimme klang hell und kratzig, wobei sich diese kaum in meinen Gehörgang schlich; so neben der Spur stand ich. »Oh, mein Gott. Das... das...« Tränen stiegen mir in die Augen. Wer das getan hatte war klar, aber wie konnte man nur so ein Monster sein? Wie? Warum hatte ihn noch niemand zuvor ausgeschaltet und somit gestoppt? Es konnte nicht nur an mir liegen. Definitiv nicht. Ich glaubte eher daran, dass dieser Mann, der mein Vater sein wollte; ein Tier war. Vielleicht war sein Wolf vom Grunde auf böse und er gab sich ihm vollkommen hin. Egal. Das Einzige, was zu tun war: Ihn töten.

Folgend stolperte ich mit bebenden Gliedern ein paar Schritte nach hinten in die Richtung von River, der noch immer keinen Mucks von sich gab. Nicht einmal jetzt. Kurz darauf spürte ich jedoch zwei Hände, noch bevor ich auf den Boden knallte. Es war nicht mein Onkel, denn der sprang nun einen Schritt nach vorn und sprach schnell: »Sorgt dafür, dass das Haus sicher ist.« Anbei schnappte er sich die Tüte, um diese aus meinem Sichtfeld zu bringen. »Du weißt, was das bedeutet. Sie werden bald hier sein!«, hörte man bloß den mir unbekannten Mann und ich drehte meinen Kopf leicht nach hinten. Ich erkannte grünbraune Augen. Josh hielt mich fest, sodass ich nicht komplett den Verstand verlor. »Du musst dich beruhigen.« Wie denn?

»Aber was machen wir denn jetzt?«, fragte ich panisch und zeigte heftig mit dem Finger auf River. »Er kann sich nicht einmal wehren. Wir müssen ihn hier wegschaffen.« Das war das Beste. »Dafür ist es zu spät«, knurrte William und wies irgendwelche Männer an, ihn nach oben zu bringen. »Schafft ihn hoch. Sorgt dafür, dass ihm kein Haar gekrümmt wird. Verstanden?« Zugleich widmete er sich nochmals mir zu. »Du gehst am besten mit. Wir werden uns schon darum kümmern. Jonathan ist angeschlagen. Er wird es nicht schaffen.« Er klang zuversichtlich. Dennoch war bemerkte ich schon längst, dass Jonathan zäh war. »Du kennst ihn nicht. Du hast seine Augen nicht gesehen!«, stotterte ich ängstlich. »Ich kenne ihn besser als du denkst«, fluchte mein Onkel. »Vergiss nicht, dass er mein Bruder ist! Und vertraue endlich mal auf dich! Du bist nicht so schwach, wie du vielleicht denkst.« 

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt