Kapitel 15

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Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage wovor.


Es dauerte nur einen Wimpernschlag, als ich kurz darauf das Klingeln der Tür vernahm, wenn jemand hindurchging, nachdem sie geöffnet wurde. Schon da, war mir seine Anwesenheit durchaus bewusst. Auf der Stelle durchzuckte mich ein groteskes Gefühl der Zerrissenheit, was man nicht beschreiben konnte. Befremdlich und seltsam. Es ließ sich nicht einordnen und überschwemmte meinen kompletten Leib. Unvorhergesehen bebten meine Glieder. Mein ganzer Körper fing an wie aus dem Nichts zu vibrieren. Meine Nackenhaare stellten sich so extrem auf, dass ich mich unwillkürlich schütteln musste. Trotz alledem war das nicht bloß Angst. War sie es überhaupt? Tatsächlich konnte ich es nicht richtig definieren, was das Chaos in meinem Kopf nur noch mehr antrieb. Scheiße. Was passiert hier?

Fröstelnd rieb ich mir über die Oberarme und versuchte meinen stetig schneller werdenden Atem unter Kontrolle zu bekommen, der immer mehr zu einem Hecheln wurde. Frustriert streifte ich mir dabei zittern einzelne Strähnen meines Haares von der Wange. Ich rutschte mit dem Rücken an der kahlen Wand entlang. Sie war frisch, doch leider lenkte sie mich nicht von dem Gedanken ab, mich am liebsten zu verkriechen. Von vorn herein war mir bewusst, dass mich Gary mit Absicht und dieser Liste nach hinten schickte. Dort sollte ich bleiben. Jedoch wuchs meine Neugierde ziemlich, wenn ich daran dachte, dass dort dieser mysteriöse Typ durch die Tür schritt, vor dem man im Grunde genommen Angst haben sollte. Doch musste ich mich wie ein kleines Kind verstecken? War es richtig vor jemandem den Schwanz einzuziehen ohne ihn wirklich begegnet zu sein?

Wenn man es so nahm, nagten schon ziemliche Bedenken an mir, dass er sich von einer Wand aufhalten ließ. Wenn er etwas von mir wollte, würde er mich auch so aufsuchen und bei diesem Auftreten glaubte ich nicht daran, dass selbst Gary eine Chance gegen ihn hatte. Dieser Typ, der Stella so unbedacht behandelte, als wäre sie ein Nichts gegenüber ihn, würde mich doch nicht aufhalten diesen Mann wenigstens einmal kurz von Nahem zu sehen. Schon je her war ich ein Mensch der alles wissen wollte. Auch damals. Das änderte sich auch nicht in diesem Moment. Sicher gab es irgendwann einen Tag, an dem ich dafür mit meinem Kopf zahlte, doch nicht jetzt. Nein. Daran würde sich auch nichts ändern.

Genau deswegen ging ich zum wiederholten Male zur Tür, bloß um zu lauschten. Tat es jedoch nicht, sondern torkelte unsicher einige Schritte nach hinten. Prompt blieb ich starr stehen. Ich bekam Schiss, dass die Tür knarrte, wenn ich mich mit dem Ohr dagegen lehnte. Auch wenn es wehtat, biss ich mir immer wieder auf der Unterlippe herum und überlegte hin und her. Es schadete doch nicht, wenn ich lauschte. Außerdem musste ich wissen, wer dieser Fremde war. Warum er auf Stella so sauer reagierte... Oder weshalb er überhaupt ins Café kam. Zugleich dachte ich an die Reaktion von Gary, als er bemerkte, dass wir von diesem ungebetenen Gast Besuch kriegten. Wenn er mich verstecken wollte, gab es einen Grund. Lag es also doch an mir?

Mit lautlosen Schritten, was ich selbst nie von mir gedacht hätte, lief ich zum einen Ende des Zimmers, hockte mich etwas weiter nach unten und legte mein Ohr an den Rahmen des Holzes. Jedoch sehr bedacht die Tür nicht zu berühren. Es musste auch so gehen. Aufmerksam spitzte ich mein Gehör und die Neugierde nahm noch mehr zu. Ich leckte mir unvermittelt über die trockenen Lippen und versuchte dabei meinen Atem so flach wie möglich zu halten. Erst hörte ich gar nichts und dachte schon Gary wäre wieder allein. Dann sprach er aber auch schon ein paar wenige Minuten später: »Du weißt genau, dass wir eine Abmachung haben. Was willst du hier? Du hast hier gar nichts zu suchen. Das weißt du auch.« 

Verwirrt zog ich meine Brauen nach oben. »Ach, sei doch nicht so. Du weißt genau, was ich hier tue. Ich will nur unseren kleinen Neuankömmling kennen lernen. Immerhin zieht hier eigentlich keiner weiter her und erst recht nicht in das Haus von Stella. Du brauchst sie also nicht vor mir zu verstecken. Also stelle dich nicht so an.« Diese Stimme. Sie war weich aber drohend. Wundervoll und gefährlich zugleich. Meine Kopfhaut fing zu prickeln an und ich wusste, dass mit diesem Typen sicher nicht gut Kirschen essen war. Eigentlich sollte ich lieber wieder an die Arbeit gehen, um alles zusammen zu suchen, doch das Gespräch war interessanter. Außerdem war ich nicht blöd. Gary hatte sicher die Ahnung, dass ich genau das nicht tun würde. 

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt