Kapitel 89

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Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage wovor.


Duncan, dachte ich auf der Stelle, aber leider war er es nicht. Irgendwie schmerzte es tief in meiner Brust und eigentlich war es mein sehnlichster Wunsch, wenn er einfach nur wieder bei mir gewesen wäre und irgendwie kam in diesem Augenblick schlussendlich auch das Tief, was ich vermeiden wollte. Alles wurde in mir zerstört. Meinen Mate nicht bei mir zu wissen, brachte mich regelrecht um. Er rannte in den Flammen umher. Ohne mich. Ich ohne ihn. Dann die Sache mit Gary, was sich jedoch noch immer nicht in meinen Gedanken einfinden ließ. Möglicherweise war es auch etwas, was ich nicht wahrhaben durfte.

Trotz dessen verschwammen unvermittelt Tränen meine Sicht und zugleich erinnerte ich mich daran, auch wenn ich doch irgendwo dieses Tier war, dass ich noch immer eine menschliche Seite in mir hatte. Diese machte mich schwach; auch wenn meine Wölfin viel stärker war. Möglicherweise war es aus diesem Grund bei mir anders, weil ich mich noch nicht richtig an das Ganze gewöhnt hatte. Dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich überhaupt jemand war, der immer stark sein konnte. Ich war verletzlich; mehr wie die anderen, was jedoch eine Charaktereigenschaft war, die ich nicht komplett missen wollte, wenn ich an meinen Vater dachte. Noch beim Rennen schüttelte ich meinen Kopf, stürmte näher zu Josh, um den fehlenden Halt in diesem Moment bei ihm zu finden. Er beruhigte mich zwar nicht wirklich; allerdings waren da diese Empfindungen, die zeigten, dass ich noch immer nicht verloren war. 

Kurz darauf hörte ich auch schon ein Knurren. Ich erkannte es klar und deutlich, von wem dieses stammte. Es war Clara. Als ich etwas meinen Kopf etwas nach hinten drehte, erkannte ich, wie sie wie eine Verrückte auf dem Rücken meines Angreifers hing und sich regelrecht an ihm festklammerte und die Reißzähne in sein Fell schlug. Dieser versuchte selbstverständlich die helle Wölfin von der Pelle zu kriegen. Ungeachtet dessen klappte das nicht, wie er das wollte. Ganz im Gegenteil. Sie biss sich so stark in seinen Nacken fest, dass ich buchstäblich hören konnte, wie sie ihre scharfen langen Eckzähne in sein zähes Fleisch bohrte. 

Auf der Stelle richtete sich mein schwarzes Nackenfell noch weiter auf, weil ich dieses Geräusch kaum ertragen konnte. Es klang so verdammt widerlich. »Komm schon. Sieh nicht nach hinten«, nahm ich in meinem Kopf wahr und blickte prompt Joshua in die braunen Augen. Leichter gesagt, als getan. Es war extrem schwierig nicht zurückzuschauen und um ehrlich zu sein, entstand da in mir dieser Drang. Clara rettete mir bei Jonathans Hütte schon den Arsch, sodass ich fliehen konnte. Sie kam nur mit einem blauen Auge davon, aber was war, wenn ihr nun etwas passierte? Dieser Mann würde die junge Frau ohne mit der Wimper zu zucken töten; falls er sie in die Finger bekam und ich bemerkte auch, dass es ihr langsam aber sicher, die Kraft kostete.

Er war nun einmal stärker. Mir war mehr als nur klar, dass sie ihn damit ablenken wollte und mir die Chance somit gab, zu verschwinden. Es ging allerdings nicht. Ich konnte sie doch nicht sich selbst überlassen. Auch wenn da die Eifersucht am Anfang in mir nagte, weil sie mit Duncan zuvor verlobt war, hatte sich das mittlerweile eindeutig geändert. Ihre Art und Weise gegenüber mir und anderen war komplett in Ordnung und dass sie nun mit Shane für immer zusammen sein musste, dafür konnte sie nichts. Apropos Shane. Wo zum Teufel steckt er überhaupt? Normalerweise dürfte er gar nicht allzu weit von seiner Gefährtin weg sein. Zumindest, auch wenn er ein Arschloch war, wusste jeder, dass er sie niemals im Stich ließ. Nicht wie Duncan mich in diesem Augenblick.

Und wie gedacht, dauerte es bloß wenige Sekunden, da hetzte er auch schon in Windeseile hinter uns allen her. Sein braunes Fell, sah gar nicht mehr wie zuvor aus. Fast hätte ich ihn überhaupt nicht erkannt. Die Pranken waren voller Blut und Ruß, was die Szenerie noch unheimlicher machte. Er hinkte etwas an der linken Flanke, was ihn nicht wirklich kümmerte. Er hatte nur den einen Gedanken: Er wollte zu seiner Mate; sie beschützen und plötzlich erkannte ich etwas in ihm, was ich noch niemals zuvor bei diesem Mann sah. Er hatte Angst. Sie stand ihn wortwörtlich im Gesicht geschrieben, was eigentlich gar nicht zu ihm passte.

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt