Kapitel 10

4.7K 225 11
                                    

Wenn du dein Hier und Jetzt unerträglich findest und es dich unglücklich macht, dann gibt es drei Möglichkeiten: Verlasse die Situation, verändere sie oder akzeptiere sie ganz. Wenn du Verantwortung für dein Leben übernehmen willst, dann musst du eine dieser drei Möglichkeiten wählen, und du musst die Wahl jetzt treffen.  


Schweißgebadet schreckte ich nach oben. Verdammt. Was war denn das gewesen? Natürlich hatte ich Träume. Wie jeder Mensch. Mal Gute und auch mal Schlechte. Aber das da war einfach so intensiv, als wäre es wirklich passiert. Meine ganzen Glieder zitterten und ich fühlte mich nicht nur verwirrt, sondern halb erfroren. Vollkommen neben der Spur, streifte ich mir meine verschwitzten Haare hinter die Ohren und rieb mir im Gesicht herum. Ich war total verstört. Meine nackten Beine fielen mir ins Auge und ich zuckte schwer zusammen. Sie waren schon fast blau vor Kälte. Ich tastete sofort neben mir herum und wollte die Decke über mich ziehen, aber griff ins Leere. Nicht unbedingt ins Leere, aber ertastete etwas, was sich nicht definieren ließ. Prompt erstarrte ich zu Eis.

Was ist das?, dachte ich geschockt und blickte neben mir auf die andere Bettseite. Nur das da kein Bett war, ich mich nicht in einem befand und auch konnte ich keine Decke weit und breit ausmachen. Da war... Dreck? Erde? Gras? Wurzeln? Ich fuhr wie eine Wilde herum und bemerkte auf der Stelle, wo ich mich befand. Mein Shirt wies lauter dunkle Flecken auf und auch meine Beine waren komplett mit Erde besudelt. Wie kam ich denn hier her? Träume ich noch immer? Bitte, wecke mich jemand auf, winselte ich innerlich, aber nichts geschah. Ich muss träumen. Das ist nicht real. Nein. »Verdammte Scheiße«, quiekte ich vollkommen verpeilt und rappelte mich mit bebenden Muskeln nach oben.

Meine Zehen vergruben sich in dem feuchten Moos unter mir. Ich musste an diesem Ort schon ziemlich lange gelegen haben, denn ich fühlte mich nicht nur durch die Nässe aufgeweicht, sondern komplett unterkühlt. Ziemlich neben der Spur, putzte ich eilig über mein Shirt, aber das war sowieso zwecklos. Ich sah aus, wie ein Schwein. Zum Glück hatte ich keinen Spiegel, sonst wäre ich wahrscheinlich umgekippt. Doch das war erst einmal Nebensache. Ich befand mich umgeben von dunkelgrünen Tannen. Mein Zimmer war weit und breit nicht zu sehen. Auch nicht die Villa.

Ich schluckte schwer und versuchte die Sache nicht so ernst zu nehmen. Es gab ja immer mal Momente, wo man glaubte durchzudrehen. Vielleicht gehörte das Schlafwandeln dazu. Doch meine Lage war echt beschissen, denn als ich mich genauer umsah, erblickte ich tatsächlich nichts weiter. Bloß dunkle hässliche Nadeln. Ich wollte nicht hier sein, weshalb tat ich es dann? Das konnte ich nicht verstehen. War ich im Schlaf wirklich gewandelt? Ich? So etwas passierte mir eigentlich nicht. Abgelegt hatte mich mit Sicherheit keiner auf dem Boden. Wer hätte denn etwas davon? Das hätte ich doch mitgekriegt. Und dann dieser Traum. So ein kompletter Irrsinn.

Plötzlich vernahm ich neben mir ein lautes Knacken und fuhr angsterfüllt herum. Diese verfluchte Scheiße. Nun hatte ich durch den Biss dieses Köters noch mehr Angst allein hier zu sein und dann strömten auch noch die Bilder des Wolfes durch mein Hirn. Augenblicklich dachte ich an die Schauergeschichten meines Vaters und wie er mir bei jedem Märchen verständlich machen wollte, dass ich mich von so etwas fernzuhalten hatte. Das war jedoch ziemlich schwer, wenn ich genau neben einem dichten Wald wohnte, aber dass ich mich gleich den nächsten Tag dort wiederfand, daran wollte ich nicht glauben. 

Bebend streifte ich mir einzelne verfilzte Strähnen aus dem Gesicht und taumelte nach hinten. Stark zuckte ich zusammen und schrie sofort lautstark auf, als ich gegen etwas Hartes prallte, sprang zurück und sah hinter mich. »Heaven, ein Baum. Es ist nur ein bescheuerter Baum«, atmete ich erleichtert auf und wollte mich somit wieder etwas selbst beruhigen, doch wo sollte ich denn nun hin? Wenn man nach oben blickte sah man, dass es dämmerte. Es war früh und es dauerte nicht mehr lange, bis die Sonne herauskam. Nur viel würde davon definitiv nicht hier unten ankommen. Die gruseligen Geräusche waren ebenso nicht gerade aufbauend, dass ich voller Elan wieder nach Hause stiefelte. Ganz im Gegenteil. Es schien mir eher so, als überschwemmten mich meine kompletten Empfindungen.

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt