Freundschaftsdienst (Teil 11)

58 3 0
                                    

Als ich an diesem Morgen erwache, fühle ich mich nicht gut. Klar, ich habe viel zu wenig geschlafen, aber trotzdem, heute muss ich einfach in die Schule. Das mit dem Armband muss endlich vom Tisch sein! Schnurstracks erhebe ich mich, dusche, putze mir die Zähne und schlüpfe in frische Klamotten. Dann eile ich nach unten in die Küche.


Dort angekommen treffe ich auf meinen Dad. Miss Haushälterin oder die anderen kann ich nirgends entdecken. Carrick trinkt gerade seinen Kaffee. „Guten Morgen!"
„Morgen", bringe ich nur mürrisch hervor. Man, ich hätte echt mehr schlafen sollen. Blöde Albträume!
Eigentlich bin ich kein Morgenmuffel, aber heute hätte ich alles dafür gegeben noch etwas länger unter meiner warmen Bettdecke bleiben zu können. Aber ich muss in die Schule. Ich muss die Sache mit Tony und dem Armband klären. Unbedingt.
„Du bist aber früh auf den Beinen, dafür, dass du heute gar nicht in die Schule musst."
Was?
Oh nein, nicht schon wieder!
„Hat das Mom gesagt?", frage ich und kann den murrenden Unterton in meiner Stimme nicht abschütteln. Carrick nickt. „Wegen deinen Verletzungen wäre es ratsam."
Ratsam? Hat Mom jetzt komplett den Verstand verloren?
„Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul", lässt Dad mich lachend wissen, „freu dich doch, dass du daheim bleiben darfst."
„Ja, aber ich sollte das mit Simon doch regeln."
„Christian, Grace ist Ärztin, vertrau bitte ihrem Urteil, in Ordnung?"
‚Nein, nichts ist in Ordnung! Überhaupt nichts!'
Ich bleibe stumm, während ich mich mit mürrischer Miene an unseren Frühstückstisch setze. ‚Verdammt Mom, warum musst du mir immer alles kaputt machen!'
Mütter!
Mörderisch blicke ich auf unseren Teich, den man vom Esszimmer aus sehen kann. Der Himmel ist von grauen Wolken überzogen. Na schön, dann werde ich mich eben wieder in meinen vier Wänden verbarrikadieren. Mir ist das nur Recht! Und reden werde ich auch mit keinem. Basta, das hat sich Mom selbst eingebrockt!
Da mir der Appetit auf jegliches Essen eindeutig vergangen ist, stehe ich auf und will mich gerade wieder auf den Weg zurück in mein Zimmer machen, um mein Vorhaben in die Tat umzusetzen, werde jedoch aufgehalten. „Ich habe mir für heute frei genommen, vielleicht hilfst du mir die ganze Ausrüstung fürs Zelten und Angeln zu suchen?"
Abrupt bleibe ich stehen.
„Zelten und Angeln? Ich dachte wir wollten mal wieder Mountainbiken gehen?"
„Ich habe mit deinem Bruder nochmal darüber geredet und da dieses Wochenende schönes Wetter sein soll, waren wir doch für Angeln und Zelten. Elliot meinte, du wärst sicherlich dabei."
Aha Elliot meinte.... In mir macht sich die Wut breit.
„Dieses Wochenende?", bringe ich nur hervor und bin darum bemüht ihm nicht gleich eine Menge andere Dinge an den Kopf zu werfen. So wie die einfach Tatsache, dass er es mit Elliot alleine ausmacht, was wir unternehmen. Und das er außerdem denkt, dass ich dieses Wochenende nichts Besseres zu tun hätte.
„Hast du schon etwas vor?", stellt Carrick eine Gegenfrage.
‚Nein, aber du hättest mich wenigstens fragen können!'
Ich sage nichts, bleibe einfach nur stehen und versuche verzweifelt, meine ganze Wut in den Paketboden unter meinen Füßen zu leiten. Hinter mir höre ich wie Carrick seinen Kaffee abstellt und auf mich zukommt.
„Christian", sagt er, „wenn du Pläne hast, können wir das mit dem Zelten und Angeln natürlich verschieben."
„Darum geht's nicht", zische ich, darum bemüht nicht komplett auszurasten. Ich drehe mich um und blicke meinen Dad stocksauer mit meinen grauen Augen an. Carrick nickt.
„Ich hätte es mit euch beiden ausmachen sollen, stimmt's?"
Ich nicke. Carrick fährt sich mit der Hand durchs Haar, ehe er sich bei mir entschuldigt.
„Und was hältst du davon, wenn wir nächste Woche Mountainbiken gehen, nur wir beide... ohne Elliot."
Fragend blicke ich ihn an.
„Jetzt ernsthaft?", hake ich vorsichtig nach.
Ich will auf keinen Fall erneut enttäuscht werden.
Nun lächelt Carrick.
„Natürlich, Sohnemann", strahlt er, „Elliot bleibt einfach bei Grace und Mia, einen Tag wird er schon ohne uns beide klarkommen."
Nun muss auch ich lächeln.
Nickend stimme ich Carrick zu, als ich mich wieder an unseren Esstisch setze. Dad geht zur Spüle und stellt seine Tasse ab.
Ja, Elliot würde es einen Tag schaffen. Und wenn nicht, kann er sich noch immer abkapseln und sich mit Freunden treffen. Im Gegensatz zu mir hat er die nämlich. ‚Ahm hallo, du hast Tony, schon vergessen', erinnert mich eine kleine Stimme in meinem Inneren. Ach ja, genau. Ich habe Tony... Tony und Peter, auch wenn ich mich mit ihm in letzter Zeit eher weniger gut verstehe. Weiß der Teufel warum.
„Wer wird einen Tag ohne Mom und Mia auskommen?" Ich drehe mich um und erblicke meinen älteren Bruder, der bereits in voller Montur unser Esszimmer betritt.
„Das wird Grace nicht gefallen, wenn du mit den Schuhen im Haus herumspazierst", gibt Carrick Elliot zu bedenken, doch dieser schüttelt nur den Kopf. „Ach", meint er grinsend, „wozu haben wir denn die reizende Miss Rose."
Ich muss lächeln.
„Na, sei mal froh, dass sie das nicht zu Ohren bekommen hat, Frechdachs."
Daraufhin, grinst Elliot nur noch breiter und lehnt sich gegen die weiße Wand.
„Das am Wochenende ist doch noch aktuell Dad, oder?", fragt mein Bruder schließlich, als dieser sich gerade zu mir an den Tisch gesellt und in der Zeitung blättern möchte. Carrick nickt, dann widmet er sich gänzlich seiner Wirtschaftslektüre.
„Am Wochenende Zelten, schon cool." Elliot grinst, dann fischt er sein Smartphone aus seiner Hosentasche und wirft einen Blick auf das Display.
„Ihr wollt im Jänner Zelten gehen, na ihr seid mir Helden", lacht Mom, als sie das Esszimmer betritt. Dad legt seine Zeitung beiseite.
„Ach Schatz", meint er, jedoch wird er von Grace sanft unterbrochen.
„Sei doch vernünftig, um diese Jahreszeit kannst du doch nicht mit den Jungs..."
„Warum nicht?", mischt Elliot sich ein, „das wird sicher voll cool."
Nun wendet sich Grace an den blonden Jungen, der noch immer lässig an der weißen Wand lehnt.
„Ja", sagt sie bedauernd, „ob das voll cool ist Elliot, wenn du mit einer Grippe im Bett liegst, so wie jetzt deine kleine Schwester, das weiß ich ehrlich gesagt nicht."
Mein Bruder verdreht nur die Augen.
„Mia ist krank?", hake ich besorgt nach.
Grace nickt.
Oh je, arme Mia. Hoffentlich wird sie bald wieder gesund.
Ob ich nach ihr schauen soll?
Ich greife nach der Kanne und fülle mir Tee in die Tasse, die vor mir auf dem Tisch steht. Dann trinke ich.
Nanu, der Tee ist kalt.
Und überhaupt, seit wann trinke ich eigentlich Tee! Wo ist der Kakao?
„Wo wir schon beim Thema sind, Miss Rose ist auch erkrankt", erklärt Mom. Okay, alles klar, warum der Tee kalt ist und ich hier keinen heißen Kakao vorfinde. Angewidert stelle ich die Tasse zurück auf den Tisch.
„Vermutlich hat sie Mia angesteckt", gibt Elliot, noch immer an der strahlendweißen Wand lehnend, von sich. Mom nickt. „Ja, vermutlich.... Elliot geh von der Wand weg und überhaupt, warum stehst du mit Schuhen im Haus?"
„Es gibt durchaus Menschen, die in die Schule müssen", erläutert mein Bruder.
Grace nickt.
„Schatz bezüglich des Wochenendausflugs...", setzt Dad an.
„Ja", entgegnet Grace, „der findet nicht statt."
„Wo du Recht hast, hast du Recht", stimmt Dad Grace zu, woraufhin sie zufrieden nickt. Ich bin froh darüber, dass der Plan am Wochenende Zelten und Angeln zu gehen ins Wasser fällt.
Ich habe Zeit für mich. Sehr gut.
„Na ja,", meint Dad, „Wir verschieben unsere geplanten Ausflüge einfach in den Mai."
„Schon besser", kommentiert Grace sichtlich erleichtert, „wobei du hier besonders gut auf das Datum achten solltest."
„Warum?"
„In diesem Monat haben wir die Wohltätigkeitsveranstaltung, Schatz", erinnert Grace Dad liebevoll, „Wir sind die Gastgeber!"
Carrick nickt schnell, womit er Mom zeigt, dass er es nicht vergessen hat. Ob ich zu dieser Veranstaltung Tony einladen darf? Oder soll ich mich von vorn herein besser abseilen, solange ich noch kann. Aber eigentlich bin ich bis jetzt noch nie bei so einer Veranstaltung dabei gewesen, auch wenn ich die Möglichkeit dazu gehabt habe. Ich habe mich immer viel lieber in meinem Zimmer verkrochen. Letztes Jahr hatte ich mich mit Peter getroffen. Tja, das fällt heuer definitiv aus... es sei denn wir vertragen uns bis dahin wieder, aber das glaube ich eher nicht. Ach, blöde Wohltätigkeitsveranstaltung!
„Ist notiert, Liebling", sagt Carrick nur, „ist notiert."
„Super, dann wäre das ja auch mal geklärt", meldet sich Elliot zu Wort, ehe er Mom fragt, ob sie ihn bei der Schule absetzen kann. Diese nickt, ehe sie Carrick sagt, dass er nach Mia schauen soll.
‚Halt, ich will auch mit!'
Wie von der Tarantel gestochen springe ich auf und fege nach drüben in mein Zimmer, um meinen Rucksack und die Jacke zu holen.

MEMORIES - Fast vergessene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt