Teil 129

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"Dana, bist du jetzt endlich fertig? Komm sonst wird es ja dunkel bis wir los laufen..." ungeduldig geht Max im Flur auf und ab. Da ich nun wieder fit war beschloss Max mich voll einzuspannen und alle zwei Tage unter Leitung von Herrn M'Barek Nr. 3 Sport zu machen. Raphael war immer noch hartnäckig am trainieren und hatte die Hoffnung mit Sport irgendwann groß durchzustarten und sein Geld zu verdienen. Wir waren die Versuchskaninchen. Das erste Mal waren wir eindeutig mehr Motivierte als heute. Da hatten wir auch alle noch gelacht bevor es los ging, zwei Stunden später wollte jeder nur noch nach Hause. Karina und Lena blieben eisern mit mir und Max am Start. Lu, Flo, Joseph und Alex hingegen ließen zu wünschen übrig. Mal kam der eine, mal der andere und mal keiner. So wie auch heute. Die übliche Konstellation aus uns fünf Eisernen wollte auch heute wieder in Richtung Olympiapark starten. Zugegebenermaßen wäre ich wohl auch eher eine die mal kommt und mal nicht, allerdings ließ mir Max dazu keine Chance. Pünktlich 18 Uhr stand er auf der Matte damit wir auch ja um 18.30 Uhr am Rotkreuzplatz auf die anderen stießen. Die Beharrlichkeit gefiel mir allerdings, denn schon nach zehn Wochen waren echt Fortschritte sichtbar, zumindest konnten wir uns jetzt schon unterhalten und krächzten nicht mehr notgedrungen Wörter aus unserer Lunge. Ich nahm es auch als gute Ablenkung war. Es war zwar nicht leicht Raph zu sehen, da er ziemlich viele Züge seines Bruders hatte, aber es half dabei zu vergessen. Wieso vergessen, die letzten Wochen waren der Horror. Nachdem Li immer und immer mehr eingespannt wurde und mal hier, mal dort aber nie in München war, ging es mir emotional sichtlich schlecht. Ich deckte mich mit Arbeit ein. Teilweise war ich froh um den enormen Stress und die vielen Überstunden bis teils tief in die Nacht. Da die zu bearbeitenden Verträge in englisch waren hatte ich auch keine Zeit abzuschweifen und zu grübeln. Das kam jedoch spätestens zu Hause wenn ich schlafen sollte oder schon in der Ubahn. Manchmal nahm ich es gelassen und manchmal, leider viel zu oft, liefen die Tränen lautlos über meine Wangen. Ja Li hatte sich dazu entschieden auf Abstand zu gehen. Anfangs meldeten wir uns sporadisch bzw ich mehrmals täglich, leider kamen seine Rückrufe selten oder zu den ungünstigsten Zeiten. Li schrieb mir dann oft, beteuerte wie sehr er mich vermisse und irgendwann dass er das so nicht mehr kann, seine Gefühle sind zu stark und er würde zu sehr leiden, er sehe dass es uns beiden damit zu schlecht gehe und er momentan nichts ändern kann und es wohl einfacher wäre, wenn wir das erstmal auf Eis legen. Den Entschluss präsentierte er mir vier Wochen nach seiner Abreise. Als diese Nachricht - ja genau als Nachricht kam es bei mir an, nicht in einem Telefonat in dem ich etwas erwidern hätte können, nein als plumpe beschissene Nachricht - zig mal von mir gelesen wurde, schleuderte ich mein Handy gegen die Wand. Er hatte auch noch eine perfekte Zeit gewählt, nämlich genau so, dass ich sie in meiner sowieso schon hektischen Mittagspause die darin bestand schnell was zwischen die Beißerchen zu bekommen, genau in dem Moment gelesen hatte als ich die Treppe vom Büro aus nahm. Erstmal dachte ich an einen schlechten Scherz. Mir wurde plötzlich heiss und meine Hände zitterten. Doch immer und immer wieder las ich sie und kein einziges Wort änderte sich. Die letzten Stufen schaffte ich nur indem ich mich am Geländer festhielt. Mein Kopf dröhnte. Irgendwie blieb die Zeit stehen. Jemand legte seine Hand auf meinen Oberarm, wie in Zeitlupe sah ich zur Seite und meine Kollegin stand nehmen mir und hielt mir etwas vors Gesicht. Erst jetzt bemerkte sie meinen leeren Blick und die Tränen die mittlerweile meine Augen verlassen hatten und sich einen Weg auf meine Chiffonbluse bahnten. "Süße, was ist los?" fragte mich Martina irritiert "Du hast das Büro so schnell verlassen und dabei deine Weste in der Tür eingeklemmt. Angesichts der Temperaturen wollte ich sie dir schnell bringen, aber ...". Sie redete nicht weiter, nahm mich einfach nur in den Arm und ein lauter qualvoller Laut verließ meinen Mund. Es dauerte bis mein Körper nicht mehr durch die immer wieder auftretenden Weinkrämpfe gebeutelt wurde. Erst als ich mich beruhigt hatte und nicht mehr hektisch nach Luft schnappte ließ Martina mich wieder los. "Dana was ist passiert? Rede mit mir." Redete sie auf mich ein. Ich hielt ihr nur das Handy hin und gab ihr zu verstehen sie solle es lesen. Das tat sie. Martina war eine super Kollegin. Sie war auch von der Provinz nach München gekommen und meisterte hier ihr Leben. Da wir so ziemlich den gleichen Weg hinter uns hatten verband uns einfach etwas und so konnte ich gut mit ihr reden und ihr einiges anvertrauen, wie auch die Beziehung mit Elyas. Sie sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. "Ja genau. So ist es." waren die letzten Worte bis ich das Handy gegen die Treppenhauswand knallte. Es war lauter als gedacht und wohl auch oben vor dem Büro zu hören denn ich hörte meinen Chef von oben irritiert rufen was hier unten los sei. Martina sah ihn mit den Anwälten der Gegenseite herunterkommen und bugsierte mich nach unten zu den Fahrstühlen die vom Treppenhaus abgetrennt lagen. "Dana du wartest hier. Ich hole meine Jacke, beweg jetzt bloß nicht deinen Arsch hier weg." Und schon war sie im Aufzug verschwunden. Mit leerem Blick stand ich da, ohne Gedanken, einfach nur mit leerem Kopf. Martina ging mit mir in eine etwas abgelegene Bäckerei und versorgte mich mit einem Sandwich. Auf ihre vielen Fragen antwortete ich nicht. Man könnte sagen dass ich apathisch in die Ferne starrte. Nach zwei Bissen war mir der Hunger vergangen. Zurück in der Kanzlei versuchte ich meinen PC mittels Passwort freizuschalten. Nachdem ich es zig mal versucht hatte und sich nichts tat bis auf die Meldung 'Kennwort falsch' lehnte ich mich zurück und eine weitere Tränenwelle überkam mich. Meine Kollegin kam gerade zu mir in den Raum, legte die Teile meines Handys auf den Tisch und schloss die Tür. "Süße ich meld dich ab beim Chef, ok? Es macht jetzt wohl kaum Sinn, dass du weiter machst. Ich spring ein, dass kriegen wir schon.". Fürsorglich tätschelte die meinen Arm. "Was soll ich denn machen, ich werde doch zu Hause verrückt..." schluchzte ich ihr entgegen ohne meinen Blick vom Handy abzuwenden.

Keine halbe Stunde später befand ich mich auf den Strassen Münchens. Ich konnte nicht mal jemanden anrufen. Die Nummern kannte ich nicht auswendig und so wie die Reste meines Handys aussahen war es nicht mehr zu retten. Immer und immer wieder liefen Tränen, ich setzte mich auf eine Bank, die Leute rauschten nur so an mir vorbei. Erst als es schon dunkel war und ich am ganzen Körper vor Kälte bibberte schlug ich den Weg nach Hause ein, zu Fuß. Der Herbst kam schneller als erwartet.

Herz über Kopf - Am Ende siegt die VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt