Kapitel 6

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  Das Leben ist eine für den und eine für die, welche fühlen.  


Das Klingeln an der Tür, was gar nicht mehr aufhörte, ließ mich aufschrecken. Es klang echt penetrant und nicht nur das war es, sondern auch Stella, die auf einmal so starr dastand, als wäre sie eine Statue und kein Mensch mehr. Ihr Blick kreuzte kurz meinen, indem sie nach hinten schaute. Was ich darin sah, konnte ich nicht deuten. Wut? Ein wenig Nervosität? Fast glaubte ich daran, dass sie wusste, wer davorstand. Sie versuchte sich zwar nichts anmerken zu lassen, doch in dieser Hinsicht hatte ich sie schon längst durchschaut. Wie eine gefühlte Ewigkeit kam mir ihre Starre vor. Kurz schien sie sich zu sammeln, setzte aber ihren Weg zugleich fort. Ich folgte ihr weiter die Stufen nach unten, doch erneut hielt sie inne, als wir unten ankamen. »Setz du dich einfach in die Küche und bleibe dort. Ich werde gleich zu dir kommen.« Sie wirkte tatsächlich etwas aufgeregt, doch nicht im positiven Sinn.

»Erwartest du Besuch?«, fragte ich stattdessen geradeaus, aber sie schüttelte nur mit dem Kopf. »Eigentlich nicht, doch ich denke, dass es nichts Wichtiges sein wird« und ihr Blick fiel erneut zur Haustür. Die ganze Zeit fand ich sie ziemlich selbstbewusst, aber ihre Mimik und Gestik änderte sich sekündlich. Vor allem, nachdem es klingelte. Trotz dessen tat ich was sie verlange und verschwand in den Raum, wo ich hinsollte und ließ fast lautlos den Stuhl über die Fliesen gleiten. Es ging mich ja auch nichts an. Trotz alledem war ich ein echt neugieriger Mensch. Ich war lange allein gewesen und freute mich auf jede Gesellschaft, die ich kriegen konnte. Vielleicht lernte ich noch jemanden kennen, der nicht so ein Biest wie diese Viola war. 

Leise setzte ich mich und legte meine Arme auf das Holz vor mir ab. Dann hielt ich den Atem ziemlich flach und versuchte etwas zu verstehen. Stella öffnete in dem Moment die Tür und sprach gedämpft: »Was machst du hier?« Mal schauen wer das ist. »Was wohl! Ich will wissen, wenn du jemanden Neues in meine Stadt bringst.« Ihr Kichern klang nervös, was mich schlagartig unruhig werden ließ. Ein Mann. Wer war das genau? Auf alle Fälle drang seine Stimme rau und dunkel durch den Flur. Fast schon düster, gefährlich; sodass sich automatisch meine Nackenhaare unwillkürlich aufstellten und eine Gänsehaut über meine nackten Arme fuhr, die ich sofort rieb. Dann glitt ich leicht zitternd mit den Fingern über meinen Nacken. Dieses Gefühl musste ich dringend wieder loswerden, was zu diesem Zeitpunkt in mein Innerstes kroch. Es war nicht zu definieren. Eigenartig. Noch nie zuvor hatte ich so etwas gefühlt. Lag das an diesem Ort oder am mangelnden Schlaf?

Warum will er wissen wer hier ist? Weshalb redet er, als wäre es seine Stadt? Will er mich verarschen? Immerhin sind wir in Chicago, ging mir durch den Kopf. Und erst recht fragte ich mich, wie man bloß so arrogant herüberkommen konnte. Das war doch nicht normal. Hatte Stella vielleicht irgendetwas mit einer Gang zu tun? Was wenn ja? Zumindest war es nicht zu erklären und ich verstand das alles nicht. Es hätte Vieles sein können, aber definitiv etwas Gefährliches. Fröstelnd rieb ich mir erneut über die Arme. Sie sollte mich auf gar keinen Fall in irgendeine Scheiße ziehen, denn dann drehte ich durch. »Stell dich nicht so an. Ich will nur einen Blick auf sie werfen. Nun komm schon«, hörte ich ihn sprechen. »Das kannst du vergessen. Du wirst sie in Ruhe lassen. Sie gehört nicht dazu«, gab Stella ganz leise zurück. 

»Solang, wie sie ihren Fuß in mein Territorium steckt, wird jeder Schritt von ihr beobachtet werden. Sie gehört hier nicht her. Es interessiert mich, was in meinem Zuhause abläuft. Vor allem, wenn jemand in meinem Haus wohnt, der dort nicht hingehört.« In seinem Haus? »Es war das Haus meiner Urgroßeltern«, hörte man Stella hart sagen, aber ich bemerkte, wie ihre selbstbewusste Fassade unter seiner Stimme langsam bröckelte. Diese begann leicht zu zittern. »Das stimmt, aber vergiss nicht, dass ich dafür gesorgt habe, dass ihr es wiederbekommt.« Dann entstand eine lange Pause. Zumindest nahm ich das an, weil ich keinen weiter hörte. Nebenbei schaute ich aus dem Fenster. 

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt