Protestaktion (Teil 7)

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Meine Lieben,
es hat etwas länger gedauert, aber hier ist er TEIL 7 der Erinnerung „Kalt". Habt viel Spaß beim Lesen. Christian ist natürlich noch immer 14 Jahre alt.
Grüßle Ina
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„So", zischt Tony, „erledigt. Es ist weg."
Zufrieden blicke ich dem Schmuckstück hinterher. Langsam verschwindet das silberne Armband in der Tiefe des trüben Flusses. Wird immer kleiner und kleiner, bis es schließlich gänzlich aus meinem Blickfeld verschwunden ist. Ich bin froh darüber. Endlich geschafft.
Mein schlechtes Gewissen ist verschwunden.
Ich fühle mich wieder gut.
Endlich.


Mein vibrierendes Smartphone lässt mich meine Augen aufschlagen... und ich muss verbittert feststellen, dass alles nur ein Traum gewesen war. Nur eine Einbildung... nur ein Wunsch. Leider. Wie gerne hätte ich die Sache mit dem Armband schon erledigt gehabt. Noch immer etwas verschlafen erhebe ich mich und greife nach meinem Handy. Die Ziffern zeigen 11:40 Uhr. Besonders lange habe ich also nicht geschlafen. Drei verpasste Anrufe von Tony und eine SMS. Ich entdecke noch eine weitere Nachricht von Peter. Egal, die werde ich mir später durchlesen. Zuerst ist Tony an der Reihe. Er ist wichtiger! Peter ist in letzter Zeit so komisch. Ohne noch einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, entsperre ich mein Smartphone und tippe auf die App, um zu den SMS-Verläufen zu gelangen. Ein kurzer Klick auf den Namen meines Freundes und schon wird mir unser Chatverlauf angezeigt. Sofort lese ich seine letzte Nachricht, die er erst vor einigen Minuten verfasst hat.


>> Wo bist du Mann? Ich habe dich schon geschlagene drei Mal angerufen. Du hast nicht abgehoben. Muss ich mir Sorgen machen? Bitte melde dich! <<
Sofort mache ich mich daran eine Antwort in die Tasten zu tippen.
>> Zu Hause <<, schreibe ich.
Nach einigen Sekunden bekomme ich eine Antwort.
>> Warum? <<, schreibt Tony, >> ist es wegen den Schlägen? Sind die so arg? <<
>> Nein, geht schon. <<
Ich überlege kurz, ehe ich noch etwas hinzufüge. >> Meine Mom meint nur, es wäre besser so. <<
>> Deine Mom? <<, schreibt er. Dann kommt noch eine Nachricht seinerseits.
>> Mütter sind immer überfürsorglich. Schleich dich einfach aus dem Haus und komm trotzdem. Ich kann sagen, dass du verschlafen hast oder so. <<
Einen Moment spiele ich mit dem Gedanken Tonys Rat zu befolgen, jedoch wird mir dann auf einmal schlagartig klar, dass das nur wieder eine Menge Probleme mit sich bringt. Nein, lieber nicht. ‚Strapaziere dein Glück nicht über Grey', zischt eine kleine Stimme in mir, ‚Mom ist Ärztin. Sie weiß schon, warum sie dir gesagt hat, dass du zu Hause bleiben sollst. Also sei vernünftig!'
Ja, Mom weiß es.
Hoffentlich.
>> Meine Mom ist Ärztin <<, schreibe ich meinem Freund zurück, >> die weiß schon, was sie sagt <<
‚Ob Mom heute auch wieder Nachtdienst im Krankenhaus hat?'
>> Oh <<, antwortet Tony, >> Na dann bleib besser zu Haus <<
>> Hm <<, schreibe ich, ehe ich mein Smartphone beiseitelege.
Ich kuschle mich in meine Federn und starre betrübt an die Decke. Stelle mir Muster vor, die gar nicht da sind, dann erhalte ich eine weitere Nachricht von Tony. Im Liegen greife ich nach meinem Handy und werfe einen Blick auf unseren Chat.
>> Ist halt blöd wegen dem Armband <<, schreibt mein Freund, >> aber das machen wir dann, wenn du wieder fit bist <<
>> Hm <<, tippe ich nur in die Tasten.
>> Soll ich dir am Nachmittag das Verpasste vorbeibringen? <<, eine weitere Nachricht von Tony.
Unwillkürlich muss ich an Peter denken, mit dem ich mal sehr gut befreundet war. Wir sind zusammen durch dick und dünn gegangen. Aber diese Zeiten sind vorbei. Denn ich habe eine Entscheidung getroffen. Die Entscheidung mich anzupassen, um nicht mehr jämmerlich in der Schule verspottet zu werden... und hatte mich so von meinem ehemals besten Freund abgewandt. Ja, Peter hatte mir auch immer den versäumten Unterrichtsstoff vorbeigebracht, wenn ich krank oder wegen schlaflosen Nächten nicht in die Schule gegangen war.
Ach, ich muss einfach schauen, dass ich so schnell wie möglich wieder "gesund" werde.
Grace wird mich schon nicht eine Woche hier festhalten... oder doch?
Bei meiner Mom bin ich mir, was das Wohl von meinen Geschwistern und mich betrifft, nie ganz sicher.
>> Gib es mir, wenn ich wieder in der Schule bin, okay? <<, schreibe ich, >> Ich schaue, dass ich morgen wieder komme <<
‚Super Grey, und morgen lieferst du dich dann einer neuen Auseinandersetzung mit Mom bezüglich der Schule!'
>> Okay <<, schreibt Tony, ehe er mich nochmals darauf hinweist, dass niemand, aber auch wirklich niemand, von dem gestohlenen Armband erfahren darf. Ich muss es also geheim halten. Okay. Das werde ich schon schaffen. Ich muss nur darauf achten, dass weder meine Mom, noch unsere Haushälterin die Jacke irgendwie in die Finger bekommt.
>> Keine Panik <<, schreibe ich, >> es wird schon niemand davon erfahren <<
>> Das will ich hoffen <<, antwortet Tony.
Soll das eine Warnung sein?
Ich bin doch nicht blöd. Ich habe ja nicht vor es meinen Geschwistern oder Eltern direkt auf die Nase zu binden. Was denkt er bloß von mir? In mir macht sich Wut breit. Schleicht sich an, wie eine Katze auf ihren vier Pfoten.
>> Relax <<, tippe ich in die Tasten, während ich verzweifelt versuche, ihm nicht gleich eine ganze Reihe an Beleidigungen gegen den Kopf zu werfen.
Tony schickt ein Smiley, ehe er mir berichtet, dass er jetzt Bio hat.
Irgendwie bin ich nun doch froh, dass mich Grace so vehement daran gehindert hat heute die Schulbank zu drücken. Auf Biologie mit Mr. Frost, kann ich wirklich gut verzichten. Dieser Mensch ist der lebende Beweis und das typische Beispiel dafür, dass Lehrer wirkliche Monster sind. Ich glaube noch nicht einmal das Monster "Nessie" von Loch Ness hätte ihm Konkurrenz gemacht. Mein Dad Carrick betrachtet meinen High-Schoolbiolehrer zwar nicht als Monster, jedoch hat er auch schon mal angedeutet, dass es auf dieser Welt einfach Personen gibt, die ihren Job im wahrsten Sinne des Wortes einfach komplett verfehlt haben.
>> Viel Spaß mit Mr. Frost. ;) <<, tippe ich in die Tasten.
>> Danke <<, schreibt Tony und schickt noch ein trauriges Smiley hinterher, >> und dann steht Mathe mit Mr. Armstrong auf dem Stundenplan <<
>> Hm <<, tippe ich in die Tasten.
>> Wann glaubst du geht er in Pense, Chris? <<, fragt Tony.
>> Wer? <<, schreibe ich, da ich nicht weiß, ob mein Freund unseren Mathe- oder Biolehrer meint.
>> Frosty <<, tippt Tony.
Jetzt muss ich lächeln. Er hat sich doch tatsächlich den Kosenamen gemerkt, den ich unserem Biologielehrer gegeben habe. Der Spitzname darum, weil er so dick und rund ist wie ein Schneemann und sich meine kleine Schwester Mia oft genug das Lied "Frosty der Schneemann" angehört hatte.
>> Keine Ahnung <<, antworte ich, da ich nun wirklich keinen blassen Schimmer davon habe wann wer in Pension geht.
>> Ich hoffe bald <<, schreibt Tony, >> er nervt total! <<
>> Meine Rede! <<, tippe ich zustimmend in die Tasten.
>> Okay, ich muss dann... wir treffen uns morgen vor der Schule, warte dort auf dich. <<
>> Danke. Bis morgen <<
Darauf antwortet Tony nichts mehr. Vermutlich hat er sein Smartphone schon beiseitegelegt.
Ich platziere mein Handy auf dem Nachttisch und schaue mich in meinem Zimmer um. Mein Blick bleibt an meinem schwarzen Rucksack hängen. Ob sich noch der Alkohol darin befindet? Entschlossen das herauszufinden, erhebe ich mich und steuere meine Schultasche an.
Ich greife nach vorne, öffne den Reisverschluss des Rucksacks und taste nach der Flasche. Als ich das glatte Glas spüre durchflutet mich Erleichterung. ‚Ja.'  Zügig greife ich danach und nehme die Falsche an mich. Sie ist halb voll oder halb leer, je nachdem wie man es betrachtet. Ich öffne sie und führe sie an meinen Mund. Ein Schluck, zwei, drei, es werden immer mehr. Ich werde immer gieriger.
‚Hmh.'
Ich fühle mich wie im Rausch.
Dann ist nichts mehr da.
‚Leider.
Ach, verdammt!'
Die Flasche ist leer.
Enttäuscht löse ich meine Lippen von dem Glas und betrachte zerschmettert den Schriftzug des Alkohols. Ob mir Tony wieder einmal einen mitbringen kann? Sein volljähriger Cousin, David besorgt ihm das Zeug immer. Er darf das. Wenn wir in einen Laden gehen würden, um uns das Feuerwasser zu kaufen, wäre es illegal. Aber Tony kauft es ja nicht selbst. Er bekommt es von seinem Cousin.
Ganz gratis.
Wie cool ist das denn!
Mom würde mir sicher niemals so eine Flasche kaufen.
Nie!
Ja, ich werde einfach Tony fragen.
Fragen kostet ja immerhin nichts.
Ja, fragen ist gut.
Ein Klopfen an meiner Zimmertür erlangt meine Aufmerksamkeit. Schnell stecke ich die leere Flasche in meinem schwarzen Rucksack und lasse ihn unter meinem Bett verschwinden.
„Ja?", meine Stimme ist fragend.
„Hier ist Mom", vernehme ich Grace freundliche Stimme hinter dem weißen Holz, „darf ich reinkommen?"
‚Nein!', mein erster Gedanke.
Aber schließlich überlege ich es mir doch anders.
„Moment", murre ich, während ich mich von meinem Bett erhebe und ins anliegende Badezimmer verschwinde. Zielsicher greife ich nach einem meiner Parfums und spreye mich damit ein. Danach nehme ich mein Zimmer in Angriff. Mein Rucksack unter dem Bett wird gleich zweimal angesprüht. Sicher ist sicher. Grace darf unter keinen Umständen etwas davon mitbekommen.
Erneut ein Klopfen an meiner Zimmertür.
Das Parfum schnell wieder ins Bad zurückgestellt, verschwinde ich in mein Zimmer und mache es mir in meinem Bett bequem.
Wieder ein Klopfen.
„Christian?"
„Ja", murmle ich, während ich mich unter der Bettdecke verkrieche und krampfhaft hoffte, dass Mom den Alkohol an mir nicht mehr riechen würde.
Knarzend wird meine Zimmertür geöffnet und Grace betritt den Raum.
„Was willst du?", frage ich und hoffe, dass sie so schnell wie möglich wieder verschwindet.
Wortlos kommt Mom jedoch auf mich zu, setzt sich schließlich auf meine Bettkante und sieht mich an. Ihr Blick ist besorgt.
Sofort fühle ich mich unwohl.
‚Oh man, diese Frau hat es echt drauf jemanden mit bloßen Blicken ein schlechtes Gewissen zu machen.'
Ich ziehe meine Bettdecke noch enger an mich.
„Woher hast du diese Verletzungen?", fragt sie dann und aus ihrer Stimme ist die Sorge nicht zu überhören. Ich bin froh, dass sie offensichtlich andere Fragen quälen, und sie sich nicht nach dem starken Parfum erkundigt, das man in jeder Ecke meines Zimmers riechen kann.
Mom blickt mich noch immer fragend an.
Verdammt, was soll ich ihr jetzt darauf antworten?
Ich setze mich auf, fasse mir an die Stirn und bleibe still.
Meine Lippen werden zu einer schmalen Linie.
„Bitte, rede doch mit mir", Moms Stimme ist besorgt, „ich kann dir nur helfen, wenn du mir sagst, was mit dir los ist, Schatz. Wenn DU mit MIR sprichst, Christian."
Ich verdrehe die Augen und bleibe weiterhin still.
Will Mom nicht anlügen.
‚Einfach durchhalten, Grey. Irgendwann zieht sie ab. Und wenn du Glück hast, fragst sie noch nicht einmal, warum es hier so stark nach meinem Lieblingsparfum riecht.'
Tapfer bleibe ich sitzen und bewege keinen Muskel.
Wie oft Mom und ich schon an diesem Punkt waren.
Sie redet auf mich ein... ich bleibe still und schweige.
Ich muss seufzen.
„Okay", sagt Grace schließlich, eher zu sich selbst als zu mir, und erhebt sich von meinem Bett. Ehe sie mein Zimmer verlässt, dreht sie sich jedoch nochmals zu mir herum.
„Wir werden noch darüber sprechen", lässt sie verlauten, „heute Abend. Jetzt muss ich Mia abholen."
Richtig, meine kleine Schwester ist im Gegensatz zu mir heute ja brav in die Schule gegangen. Nicht, dass ich das auch tun wollte, aber Mom hatte mich ja erfolgreich daran gehindert. Ich nicke wortlos, frage sie dann aber doch, warum meine kleine Schwester nicht von unserem Fahrer abgeholt wird.
„Bedienstete brauchen auch mal Urlaub", entgegnet Grace nur knapp, ehe sie mir sagt, dass ich auch über Dinge sprechen muss, die mir nicht so gefallen. Damit meint sie, dass ich nicht nur dann reden kann, wann es mir passt.
„Hm", mache ich nur teilnahmslos.
„Ach und Schatz", fügt Mom noch hinzu, „das nächste Mal, wäre es vielleicht besser, wenn du nicht so viel Parfum aufträgst. Eine kleine Menge reicht allemal aus, um der Damenwelt zu imponieren."
‚Was?
Mom!'
Grace lächelt, dann verlässt sie mein Zimmer.
Knarzend schließ sie die Tür und ich bin froh, wieder allein zu sein.
‚Sei froh', zischt eine kleine Stimme in meinem Inneren, ‚Mom hat nichts von dem Alkohol mitbekommen. Sie denkt lediglich, dass ich meine ersten Erfahrungen bezüglich Frauen mache und meinem Bruder Elliot nacheifern will.'

MEMORIES - Fast vergessene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt