Kapitel 54

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Es ist hart zu leben; aber härter ist es noch zu sterben.


Die nächsten drei Tage vergingen nur schleppend. Ich schien kaum noch richtig anwesend zu sein, mein Körper ein Wrack. Es war nicht mehr auszuhalten und da diese Schmerzen stetig schlimmer wurden, fühlte ich mich, als starb ich tausend Tode. Nie hätte ich gedacht, dass es so extrem werden würde. Wo hinten und vorne war, wusste ich schon längst nicht mehr. In den letzten vergangenen Stunden konnte ich nicht einmal etwas essen oder trinken. Bis Mitternacht, dauerte es allerdings noch eine Weile.

Ich wollte doch bloß, dass es endlich vorbei war. Am liebsten hätte ich mich selbst umgebracht, so schlimm war das alles für mich. Wenigstens ließ mich Duncan niemals allein. Wenn er etwas klären musste oder ins Bad ging, kam entweder Viola, Joshua oder Gary; jemanden den ich kannte und das war eindeutig besser, als jemand fremdes aus dem Rudel bei mir zu haben. Sie sprachen mir gut zu, versuchten mich abzulenken, aber es brachte zum Schluss reichlich wenig. Es nervte mich dann bloß noch mehr an. Deswegen schickte ich sie in den letzten Minuten, alle der Reihe nach, aus dem Raum. Hauptsache ich hatte irgendwo meine Ruhe.

Sogar bei Duncan wurde es mittlerweile unerträglich. Natürlich wollte er nur für mich da sein, doch es nützte nicht viel, brachte nichts mehr. Ich wollte in diesem Moment allein sein. Außerdem war ich sowieso nicht mehr wirklich in der Lage mich richtig zu konzentrieren oder nachzudenken. Vollkommen blass und mit kaltem Schweiß besudelt, trug ich das sechste T-Shirt an diesem Tage. Sonst hatte ich eine Hotpants an. Mehr brauchte ich gar nicht am Leibe, denn es dauerte nur fünf Minuten und dann waren die Klamotten wieder nass. 

Kurze Zeit später hörte ich die Tür und dachte erst, dass es Duncan sei, doch es stand jemand ganz anderes im Raum. James. Der Arzt des Rudels. Was macht er hier? Ich sah ihn müde an. Er hatte einen kleinen Schlüssel in der Hand, kam auf den Käfig zu und schloss diesen auf. Ich war so im Arsch, dass ich nicht einmal mehr den Kopf heben konnte. Immer wieder fiel er schwer in das Kissen. Der Mann hingegen hatte einen Koffer mit dabei. Den stellte er neben mich und legte mir anschließend seine Hand auf meine Stirn. »Wie geht es dir?«, wollte er wissen.

Fragt er das wirklich? Wie soll es mir schon gehen? Beschissen. Ich kam mir vor, als riss mir in diesem Augenblick einer die Gedärme heraus. »Dumme Frage. Natürlich mies. Es kommt mir vor, als würde ich jeden Moment abkratzen«, raunte ich schwach. »Es ist unüblich, dass sich ein Wolf so spät verwandelt. Je älter man wird, umso schwieriger und gefährlicher. Wenn das Tier in dir richtig erwacht, darfst du dich nicht komplett von ihm leiten lassen. Du musst versuchen bei klarem Verstand zu bleiben; sonst kann es passieren, dass du komplett durchdrehst. Deswegen bist du hier drin und ich bin hier, um zu sehen, wie es dir geht. Würdest du dich oben frei machen?« und ich schluckte schwer.

»Aber ich habe unter meinem Shirt nichts an.« James lachte natürlich sofort leise auf. »Ich bin Arzt, Heaven. Ich sehe fast jeden Tag nackte Männer und Frauen. Niemand wird hier hereinkommen. River macht sich frisch und die anderen wissen, dass ich bei dir bin.« Ich biss mir fest auf die Unterlippe, zog dann aber doch unsicher mein Oberteil aus und ließ mich wieder auf den Rücken sinken. Er nahm ein Stethoskop aus seinem Koffer und legte es auf meine Brust. Danach drehte ich mich herum und er tat das Gleiche. Binnen weniger Sekunden sollte ich ihn dann ansehen. Dabei beleuchtete er in meine Pupillen. Sein Blick war beherrscht und professionell. »Ich brauche noch deine Temperatur« und er hielt einen kleinen Kasten nach oben. Ein Thermometer fürs Ohr, dachte ich. 

Kurz darauf piepte es leise. Ich bemerkte nur noch, wie er etwas aufschrieb, denn ich war schon wieder fast am Einpennen, so schwach war ich. Gerade bei Ruhephasen meiner Schmerzen, schloss ich die Augen und schlief die kurzen Momente auch gleich ein. »Heaven?«, sprach mich James an und tätschelte in meinem Gesicht herum. » Sieh mich an!« Ich wollte die Lider zwar öffnen, aber schaffte es nicht. Die Bewusstlosigkeit riss mich immer weiter in die Schwärze. Es fühlte sich tatsächlich an, als wäre bald alles für mich vorbei. »Heaven?« Seine Stimme wurde nun lauter und ich hörte einen panischen Unterton. »Mache sofort die Augen auf«, doch ich konnte nicht. Die Worte wurden stetig leiser.

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt