Kapitel 2

7.4K 292 40
                                    

Wer um des Friedens Willen lügt, führt in Wahrheit nur Krieg mit sich selbst.


Als ich in Chicago ankam war ich vollkommen überwältigt von dieser Stadt. Es war gar nicht zu fassen, dass ich es tatsächlich getan hatte und hinfuhr. Hinzukommend war ich echt froh, dass es mein Schrotthaufen leibhaftig schaffte noch immer zu laufen. Die ganzen Hochhäuser waren erschreckend. So etwas kannte ich nur aus dem Fernsehen. Unglaublich, traumhaft und doch unfassbar einschüchternd. Das ich allerdings weiter durch diese Stadt musste, störte mich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich genoss es. Bis sich die riesigen Gebäude nach einiger Zeit wieder nach und nach lichteten. Normale Häuser wurden sichtbar. Kleinere. Ebenso die Menschen weniger.

Ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen und ich zog einen Zettel, auf dem ich vor einigen Stunden etwas kritzelte, aus dem Handschuhfach. Dort stand eine Adresse drauf. Stella meinte sie wohnte am Stadtrand in einem schicken Reihenhaus mit kleinem Garten und rotem Backstein. Ich würde es nicht verfehlen; sagte sie mir noch zuvor am Telefon. Ich war echt gespannt. Verwöhnt war ich nicht. Ich gab mich oft mit kleinen Dingen zufrieden. Auch mit einer Wohnung hätte ich mich abgefunden und kurz darauf schaltete ich das Navi an meinem Handy, an einer roten Ampel, ein. Eilig tippte ich auf dem Smartphone herum, damit es mich zu meinem Ziel brachte. Sofort wurde die Straße gefunden.

Erleichtert ließ ich die angehaltene Luft aus meinen Lungen strömen und zuckte erschrocken zusammen, als es hinter mir hupte. »Wird das bald mal was? Fahr gefälligst mit deiner Schrottmöhre weiter«, krakeelte ein Mann im mittleren Alter hinter mir und ich trat auf das Gas. Nicht ohne ihm noch meinen Mittelfinger entgegenzustrecken, als er an mir vorbeifuhr. Idiot. »Arschloch«, schrie ich ihm hinterher, aber er zeigte mir nur den Vogel. Das geht auch freundlicher. Er sah genau, dass ich nicht von hier kam, also konnte man schon ein bisschen Verständnis mit mir haben, oder? Doch ich versuchte meine aufkeimende angenervte Stimmung im Inneren zu unterdrücken und so zu tun, als wäre dieser Blödmann gar nicht dagewesen.

Die vollgestopften Straßen war ich eindeutig nicht gewohnt und immer wieder fuhr ich auf der falschen Spur, obwohl ich mich nach dem Navi richtete, aber da nicht nur eine geradeaus ging, umso schwerer für mich. Ich kotzte innerlich ab, schaffte es dann aber nach fast zwei Stunden tatsächlich an meinem Ziel anzukommen. Auch das Haus stach mir gleich ins Auge, ungeachtet dessen ich mich schon auf das Schlimmste vorbereitete, denn perfekt konnte es nach dem ganzen Pech, was mich verfolgte, bestimmt nicht laufen. Zumindest schritt ich nicht mit großen Anforderungen in mein neues Leben. Jedoch klappte mir die Kinnlade herunter und ich musste mehrmals hinschauen, ob ich auch richtig war. Es war so, wie Stella es beschrieb. Jedenfalls, was die Sache mit der Farbe betraf. Der Rest eher... untertrieben.

Von wegen klein. Ziemlich auffällig prunkte dieses Monster vor meiner Nase und es glich eher einiger riesigen Villa, wenn man die anderen großen weißen Häuser daneben betrachtete. Doch das war nicht mein wirkliches Problem; sondern, dass es kaum Parkplätze gab. Eine Garage schien sie nämlich nicht zu haben. Ich konnte nur an der Seite der Straße parken und das sah ziemlich knapp bemessen aus. Deshalb fuhr ich erst einmal daran vorbei. Weiter den Weg entlang; langsamer als vorher, weil mir nichts anderes übrigblieb und dann erblickte ich tatsächlich noch eine Möglichkeit meinen Wagen abzustellen. Natürlich war diese Einbuchtung allerdings so schmal, dass ich einige Versuche länger brauchte zu parken.

Endlich geschafft, seufzte ich laut auf und ließ meine Stirn auf das Lenkrad fallen. Das hieß, dass der Weg mit meinen Koffern weiter als gedacht war. Aus diesem Grund stieg ich maulend aus dem Wagen und wurde von einer Woge aus frischer Luft getroffen. Für mein Befinden etwas zu frisch. Ich war echt im Arsch. Müde war gar kein Ausdruck mehr dafür. Immerhin hatte ich keinen zweiten Fahrer auf der ganzen Strecke. Fröstelnd rieb ich mir über die nackten Arme und schaute die Straße herunter. Weiter hinten lag ein dunkler Nadelwald, der mich sofort erschaudern ließ. Ich hasste Nadelwälder. Schon je her. Sie waren gruselig, eindeutig unheimlich und so sah dieser aus. Schon gar nicht wollte ich daran denken, was sich darin alles verbarg.

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt