White Moon - Kiss of the Wolf

Kapitel 44

Eine einzelne Träne kann mehr bitteres Salz enthalten; als ein ganzer Ozean.

Ich riss die Augen auf und rief: »Was?«, doch niemand schien auf mich zu achten. »Vater hin oder her. Er hat meine Mutter sitzen lassen, nachdem er sie geschwängert hat«, gab Gary wütend von sich und mir klappte die Kinnlade herunter. Deswegen drohte River ihm bloß, aber verletzte ihn nicht und die ganze Zeit wunderte ich mich darüber, dass dieser hier lebte und geduldet wurde? Sie waren Brüder. Zwar nur zum Teil, doch sie waren miteinander verwandt.

Mein Blick fiel auf Josh und ich konnte nun die Ähnlichkeit sehen, die beide verband. Die ähnliche Augen... bloß die meines Bosses waren komplett braun. Sonst war Gary etwas markanter; älter halt als Joshua. Von Duncan hatte er nicht viel, außer vielleicht die Haarfarbe und die Mundpartie. Bisher war mir das nie aufgefallen. »Weißt du, wie es ist, wenn man jemanden verliert, den man über alles liebt? Du glaubst nicht, wie froh ich darüber bin, dass er noch am Leben ist. Er gehört zu uns« und kurz fiel Rivers Blick auf mich. »Sie nicht. Sie ist der Feind!«

Sofort traten mir Tränen in die Augen, die ich verbissen herunterzuschlucken versuchte. Wie konnte er nur? »Sie kann doch nichts dafür. Dieser Krieg wurde angezettelt, da war sie noch nicht mal auf der Welt. Ihr führt ihn nur sinnlos weiter«, mischte sich nun auch Viola mit ein. »Jonathan hat mir geschworen, dass es einen Waffenstillstand geben wird, wenn er Heaven wieder hat. Sie ist dann dort, wo sie ursprünglich hingehört und wir haben Vater zurück« und plötzlich ertönte ein lauter Lacher. Er kam von Gary.

»Glaubst du, ich bin dumm? Am Anfang wolltest du es verstecken, weil du dachtest sie sei ein normaler Mensch und jetzt? Jetzt wo du dir zu hundert Prozent sicher bist, dass sie nicht dorthin, sondern zu dir gehört, lässt du sie einfach gehen? Überlege doch mal was du dir damit selbst antust. So wirst du niemals glücklich werden und Heaven genauso wenig. Sieh es doch endlich ein. Das was du da machst ist eindeutig falsch.« Das wussten wir alle. Vielleicht sogar irgendwo Duncan.

»Da hat er recht!«, kam von Josh und ich schluckte. Nun wurde mir erst schlagartig so richtig bewusst, in was für einer Lage ich mich da zu diesem Zeitpunkt befand. Ich konnte eins und eins zusammenzählen. Das Rudel von River. Das Rudel meines leiblichen Vaters. Ich bin wie sie. Kein richtiger Mensch. Ebenso ein Wolf, obwohl es eher lächerlich klang; auch weil ich hier auf zwei Beinen stand, doch es schien Tatsache zu sein. Eigentlich völlig absurd. Immerhin hatte ich noch niemals Fell an meinem Körper besessen. Jedoch kannte ich die aufkeimende Kraft, die mich zu überwältigen drohte... Es war wirklich besser zu gehen. Somit hätten die Brüder ein Familienmitglied wieder und ein Krieg wäre vorbei. Kein Blutvergießen, wie der tote Junge im Wald! Doch wenn ich daran dachte Duncan nicht mehr wiederzusehen, starb ich innerlich tausend Tode. Außerdem war da auch noch der fremde Mann, zu dem ich sollte. Das war echt unheimlich.

Fröstelnd rieb ich mir über die Arme. Mir war schon wieder schlecht. Das Ganze schlug mir nur noch mehr auf den Magen. Ich muss hier raus. Auf der Stelle. Sonst werde ich komplett irre. Und unauffällig lief ich von den anderen weg; nach oben ins Badezimmer, was genau neben dem Raum lag, worin ich schlief. Niemand schien das zu bemerken. Gott sei Dank. Ich war kurz davor zu ersticken. Mein Magen schmerzte schon und rumorte wie verrückt.

Ich beeilte mich und steckte mir den Finger in den Hals. Würgend erbrach ich den ganzen Orangensaft, setzte mich, nachdem ich die Spülung betätigte schlapp daneben und wischte mir über die schweißnasse Stirn. Meine Hand hielt ich gegen meine Brust gedrückt und mein Blick heftete sich verschwommen auf die Fliesen. Das machte mich alles extrem fertig. Keine Ahnung, was nun die richtige Entscheidung war. Für Duncan ist sie wohl gefallen, doch das schmerzt, wie eine Klinge in der Brust. Es hört nicht auf.