Pulverfass (Teil 1)

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Meine Lieben,
die nächste kleine Erinnerung ist für Adrenalin.
Christian Grey ist hier 13 Jahre alt.
Ich wünsche dir, und auch allen anderen, viel Spaß beim Lesen.

Kleiner Tipp: Dieser Outtake ist in der Mitvergangenheit verfasst.

Grüßle Ina
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Mittwoch, 4. Juni, 1997


Und wieder einmal lachte mir auf meinem Test ein dickes, rotes F entgegen. Nur 50% erreicht! Fuck.
„Ich habe eine bessere Note als du, Grey", zischte Simon, der direkt eine Reihe hinter mir saß. Vermutlich hatte er mir auf den Deutschtest geschaut und wusste daher mein Ergebnis. Ich schluckte, ehe sich die Wut schleichend in mir breitmachte.
Was gingen ihn meine Noten an?
Warum sagte er immer solche dummen Sachen? Und das nur zu mir!
Meine Wut über Simons Worte und damit, dass er eigentlich Recht hatte, wurde größer... immer größer. Die Lehrerin stand vorne an der Tafel und erklärte irgendetwas. Unterschriebene Arbeiten und nächste Woche wiederbringen oder so. Ich hörte nicht genau zu und eigentlich war es mir auch egal, weil ich meinen Test meiner Familie sowieso nie zeigen würde. Niemals.
Und damit keinen unterschriebenen Test der Lehrerin vorlegen konnte.
Es sei denn, ich fälschte die Unterschrift von Grace oder Carrick.
„Was werden wohl Mommy und Daddy dazu sagen, wenn sie erfahren, dass du diesen Test hier vergeigt hast, Grey?" Abermals Simons gehässige Stimme. Erneut flammte die Wut.
‚Halt die Klappe, du Arsch! Sei still, verdammt!'
Ich drehte mich um und schaute ihn wütend mit meinen grauen Augen an.
Verächtlich grinste Simon.
In mir kochte abermals die Wut hoch.
Meine Hände begannen zu zittern.
Ich atmete schwer.
„Ich wette, sie bereuen es bereits, so einen Hurensohn wie dich adoptiert zu haben."
Simons gehässiger Satz brachte das Fass zum Überschwappen.
Das Pulverfass wurde angezündet... explodierte!
Ruckartig erhob ich mich von meinem Stuhl, drehte mich um und packte den Jungen.
Unsanft riss ich ihn von seinem Stuhl hoch.
Dann schoss meine Hand nach vorne.
‚Halt die Fresse, Simon! Sei ja still!'
Meine Faust traf seine Rippen, seine Arme, sein Gesicht.
Er wehrte sich.
Simon rammte mir den Ellbogen in den Magen, aber das war mir egal, auch wenn es höllisch wehtat. Jetzt war es egal!
Der Junge sollte dafür büßen, was er mir an den Kopf geworfen hatte.
Ja, dafür büßen sollte er!
„Nimm das zurück!", brüllte ich wütend.
‚Grace hat mich lieb. Sie bereut gar nichts. Überhaupt nichts!'
Zorn pulsierte glühend heiß durch meine Adern.
Simon lachte heiser.
„Also stimmt es?", höhnte er, „Ich hatte Recht Grey."
Seine zischende Stimme ließ mich innerlich erneut explodieren.
„Fresse. Du verficktes Arschloch!", meine Stimme überschlug sich.
Wütend holte ich abermals aus und klatschte ihm meine flache Handfläche gegen die Wange. Dann schlug ich erneut zu.
Traf seine Nase. Blut tropfte.
Aber auch das war mir egal.
Ich schlug immer weiter. Weiter ... weiter und weiter.
Wenn ich wütend war.. schlug ich zu ... und jetzt war ich wütend.
Sehr wütend. Genaugenommen stocksauer.
Simon sollte dafür büßen!
Musste dafür büßen!
‚Verdammter Mistkerl! Verdammter Mistkerl! Halt ja deine Fresse!'
Ich stürzte mich auf ihn, schlug zu, wieder, wieder, immer wieder.
Nahm keine Rücksicht.
Noch immer pulsierte der Zorn durch meine Adern.
Mit jedem Hieb wurden meine Schläge fester.
Simon wehrte sich immer noch.
Schlug kräftig zurück. Traf mein Schienbein, meinen Bauch, meine Schulter, mein Gesicht.
„Simon! Christian!" Mrs. Smiths schrille Stimme klang panisch.
Ich ignorierte sie und holte abermals aus, jedoch war der Junge diesmal darauf vorbereitet. Grob packte er meinen Arm und riss ihn nach unten, während ich mit seiner anderen Bekanntschaft machte. Simon klatschte sie mir mitten ins Gesicht... traf mein Ohr. Ich hörte eine Weile gar nichts... dann vernahm ich einen hohen Ton. Abermals ein fester Stoß Simons. Ich fiel zu Boden... schmeckte Blut.
Mein Mund schmerzte.
Instinktiv fasste ich mit der Hand dorthin, wo mir alles wehtat.
Ich spürte nichts.
Alles war taub.
Wütend richtete ich mich wieder auf, hob meine rechte Hand, bereit erneut zuzuschlagen, jedoch hatte ich die Rechnung ohne Simon gemacht. Dieser war nämlich schneller... viel schneller als ich.
Mit seiner harten Fußsohle trat er mir auf meine linke Hand, mit der ich mich am Boden abgestützt hatte.
Ich schrie.
Dann spürte ich Tritte.
Sie waren überall.
Auf mein Gesicht, meine Schulter, mein Schienbein.
Abermals ein Schrei.
Wieder war es mein eigener, der den Klassenraum ausfüllte.
„Aufhören! Sofort aufhören!"
Mrs. Smiths Stimme vernahm ich nur noch irgendwo am Rande, ehe ich erneut laut aufschrie. Simon war abermals auf meine linke Hand getreten. Der Schmerz war überall. Pulsierte qualvoll in meinem Inneren.
Erneut Schläge.
Ich schloss die Augen.
Es tat so weh. Schmerzte höllisch.
Unwillkürlich musste ich an den großen, bösen Mann von früher denken, der meine leibliche Mutter bei fast jeder freien Gelegenheit geschlagen hatte. Hatten ihr die Schläge auch immer so wehgetan?
Dann ließ der Schmerz etwas nach. Es tat nur noch höllisch weh, aber neuer Schmerz kam nicht mehr hinzu.
Die Schläge waren fort.
Zum Glück.
„Bist du noch ganz bei Trost?" Die Stimme der Lehrerin.
„Lasst mich los!", hörte ich Simon lautstark schreien.
Erschrocken riss ich meine Augen wieder auf... bemerkte Simon. Wild schlug er um sich, während ein großer Mann – Mrs. Smith hatte sich vermutlich Hilfe von einem Lehrpersonal aus der Nebenklasse geholt – und noch ein zweiter Lehrer, den ich nicht kannte, Simon von mir wegzerrten und versuchten, ihn zu bändigen.
Stocksauer blickte Simon mich an.
Mir wurde schwindlig... schlecht.
Dann spürte ich vier paar Hände, die mich wegzerrten.
Hände. Auf meiner Brust, meinem Rücken.
Fuck!
Nein!
Hilfe!
„Nein, nein...", zitternd verließen die Worte meine Lippen.
Panik.
Angst.
Ich wusste selbst nicht woher ich die Kraft nahm, aber ich wandte mich geschickt aus ihrem Griff. Dann stolperte ich erschöpft rückwärts.
Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen.
„Christian?", hörte ich jemanden sagen.
Ich ging trotzdem weiter... trat auf meinen schwarzen Rucksack.
Glas splitterte.
Das war der Schnaps gewesen.
Alkohol in der Schule war strengstens verboten!
Das würde Ärger geben ... wenn Grace und Carrick davon erfuhren.
Mir wurde heiß und kalt zu gleich ... abermals schwindlig.
Verlor den Halt... fiel.
Meine Handfläche brannte.
Ich spürte das Blut aus dem tiefen Schnitt quellen.
‚Verdammte, zerbrochene Schnapsflasche!'
Ich zitterte am ganzen Körper.
Noch immer spürte ich die Hände auf meiner Brust.
Das Gefühl drohte mich zu zerquetschen.
Wie eine hilflose, kleine Ameise, die von einem mächtigen Elefantenfuß zertreten wird.
Ich fühlte mich schwach.
Ausgelaugt.
Erneut Schwindel.
Punkte vor den Augen.
„Christian, Christian Grey?", hörte ich eine Schülerin zögerlich fragen.
Dann schrie eine andere: „Mrs. Smith, er blutet! Mrs. Smith!"
Die Punkte vor meinen Augen wurden immer mehr.
Verdreifachten sich.
Vervierfachten sich.
‚Ich glaube, Simon hat Recht', flüsterte eine leise, kleine Stimme in meinem Inneren, ‚Schlechte Noten, Fehlstunden, Prügeleien in der Schule... Grace und Carrick bereuen es bestimmt, so jemanden wie DICH adoptiert zu haben.'
In mir zog sich alles zusammen.
Ich dachte an Grace und sofort schossen mir Tränen in die Augen.
Ich hatte sie wirklich nicht verdient.
Grace, die so viel liebevoller war, als meine leibliche Mutter es jemals zu mir gewesen war.
Ich hatte Grace doch versprochen, damit aufzuhören. Nicht mehr immer zuzuschlagen, wenn ich wütend wurde. Aber, ich hatte es wieder getan. Hatte mein Versprechen ihr gegenüber gebrochen.
Simon hatte mich wütend gemacht. Eine dumme Bemerkung seinerseits hatte genügt, um das Pulverfass zum Explodieren zu bringen.
Ich hatte zugeschlagen!
Wieder!
Und das, obwohl ich Grace versprochen hatte damit aufzuhören... oder es zumindest zu versuchen.
Trauer machte sich in mir breit.
Alles tat weh.
Sah schwarz.
Verlor das Bewusstsein.
Aber der Gedanke an Grace blieb.


Fortsetzung folgt...

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