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Schönes Wochenende meine Lieben,


bleibt bitte gesund und zuhause in dieser schwierigen Corona-Zeit.

Stay safe! <3


In der heutigen kleinen Erinnerung ist Grey drei Jahre alt und lebt noch mit seiner Mutter Ella in Detroit.

Danke für eure lieben Nachrichten. Ich freue mich immer wieder aufs Neue, wenn ich eure netten Zeilen lese. :)

Und nun: Ganz viel Spaß beim Lesen!


Grüßle Ina

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Detroit, 19. Dezember 1986


Draußen ist es bereits lange dunkel. Anstelle der Sonne, die vor kurzem noch mit ihrem rötlichen Licht den Schnee zum leicht Glitzern gebracht hat, sind jetzt abertausende von kleinen Lichtpunkten am Nachthimmel zu sehen. Mommy sagt, man nennt sie Sterne.

Leicht schläfrig liege ich in dem großen Bett mit der weißen Decke und den Kissen und warte, dass Mommy mir eine Gutenachtgeschichte vorliest. Mommy kann wirklich gut erzählen. Sehr gut sogar.

Leider kann sie mir jedoch nur sehr selten vorlesen. Denn meistens ist ER da, schreit und beschimpft Mommy. Wenn er hier ist verstecke ich mich meistens... denn ER will mich nicht sehen. Für ihn muss ich unsichtbar sein!

Wie gut, dass er heute nicht da ist... so kann Mommy mir wieder eine Gutenachtgeschichte erzählen.

Voller Vorfreude auf eine Geschichte liege ich da und warte gespannt.

Zu meinem Erstaunen setzt sich Mommy mit einem kleinen Bild in ihren Händen an den Bettrand. Hm, kein Buch und auch nichts aus dem Adventkalender... meine Neugierde wird mit jeder Sekunde größer in der Mommy nichts sagt. Ich beschließe jedoch, ihr Zeit mit dem Anfang ihrer Geschichte zu lassen und weiterhin geduldig im Bett zu bleiben... auch wenn ich mich sehr anstrengen muss... Geduld zählt nicht gerade zu meinen Stärken!

Mommy streicht sich eine ihrer dunkelbraunen, langen Haarsträhnen aus dem Gesicht, blickt auf das Foto und beginnt dann endlich zu erzählen.

„Es waren einmal drei Schwestern", ihre sanfte, ruhige Stimme erfüllt den Raum, „sie lebten in einem Haus in Dublin."

„Wo ist das?", frage ich. Mommy lächelt und gibt mir kurz darauf die Antwort, ehe sie weitererzählt. Hm, Irland... da war ich noch nie. Ob Mommy und ich vielleicht mal dahin können?

„Bei ihnen gab es immer selbstgekochtes Essen", fährt Mommy weiter mit ihrer Erzählung fort und ich frage dann, ob die drei Geschwister auch Eltern haben.

„Natürlich hatten sie die", Mommy schmunzelt, „Ihre Mutter war eine herzensgute Frau, die sich immer mehr um die anderen in der Familie sorgte, als um sich selbst. Auch wenn ihr Vater fast nie zu Hause war und sehr viel arbeitete... du musst wissen, er hatte eine Firma im Ausland... hatten ihn die drei Mädchen sehr lieb und würden ihn für nichts auf der Welt eintauschen wollen... auch wenn er manchmal sehr streng mit seinen Töchtern war. Aber das auch nur, weil er sie so sehr liebte und sie eigentlich vor Fehlern bewahren wollte, die er selbst in seiner Kindheit gemacht hatte."

Ich nicke und höre Mommys Geschichte weiter interessiert zu.

Kuschel mich tiefer in die Federn und schließe meine Augen.

Mommy erzählt von einem Ausflug, den die ganze Familie einmal gemacht hat. Sie sind nach Italien gefahren und haben sich dort für zwei Wochen eine Ferienvilla gemietet. Die Familie ist dort sehr glücklich gewesen. Die Kinder hatten ihren Vater ganze zwei Wochen nur für sich und die Frau, also die Mutter der drei Mädels war darüber auch sehr froh.

Meine Augen noch immer geschlossen, atme ich einmal aus. Kann ich mir doch alles ganz genau vorstellen. Die glückliche Familie. Wie sie zusammen Pasta kochten oder beisammen am Tisch saßen und im Schein der Kerzen zu Abend aßen.

In mir breitet sich Wärme aus. Oh, was würde ich dafür geben, das einmal mit Mommy zu tun. Wegfahren... wirklich weit weg... nur wir ZWEI. Alles hinter uns lassen! Nur Mommy und ich!

„Ja, die Familie war dort sehr glücklich", höre ich Mommys warme Stimme, „und sie genoss diese Zeit in vollen Zügen."

Während sie das sagt, kann ich mir richtig vorstellen, wie sie lächelt.

„Wie hießen denn die drei?", will ich mit noch immer geschlossenen Augen wissen.

Einen Moment höre ich nichts.

Mommy scheint wohl zu überlegen... oder ist sie in Gedanken versunken? Hm, ich kann es nicht genau sagen.

Wieso erzählt sie denn nicht weiter?

Ist etwas passiert?

Ist ER gekommen?

Ich öffne die Lieder. Meine Augen scannen wachsam einmal kurz den Raum ab.

Gut, er ist nirgends zu sehen.

Erleichterung durchströmt mich, aber sie hält nur kurz an, denn als ich Mommy am Bettrand bemerke, ist sie schlagartig verschwunden.

Mommy schaut noch immer das Foto in ihren Händen an.

„Ihre Namen waren Janina, Lena und Ella", flüsterleise verlassen die Worte ihre Lippen, dann durchläuft ein Zittern Mommys schlanken Körper. Kurz darauf fließen stumme Tränen ihre Wangen hinunter.

Mommy wirkt verloren.

Nein, nicht weinen, Mommy!'

Ich setze mich auf und komme auf allen Vieren zu ihr gekrochen.

„Nicht allein", sage ich, ehe ich meinen Kopf in ihren Schoß bette.

Mommy zittert erneut.

Abermals salzige Tränen.

„Nicht allein", wiederhole ich. Mommy muss doch einfach wissen, dass sie nicht alleine ist.

„Christian hier", erkläre ich ihr.

Mommy versucht zu lächeln, aber es gelingt ihr nicht so recht.

Sie streckt ihre Hand mit dem Bild aus und legt es beiseite, ehe sie mich umarmt.

„Hab dich lieb", flüstere ich in ihr Ohr und nun muss Mommy doch lächeln. Ich weiß nicht, ob es ihr auch so ergeht, aber wenn sie diese drei Worte zu mir sagt, fühle ich mich immer sicher. Hoffentlich ist das bei ihr auch so! Und sie weiß jetzt ganz sicher, dass sie nicht alleine ist.

Ich schmiege mich an sie.

Als Mommys Arme um mich etwas fester werden, lehne ich mich an ihre Schulter.

Ich hebe dann aber doch den Kopf und schaue vorsichtig über ihren Arm hinweg und betrachte das Foto, das auf dem Nachttisch vor der Lampe liegt. Irgendwie wirkt es einsam und verloren.

Das Bild zeigt drei Mädchen... eines davon sieht so ähnlich aus wie meine liebe Mommy.

MEMORIES - Fast vergessene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt