Kapitel 97

1.8K 118 5
                                    

Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage wovor.


Rasend durchquerten wir den Wald, in dem wir uns befanden und jeden Augenblick musste ich mich zusammenreißen mich nicht wieder von der Ohnmacht übermannen zu lassen. Nicht nur mein Magen rumorte wegen des fehlenden Essens, sondern auch meine Übelkeit ließ kein Bisschen nach. Am liebsten hätte ich in den Wagen gekotzt, aber was hätte es mir eingebracht, außer eine Tracht Prügel? Nichts. Deswegen probierte ich, so gut wie es ging; mir nicht anmerken zu lassen, wie schlecht ich mich eigentlich fühlte. Doch es war schwer, da der VAN nicht gerade sanft um die Kurven fuhr.

Außerdem war die Straße sicherlich seit Jahren nicht mehr überholt wurden, wobei die ständigen Stöße nicht unbedingt zu meinem Wohlbefinden herbeiführten. Scheiße. Ich presste meine Lider zusammen und versuchte an etwas Schönes zu denken, aber an was? Das einzige Bild, was ich vor Augen hatte, war Duncan, wie er da halb am Verbluten vor mir lag. Nichts anderes. Auch, wenn ich mir versuchte Dinge vorzustellen, wurden sie trotz dessen immer von Schmerz und Qualen überholt. Und die Situation in der ich mich befand, machte es auch nicht unbedingt besser.

»Kannst du nicht schneller fahren?«, bluffte mein Vater neben mir und holte mich somit wieder aus meinen Gedanken heraus. Seine Hand umklammerte mich hart im Nacken. Was sollte das? Glaubte er daran, dass ich aus dem fahrenden Wagen sprang? Das wäre Selbstmord, aber um ehrlich zu sein, hatte ich es wirklich in Erwägung gezogen. Vielleicht war es besser zu sterben und zu verschwinden. Alles wäre einfacher. Jonathan würde mich endlich in Ruhe lassen und wahrscheinlich an seinem eigenen Hass zu Grunde gehen. Die Hoffnung, die ich in mir trug wurde nämlich so klein, dass auch der winzige Funke in mir verschwand.

Meine Mundwinkel kippten weiter nach unten und ich schluchzte auf. Tränen begannen wieder über meine Wangen zu laufen. Wer ging auch nicht in dieser Lage kaputt? Zwar dachte ich immer daran, dass ich stark war; es schaffen konnte, aber er hatte mich gebrochen. Das alles zerstörte mich. Jedes Mal ein Stückchen mehr. Der Griff in meinem Nacken wurde dabei fester. Erneut bohrten sich scharfe Nägel in meine Haut. »Hör auf zu heulen verdammt noch mal. Gott... Wo bin ich hier nur gelandet? Glaubst du, damit änderst du deine Situation?«

Ich presste die Lider fester zusammen. Zweifelsohne änderte es nichts daran, doch immerhin hatte ich auch noch Gefühle. So leicht verschwanden sie nicht. Außerdem tat mir alles weh und mir ging es auch nicht gut. Einen Moment dachte ich daran, wenn ich es wirklich schaffte; das alles, ob es meinem Kind dann auch gut ging. Freilich hätte ich es schon längst verloren, wäre ich ein normaler Mensch und auch, wenn mir James erklärte, dass es dazu eigentlich nicht kommen konnte, breitete sich die Sorge darüber bis ins Unermessliche aus. Ich wollte doch bloß mit Duncan glücklich werden. War das zu viel verlangt, nach der ganzen Scheiße, die ich durchmachen musste? Ich wollte nun wirklich nicht viel. Kein Geld. Nichts. Hauptsache meinem Gefährten und dem Kind ging es gut. 

Unwillkürlich wollte ich die Hand auf meinen Bauch legen. Wenn ich saß, konnte man sogar schon eine Wölbung erkennen, doch auch nur, weil ich noch immer nackt war. Aber wie konnte ich auch annehmen, dass man mir ein paar Klamotten gab? Ich zitterte, unterließ die Berührung mit Absicht. Nicht, weil ich dachte, dass ich mich vielleicht bald von dem kleinen Wesen verabschieden musste, sondern weil die Angst in mir nagte, dass es mein Vater bemerkte. Die Konsequenz darin würde wahrscheinlich darin bestehen, dass er es mir schon in diesem Moment herausriss. Das wollte ich nicht. Das konnte ich einfach nicht. Um Gottes Himmels Willen. Auch wenn mich das alles am Anfang extrem überraschte, dass das passierte, darüber hinaus konnte ich es mir ja schon vorher denken; fing ich unwillkürlich an, es zu lieben. Ich war so verdammt zerrissen. Was sollte ich nur machen, um Jonathan zu entkommen? 

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt