Kapitel 14

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Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.


Vor mit stand ein ganz anderer Typ Mann, wie ich annahm. Nicht mal im Entferntesten ähnelte er meinen Vorstellungen. Er war ungefähr so groß wie Josh. Um ehrlich zu sein; genauso riesig. Verdammt. War das irgend so ein abnormaler Genpool oder warum kam ich mir total winzig vor? Sogar Stella und Viola waren schon nicht gerade klein... Geschweige denn die Jungs. Oder lag es an der Luft dieser Küste? Aßen sie etwas Besonderes? An irgendetwas musste es doch liegen. Bald bekam ich eindeutig Genickstarre. Verwirrt hob ich meinen Kopf und schaute in braune weiche Augen. Seine dunkle Mähne war fast genauso lang wie meine, die er in einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug. Es war der erste Mann den ich aus der Nähe mit solch langen Haaren sah. Zumindest kam mir so etwas nicht oft vor Augen. Einzelne braune Strähnen fielen ihm in die Stirn. Ich schätzte ihn so ungefähr auf dreißig Jahre.

Seine Statur wirkte ähnlich wie bei Joshua. Nur ein klein wenig schlanker, aber sonst gab es da kaum einen Unterschied. Vielleicht waren hier auch alle irgendwie miteinander verwandt, dachte ich so. Aber es konnte auch einfach bloß ein dämlicher Zufall sein. Jedenfalls waren seine perfekten weißen Zähne gerade und leichte Lachfalten bildeten sich unter seinen Augen, als er spürte, wie ich ihn betrachtete. Er war schon ziemlich hübsch. Auf seine eigene Art und Weise. Mit was hatte ich das alles nur verdient? Warum waren hier alle perfekt und ich einfach nur... normal?

Kurzerhand sah ich an meinem Outfit herunter. War das gerade Zufall? Er trug ebenso eine Jeans und ein Hemd, was meinem ziemlich ähnlich sah. Auch seine Schuhe glichen meinen. Er schien es zu bemerken und schmunzelte mit dunkler Stimme: »Einen guten Klamottenstil hast du schon mal« und er reichte mir seine große rechte Hand. Auf halbem Wege kam ich ihm entgegen und ergriff sie. Sein Händedruck war fest; dennoch tat er mir nicht weh. Schon auf den ersten Blick fühlte ich mich tatsächlich wohl in seiner Nähe und wieder huschten diese braunen Augen über meinen gesamten Körper. »Wie alt bist du?«, fragte er mich dann. »Neunzehn!«, gab ich wahrheitsgemäß zurück, denn sonst schwindelte ich meisten. Zumindest war das bei meinem Barjob der Fall gewesen und da hatte mein Boss auch nicht nach einem Ausweis gefragt. Zum Glück. Jedoch brauchte ich die Kohle. Es war mir scheißegal, ob ich nachts dort sein durfte oder nicht. An diesem Ort lief es anders. Ich war zwar noch keine einundzwanzig und somit nicht volljährig in Amerika, aber bei Kaffee und Tee konnte niemand was sagen.

Gary nickte. »Gut. Du wohnst jetzt also bei Stella im Haus? Wo sind deine Eltern?«, doch da schaltete sich auch schon der Rotschopf ein. »Ihre Eltern... Ich achte ab sofort auf sie. Ich habe genug Platz und...«, stammelte Stella herum und versuchte mir dabei nicht auf die Füße zu treten. »Schon okay!«, gab ich ihr zu verstehen und drehte mich weiter zu dem Mann vor uns. »Meine Eltern sind tot und Stella gehört sozusagen irgendwie zu meiner Verwandtschaft«, auch wenn ich noch immer nicht wusste zu welcher eigentlich genau. »Ich wohne jetzt hier und hoffe, dass du einen Job für mich hast.« 

Prompt versuchte ich mich an einem kleinen Lächeln, um nicht wieder an Mom und Dad zu denken. Ich sprach nicht gerne darüber. Nicht was vor einem Jahr passierte. Und erst recht nicht wie es mir dabei ging. Das verletzte mich noch immer viel zu sehr. Immerhin hatte ich sonst niemanden mehr. Außer nur noch die junge Frau direkt neben mir und auch irgendwo Viola, wenn sie ihre Schwester war. Möglicherweise gab es noch viele mehr und ich konnte den ein oder andern bald treffen.

Kurz hielt ich die Luft an und blies sie zugleich wieder nach draußen. Ja. Mir ging es soweit gut, auch wenn mich dieser Traum vor einigen Stunden noch immer verfolgte. Besser als allein in meinem alten Kaff zu hocken. Es war doch alles okay, oder? Irgendwie schon. Deswegen streckte ich voller Elan meine Hand noch einmal aus und stellte mich vor. »Ich bin Heaven«, stellte ich mich vor. »Gary.« Er ergriff meine Finger erneut und nickte mir freundlich zu. Einen Augenblick zuvor schien er über etwas zu grübeln. Schon fast verwirrt streifte sein Blick mein Gesicht. Trotz alledem schob er den Gedanken wieder beiseite und tat so, als wäre nie etwas gewesen. Seine Mimik änderte sich zum wiederholten Male und seine Stimmung wurde sichtbar fröhlicher. Oder er versuchte einfach bloß abzulenken und es zu überspielen. Keine Ahnung. Manchmal sollte man auch nicht so viel in Sachen hineininterpretieren, wie ich es ständig machte.

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt