Nachsitzen (Teil 2)

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Meine fleißigen Leser und Leserinnen,

hier kommt der 2te und auch letzte Teil dieser Kurzgeschichte.

In dieser Erinnerung ist Grey selbstverständlich noch immer 14 Jahre alt.
Habt viel Spaß beim Lesen!

Grüßle Ina
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Mittwochnachmittag, 12. November, 1997


Warum bin ich nie gut vorbereitet, wenn ein Problem auf mich zukommt?
O man, was soll ich nur tun? Hätte ich mich aufrichtiger verhalten, würde ich jetzt nicht hier sitzen. Alleine und verlassen. Na ja, eigentlich bin ich ja nicht alleine, aber ich fühle mich so, denn die Lehrkraft, die vorne am Schreibpult sitzt und ihre Zeitung liest, gilt nicht... genauso wenig wie dieser Idiot Simon gilt, der einen Tisch weiter schon fleißig am Schreiben ist.
Ja, ich fühle mich alleine und verlassen.
Das einzige Geräusch, das ich höre, ist die tickende Uhr, die sich an der Wand oberhalb der Tür befindet.
Tick. Tack.
Erneut werfe ich einen Blick auf meinen leeren Zettel. Schon eine ganze Weile liegt dieser nun schon vor mir auf dem Tisch und scheint nur darauf zu warten, endlich von mir beschrieben zu werden.
Aber ich habe keine Ahnung womit... oder geschweige denn... wie ich anfangen soll.
Seufzend blicke ich von meinem Zettel auf.
Simon kritzelt bereits, was auch immer, auf seinen Zettel und die beiden anderen Mädchen, von denen ich weder Name noch Klasse weiß, sind auch schon eifrig am Schreiben. Ich habe keine Ahnung in welche Schulstufe die beiden Blondinen gehen, schätzte sie aber gleichaltrig wie ich.
‚Ganz toll, alle schreiben.... außer ich.'
Frustriert wende ich meinen Blick ab und schaue wieder auf mein unbeschriebenes Blatt Papier.
Vor einer guten halben Stunde hatte Mrs. Smith zu mir gesagt, dass ich auf diesen Zettel hier schreiben soll, warum ich so gehandelt habe. Das hat sie übrigens auch allen anderen gesagt... nicht nur mir, aber ich bin der Einzige, der nicht weiß, was er schreiben soll.
Verdammt! So schwer kann das doch nicht sein! Oder?
‚Okay, Grey... reiß dich JETZT zusammen!'
Gut, warum habe ich so reagiert?
Ich überlege und überlege, aber mir fällt einfach nichts ein.
Ich habe doch nur etwas nachgefragt, dann hat Simon ‚Schnellchecker von der Firma Langsam', erwidert und ich bin wütend geworden. Ist ja auch kein Wunder, wenn er so unfreundlich zu mir ist! Soll ich mich etwa dafür jetzt entschuldigen, dass er MICH blöd angemacht hat und ICH daraufhin nicht brav meinen Mund gehalten habe? Das ist doch Schwachsinn!
Gott, ich hätte diesem Arsch gleich eine scheuern sollen!
Müde streiche ich mir mit der Hand über den Kopf, während ich meine Zeilen, die ich gerade eben geschrieben habe, durchstreiche.
Eigentlich habe ich mich mit Simon gestritten, weil mich seine Worte so aufgebracht haben, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Und weil er immer wieder etwas Unfreundliches erwidert hatte, war ich immer saurer und saurer geworden.
Ja, genau so ist es gewesen.
Gott, ich hätte ihn einfach ignorieren sollen... denn wenn ich kühl und rational gehandelt hätte, wäre dies nicht passiert. Aber in diesem Moment hat mich einfach die Wut so "überrollt", dass ich ohne zu überlegen immer wieder geantwortete hatte und Simon hatte immer wieder etwas zu erwidern gewusst, das mich wiederum rasend gemacht hatte. Ach, so ein Idiot!
Wenn er seinen Mund gehalten hätte, wäre ich jetzt nicht hier!
Oder, wenn ich in dieser Situation anders reagiert hätte...
Verdammt, seine Worte hätten mir einfach egal sein sollen... egal sein müssen!
Ach, warum habe ich mich auch von Simon, meinem Mitschüler, so provozieren lassen. Ich hätte weggehen können – auf die Toilette oder so – und seine dummen Worte, einfach ignorieren können. Das habe ich aber nicht getan.
Leider!
Simon ist an allem schuld, denn hätte er mich nicht provoziert, hätte ich gar nicht zurückgeredet und dann würde ich demzufolge auch nicht hier an diesem schönen, sonnigen Nachmittag herumsitzen. Mit dem Lehrer, Simon selbst und zwei anderen Mädchen in diesem bescheuerten Klassenzimmer.
Meine beiden Geschwister verbringen sicherlich den schönen Tag heute im Freien... die können sich wirklich glücklich schätzen!
ICH nicht .... scheiß Simon!
Aber soll ich wirklich auf den Zettel schreiben, dass alles seine Schuld ist? Wird mir die Lehrerin überhaupt glauben?
Na ja, einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.
Ich setze den Stift an das Papier und beginne zu schreiben.
Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort... damit ich endlich hier rauskomme. ...
Während die tintenblaue Schrift auf dem weißen Papier immer mehr und mehr wird, muss ich auf einmal an Grace denken... und schlagartig wird mir bewusst, dass ich so jemanden wie sie gar nicht verdient habe. Sie ist so liebevoll... so gut, so fürsorglich.... und wie danke ich es ihr?
Oje, Mrs. Smith hat sich bestimmt schon bei meinen Eltern gemeldet und sie darüber informiert, dass ich heute später nach Hause kommen werde. Wie sie wohl reagieren werden?
Auch wenn ich ganz genau weiß, dass Grace und Carrick mich niemals schlagen würden so wie ER das immer bei mir gemacht hatte, als ich noch klein war... in mir macht sich trotzdem Unbehagen breit, wenn ich an das denke, was mir bevorsteht. ...

MEMORIES - Fast vergessene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt