White Moon - Kiss of the Wolf

Kapitel 104

Was man nicht aufgibt, hat man nie verloren!

Bis der Aufprall sich bemerkbar machte, zog sich der Flug regelrecht in die Länge. Es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Außerdem konnte ich mich im Sturz nicht richtig drehen, weil Jonathan mich noch immer mit seinen großen Pranken packte und diese um meinen Körper schlang. Ich verteufelte ihn in diesem Moment bloß noch mehr und als wir gemeinsam hinter der Villa auf dem Rasen aufprallten, wich jegliche Luft aus meinen Lungen. Zum Glück war der Aufschlag nicht ganz so schmerzhaft, wie angenommen; dennoch auch nicht ohne. Hart presste ich die Lider zusammen, ließ mir nicht anmerken, wie meine Wirbelsäule schmerzte. Nun besaß mein Vater natürlich einen Vorteil. Immerhin hatte ich sein ganzes Gewicht auf mir; inklusive des harten Untergrunds unter meinem Körper und ich war sozusagen dafür da, um ihn aufzufangen.

Ein leises Winseln drang trotz dessen aus meinem Maul, was ihn dazu veranlasste einen regelrecht besessenen, aber dennoch wissenden Gesichtsausdruck zu formen. Obwohl seine tierische Gestalt nichts mehr Menschliches aufwies, sah man dennoch was er fühlte und das war purer Hass. Da war nichts von Vaterliebe oder dergleichen. Wiederum zeigte sich mir, dass wir überhaupt nichts voneinander hatten. Nicht einmal annähernd glichen sich unsere Charaktere. Im Unterschied dazu wusste ich mit Sicherheit, dass ich mit meiner weichen verletzlichen Seite nicht wirklich bei ihm punkten konnte. So schaffte ich es nicht mich gegen ihn aufzulehnen. Aus diesem Grunde durfte ich ihm nicht zeigen, wie mich das alles belastete und mitnahm.

Auf der Stelle probierte ich mich von seinem schweren Gewicht zu befreien und endlich wieder standhaften Boden unter den Füßen zu kriegen. Ich versuchte ihn mit aller Macht und einem kräftigen Stoß von mir herunterzubekommen, was ich am Anfang gar nicht schaffte. Infolgedessen biss ich ihm gezielt in die Schnauze, mit der er mich packen wollte. Dadurch, dass die Nase eines Wolfes viel zu empfindlich war, zuckte er auf Anhieb zurück. Zugleich ergriff ich meine Chance, presste ihn erneut mit meinen Pfoten von mir und schaffte es tatsächlich, mich freizumachen.

Einen richtigen Kopf hatte ich mir allerdings noch nicht wirklich gemacht, wie ich ihn überhaupt gegenübertreten sollte. Ich war kein Kämpfer, wie er. Hatte mich noch nie groß in meinem Leben vor irgendetwas schützen müssen. Fast. Deswegen war es auch schwerer für mich, mich gegen ein Tier zu stellen, welches seine Gestalt vollkommen unter Kontrolle bekam. Ich war erst seit Kurzem eine Wölfin. Das Training was andere von Kindesbeinen auf bekamen, fehlte mir. Demnach konnte ich mich nur auf meinen Instinkt verlassen. Ich bin doch nicht umsonst ein Wolf, dachte ich auf der Stelle. Zu etwas muss es doch nützlich sein.

Als kurz darauf und zum wiederholten Male ein Ziehen in mein Unterleib drang, versuchte ich erst einmal ein Stück von Jonathan wegzukommen. Ich brauchte Luft; musste mich etwas sammeln. Jedenfalls war es schwer, weil er jegliche Schritte von mir zu beobachten schien. Seine graue Gestalt kam nichtsdestotrotz überhaupt nicht auf mich zu und ich wusste auch weswegen, da kurz darauf auch schon seine Stimme in meinen Kopf drang: »Stell dich nicht so an. Noch immer kannst du dich entscheiden. Entweder du kommst jetzt auf der Stelle mit mir mit, oder...« 

Augenblicklich schien er zu überlegen. Wenn ich es nicht machte, starb er sowieso, weil ihn irgendjemand von Williams Rudel definitiv umbrachte. Auf dieser Seite hatte mein Vater nichts damit gekonnt, wenn ich nicht mit ihm ging. Das wusste auch er. Hinzukommend verlor ich nicht, wenn ich nicht mit ihm ging. Es gab nichts was uns in dieser Hinsicht nicht gleichgestellt war. Trotzdem war da die große Frage erst recht: Wird er mich nicht deshalb erst recht umbringen? »Wenn du nicht das machst, was ich dir sage, werde ich dich hier und jetzt zerfleischen, bevor dich mein Bruder retten wird.« Das dachte ich mir eindeutig schon.