STOP! (Teil 2)

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Meine Lieben,
Joana hat es sich gewünscht und hier ist sie.
Die Fortsetzung zur Erinnerung „Kalt".
Das Rad der Zeit wird also wieder einmal nach vorne gedreht.
Christian Grey ist hier 14 Jahre alt und ja, wie immer wünsche ich euch ganz viel Spaß beim Lesen.

Grüßle Ina
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Rückblende:
„Sag gute Nacht Grey", höre ich den, der rechts von dem braunäugigen Jungen steht mit kalter Stimme sagen.
Haben diese Leute kein Gewissen?
Macht es denen etwa Spaß, andere niederzuschlagen?
In mir macht sich die Wut breit... und genau diese Wut mache ich mir zunutze.
„Lasst mich!" schreie ich sie wutentbrannt an.
Dann hebe ich meine Hand... und schlage zu.

‚Lasst mich in Ruhe ihr Idioten!'



Jänner, 1998


Will zuschlagen... aber meine Finger werden grob gepackt und unsanft nach unten gerissen.
Ich schreie.
Laut, aber niemand hört mich.
Der Junge mit den braunen Augen zieht mich wieder nach oben, ehe er mich unsanft an die raue Steinwand drückt. Schwer atmend ringe ich nach Luft.
Der Regen, der noch immer erbarmungslos vom grauen Himmel hinabfällt, durchnässt meine Kleidung.
„Na?", zischt der braunäugige Unbekannte, „jetzt hast du wohl nicht mehr so eine große Klappe, was?"
Ich schaue ihn wütend und entsetzt zugleich an.
Jedoch steht mir vermutlich die Angst ins Gesicht geschrieben.
„Ich rede mit dir!", schreit er mich an.
Seine Stimme überschlägt sich vor Wut.
Mein Herz rast.
In mir pure Panik. Nichts als Angst.
Fuck!
Der Junge mit den braunen Augen packt mich grob am Kragen und schüttelt mich.
Augenblicklich wird mir schwindlig.
‚Nicht aufgeben Grey! Bleib stark!'
Abermals ein grobes Rütteln, dann werde ich erneut unsanft gegen den rauen Putz gedrückt... und ehe ich mich versehe wird mir eine Hand mitten ins Gesicht geklatscht.
Das Einzige was ich spüre ist Schmerz. Aber ich habe in meinem Leben bereits schon so viel Leid ertragen, dass ich nicht zu weinen beginne.
Mein Kopf fällt lediglich zur Seite. Ich richte mich wieder auf und blicke den Jungen einfach nur an.
„Scheißkerl!", schreit er.
Wieder ein Schlag mitten ins Gesicht. Diesmal klatscht er mir seine rechte Hand auf die andere Wange.
In meinem Kopf taucht die Frage auf, warum er das alles macht. Warum dieser Junge mir wehtut.
Ich kenne ihn doch noch nicht einmal!
Aber ein anderer Typ hat meinen Nachnamen erwähnt. Er scheint mich zu kennen.
Woher ist mir jedoch rätselhaft.
Erschöpft blicke ich zu dem Jugendlichen rechts von dem Braunäugigen. Er hat seine Kapuze eindeutig am tiefsten ins Gesicht gezogen. Mir scheint es so, als ob er um keinen Preis der Welt erkannt werden will. Ob ich ihn kenne?
Doch ehe ich noch weiter darüber nachdenken kann, wird mir ein fester Stoß in den Bauch versetzt.
Schmerzhaft keuche ich auf.
Abermals Schwindel.
„Das war für den Ladendiebstahl", faucht der Braunäugige stocksauer.
Verzweifelt versuche ich mich zu erinnern.
Für den Ladendiebstahl?
Welchen Diebstahl.
Welcher Laden?
‚Verdammt Grey! Denk' nach!'
Mein Gehirn rattert. Ich überlege und überlege und dann, dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen.
Natürlich.
Diesen Laden musste der Fremde vor mir meinen!
Das Geschäft, aus dem ich das Schmuckstück gestohlen habe, um es allen zu beweisen, um es mir selbst zu beweisen...
Ich habe geklaut und das nur, um dazuzugehören.
‚Für alles kriegt man irgendwann die Rechnung präsentiert', das hat mir mal ein Seelenklempner gesagt. Mir erschaudert.
Jetzt gehöre ich zwar dazu, habe es ja geschafft, das silberne Armband unbemerkt aus dem Laden mitzunehmen, aber fühle ich mich jetzt wirklich besser? Manchmal schon, aber eigentlich nicht.
Ach, dieses verdammte Armband, das sich in diesem Moment in meiner Jackentasche befindet.
Scheiße!
Die blanke Angst packt mich erneut und all meine Alarmglocken läuten auf Hochtouren.
In meinem Inneren zieht sich alles zusammen.
Fuck!
Vor meinem inneren Auge sehe ich mich selbst auf der Couch in unserem Wohnzimmer sitzen. Grace ist auch da. Sie fragt, was mit los ist und warum ich nicht mit ihr rede. Einen Tag nach dem Ladendiebstahl hat sich genau dieses Szenario in unserem Haus abgespielt. Letztlich hatte ich alles auf die Schule, Hausaufgaben und anstehende Tests und Arbeiten geschoben. Mom hatte mir geglaubt, wie fast immer.
Ein weiterer, kräftiger Stoß. Diesmal mitten in meinen Bauch.
Das Bild vor meinen Augen verblasst. Stattdessen machen sich schwarze Punkte breit und vernebeln mir die Sicht.
Der Jugendliche scheint all seine Wut hineinzulegen.
Ob er der Sohn der Ladenbesitzerin ist? Vermutlich ja.
Mir schaudert. Aber woher zum Teufel kennt der andere Junge meinen Namen? Die Frage lässt mir einfach keine Ruhe. Brennt in mir. Wie ein Feuer, das man einfach nicht auslöschen kann.
Abermals Schmerz.
Ich schreie.
Dann lässt der Junge von mir ab.
Endlich.
Ich habe wieder Luft zum Atmen.
Die schwarzen Punkte verflüchtigen sich ein wenig. Meine Sicht wird wieder klarer.
Der Unbekannte dreht sich zu seinem linken Partner.
Er schaut ihn eine Weile an, ehe er auf mich deutet. Der Fremde nickt und macht einige Schritte nach vorn, dann baut er sich vor mir auf.
‚Scheiße, Grey! Zu früh gefreut!'
Er schlägt ebenfalls. Nicht so hart wie der andere, aber er haut zu.
Scheint nicht so wütend wie sein Partner zu sein.
Der Schmerz ist allgegenwertig... ist überall. Ich schließe die Augen, während ich noch immer die Fäuste auf mir spüre. Das Gefühl droht mich zu zerdrücken. Ich zittere am ganzen Körper. Um mich abzulenken, überlege ich krampfhaft, wer von den Dreien das Sagen hat. Letztlich komme ich zu dem Schluss, dass es der sein muss, der mich als erster geschlagen hat. Vermutlich ist dieser Kerl auch der Sohn der Ladenbesitzerin, aus dessen Geschäft ich das scheiß Armband geklaut habe. Ja, vermutlich. Er muss es irgendwie herausgefunden haben und ist jetzt stocksauer... klar, warum seine Schläge so fest waren.
Ob mich jemand aus der Gang verpfiffen hat?
Bei dem Gedanken daran wird mir speiübel.
Meine ganze Welt dreht sich.
Warum bin ich nach der Schule nicht mit zu Tony nach Hause gegangen? Er hatte mich doch eingeladen. Ich hätte sein Angebot nach dem Unterricht zu ihm zu kommen, einfach annehmen sollen, anstatt zu mir nach Hause zu gehen. Ach so ein Mist! Tja, ändern kann ich das jetzt auch nicht mehr. Jetzt sitze ich in der Scheiße und zwar so richtig.
‚Verdammt Grey!'
Nach einigen Sekunden spüre ich keine Fäuste mehr.
Zum Glück.
Erschöpft und völlig am Ende öffne ich vorsichtig meine Augen.
‚Oh nein!'
Erneut erspähe ich den Jungen unter dessen Kapuze mich die braunen Augen wütend anfunkeln. Und wieder zeigt er auf mich.
Fuck!
Ich werde sterben, wenn die so weitermachen.
‚Hört auf ihr Arschlöcher! Hört sofort auf damit! Lasst mich verdammt noch mal in Ruhe! Das mit dem Armband tut mir Leid!'
Diesmal kommt der, der rechts von dem Braunäugigen gestanden ist auf mich zu. Er geht langsam, hat seine schwarze Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Vor mir angekommen hebt er seine Hand.
‚Es tut mir Leid.', will ich sagen, ‚Das mit dem Armband war nicht richtig! ES TUT MIR LEID!' Jedoch finden die Wort ihren Weg einfach nicht nach draußen... bleiben nichts als ein flüchtiger, ängstlicher Gedanken.
Der Unbekannte schlägt zu.
Einmal.
Zweimal.
Trifft mein Ohr, meine Nase.
Blut tropft. Eine Weile höre ich gar nichts.
Der Jugendliche, dessen Gesicht ich nicht erkennen kann, holt abermals aus.
„STOP!"
Die Stimme, die auf einmal wie aus dem Nichts auftaucht, ist schneidend.
Und ehe ich noch weiter darüber nachdenken kann, wem sie gehört, packen zwei kräftige Hände den Jungen, der vor mir steht, und ziehen ihn schwungvoll nach hinten.
Ich bin frei.... kann wieder atmen.
Endlich!
Mit all meiner Kraft versuche ich meinen Herzschlag zu beruhigen.
‚Alles ist gut Grey. Jemand ist gekommen, um dir zu helfen. Alles ist gut! Nur keine Panik.'
Wie ein Mantra sage ich mir diese Sätze in Gedanken immer und immer wieder, um nicht in Schockstarre zu verfallen.
„Ja", vernehme ich abermals die Stimme meines Retters, „haut nur ab ihr jämmerlichen Feiglinge!"
Erst jetzt erkenne ich die Stimme.
Tony.
Ich bin heilfroh, dass er da ist.
Wir sind noch nicht so lange befreundet.
Aber er ist gekommen, gekommen um mich zu retten.
Wie gebannt starre ich in seine Richtung.
Ruhig steht er da.
Denjenigen, der mich als Letzter geschlagen hat, hält Tony vom Flüchten ab. Mein Freund hat die Hand des Unbekannten verdreht und blickt in meine Richtung.
„Hat der dir das angetan?", fragt er... seine Stimme bebt.
Schwach nicke ich.
Der Unbekannte, den Tony in Schach hält und der noch immer seine schwarze Kapuze tief ins Gesicht gezogen hat, versucht sich aus seinem Griff zu befreien.
Tony dreht sich blitzschnell um... verstärkt seinen Handgriff.
„Lass das!", zischt er wütend, ehe Tony den Fremden zu der Hauswand schleift, an der ich erschöpft lehne.
„Geh weg, Chris", sagt der schwarzhaarige Junge. Noch immer ist er wütend.
Sofort gehorche ich... trete wackelig einige Schritte nach vorn, um Tony Platz zu machen. Meine Beine fühlen sich komisch an... wie Wackelpudding.
Mir wird schlecht.
„Geht's?", fragt Tony. Seine Stimme klingt besorgt.
Tapfer nicke ich.
„Ja", gebe ich ihm zur Antwort und drehe mich zu ihm herum.
Mein Freund nickt.
„Gut", teilt er mir mit, „interessiert, wer DICH so zugerichtet hat? Du siehst scheiße aus Mann. Entschuldigung die Ausdrucksweise."
„Schon okay", sage ich und nicke.
Die Hand des Täters in der rabenschwarzen Jacke schnellt nach oben und der Jugendliche zieht sich seine Kapuze noch tiefer ins Gesicht. Mit meiner Vermutung, dass er unerkannt bleiben will, habe ich vorhin Recht gehabt.
‚Wer bist du?', rätsle ich im Stillen.
Grob packt Tony den Jungen und drückt ihn unsanft gegen den grauen Putz.
„Jetzt ist Schluss mit ICH-BIN-SO-COOL", faucht Tony stocksauer, „Na los, nimm die Kapuze ab Freundchen, ansonsten mache ich das gerne für dich!"
Die Stimme meines Freundes duldet keinen Widerspruch, aber der Fremde hört nicht.
„Ich hab dich gewarnt, Scheißkerl", knurrt Tony voller Zorn. Seine linke Hand schnellt nach vorne, reißt dem Jugendlichen die Kapuze vom Kopf...
Der schwarzhaarige Junge erstarrt.
Genauso wie ich.
Simon.
Der Simon, mit dem ich zusammen Deutsch habe.
Mein Herz setzt einen Schlag aus.
Fuck!
„Was zur Hölle", sagt Tony atemlos.
Seine Stimme ist überrascht, entsetzt ... verzweifelt?
Mit einem Schlag fühle ich mich noch unwohler.
Über mir grollt der Donner über den wolkenbedeckten grauen Himmel Seattles.


Fortsetzung folgt...

MEMORIES - Fast vergessene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt