Lelliot, der nette Mann und mein Engel

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Wieder mal ein ganzes Stück zurück in der Zeit. :)
In dieser kleinen Erinnerung ist Christian 4 Jahre alt.
Ich wünsche fröhliches Lesen!

Grüßle Ina
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„Wieso geht er nicht auch wie ich in den Kindergarten, Mommy?", fragt der blonde Lelliot.
Er stellt immer so viele Fragen.
Wieso ich nicht spreche!
Warum ich nicht richtig esse!
Wieso ich nicht in den Kindergarten gehe!
‚Warum sagst du nie was?' Das ist seine häufigste Frage.
Ich will ja was sagen. Will doch sprechen!
Will Grace für die zweite Chance danken, die sie mir gegeben hat.
Will Lelliot erklären, dass er mich nervt.
Will meinem neuen Daddy sagen, dass er nett ist... und ich das mag.
Ich will Vieles sagen... so unendlich Vieles.
Nette, aber durchaus auch gemeine Dinge, aber ich kann nicht, da sind keine Worte.
Seit meine echte Mommy nicht mehr da ist, sind alle Worte weg. Sind einfach verschwunden... so, als wären sie nie dagewesen.
Niemals.

„Du besuchst schon lange die Schule, mein Spatz", die Stimme meiner neuen Mommy.

„Das stimmt", erwidert Lelliot begeistert, ehe er endlich still ist.

Kurz sieht er mich an.

„Und warum nun nicht?", fragt Lelliot erneut ungeduldig.

Oh man, sei doch einfach leise!'
„ER... Elliot heißt Christian", sagt meine neue Mommy mit strenger Stimme zu dem blonden Jungen, „und er wird dann in den Kindergarten gehen, wenn er bereit dazu ist."
„Bereit?"
„Ja und jetzt zieh' dir bitte deine Jacke an. Wir sind schon spät dran."
„Ja doch", antwortet Lelliot kurz angebunden und schlüpft in die blaue Jacke, die ihm Grace reicht.
„Und warum nicht jetzt? Ich bin auch schon in den Kindergarten gegangen, als ich so alt war wie er, Mommy."
Grace seufzt, während sie sich bückt um Lelliot den Reißverschluss seiner Jacke zuzumachen.
„Jeder braucht unterschiedlich lange Zeit, weißt du mein Spatz", erklärt sie freundlich.
„Verstehe ich nicht", gibt Lelliot zu, „Ist es, weil er nicht spricht? Ist es, weil er stumm ist, Mommy?"
Oh, wie ich seine Fragerei doch hasse.
Kann er nicht damit aufhören?
‚Sei still, Lelliot! Sei sofort still!'
„Elliot, sein Name ist Christian", wiederholt Grace streng und seufzt dann, „und jetzt komm." Kaum hat der Engel das gesagt, wendet er sich mir zu.
„Ich bin gleich wieder da, okay?", fragend blickt mich meine neue Mommy an.
Ich nicke.
„Daddy passt solange auf dich auf, gut?"
Abermals ein Nicken meinerseits.
‚Daddy Carrick, okay.'
Lelliot rennt nochmals die Stufen hinauf ins Esszimmer.
Meine neue Mommy seufzt.
„Elliot", ruft sie ihm hinterher, „wir müssen!"
Ich höre Schritte... sie kommen näher... immer näher.
„Ich wollte mich nur noch von Daddy verabschieden", sagt Lelliot entschuldigend.
Carrick hat ihn in seinen starken Armen und kommt zu dem Engel und mir.
„Hast du?", hakt meine neue Mommy fragend nach.
Sie wirkt gestresst.
Der blonde Lelliot nickt.
Carrick schmunzelt und setzt den Jungen gutgelaunt am Boden ab.
Ich höre Grace wieder seufzen, dann verabschiedet sie sich von dem großen Mann und schaut mich an. So hat meine echte Mommy mich auch manchmal angesehen. So warm... so freundlich.
In mir zieht sich alles zusammen.
„Schatz, du musst los", erinnert sie Carrick.
Meine neue Mommy nickt hastig.
„Ja richtig", antwortet sie, ehe sich die Frau in Bewegung setzt.
Was bin ich froh, dass der Engel mich nicht mehr berühren will. Gestern erst wollte meine neue Mommy es wieder mal versuchen. Wie immer bin ich ausgewichen und habe Panik bekommen. Warum versteht sie nicht, dass ich das nicht möchte?
„Gehen wir ins Wohnzimmer?", der Mann erlangt meine Aufmerksamkeit.
Ich nicke. Sage mit dem Kopf ja.
Carrick lächelt und ich bin froh darüber.
Hinter mir höre ich die Haustür ins Schloss fallen.
Erschrocken zucke ich zusammen.
ER hat die Tür auch immer so zugeknallt.
„Alles okay", sagt Carrick vor mir und kommt auf mich zu, „das war nur die Haustür. Alles ist gut."
Oh nein, ob er mich auch, wie Lelliot zuvor auf den Arm nehmen will?
Bitte nicht! Bitte, bitte, lass mich.
Erneut macht sich Panik in mir breit und augenblicklich wünsche ich mich unsichtbar.
„Ich tu dir nichts", redet er weiter auf mich ein. Seine Stimme ist sanft und freundlich. Er schreit nicht... will mich nicht packen und mir wehtun.
„Siehst du", erklärt er, „das sind meine Hände." Er hebt sie hoch und verschränkt seine Finger ineinander.
„Ich werde sie nicht benutzen", sagt Carrick sanft mit seiner tiefen, melodischen Stimme, „versprochen."
Scheu blicke ich ihn mit meinen grauen Augen an.
Hoffentlich meint er es ernst. Der böse Mann hat es nie so gemeint, wie er es gesagt hat. ER hat mich immer verletzt... mich und meine echte Mommy. Oder ist sie meine alte Mommy, weil ich jetzt eine Neue habe?
„Ehrenwort", vernehme ich Carricks Stimme.
Freundlich lächelt er mich an und ich treffe eine Entscheidung.
Okay.
Ich schlucke, ehe ich all meinen Mut sammle und kräftig nicke.


Carrick lässt seine Hände bei sich und ich bin heilfroh, als ich mich drüben im großen Raum mit dem Parkettboden auf das weiche Schaffell setze und der Mann weiterhin freundlich und nett zu mir ist.


Der Engel, jetzt meine neue Mommy, hat eine gute Entscheidung getroffen hier mit dem gutmütigen Carrick in dem großen Haus zu wohnen... denn Grace ist genauso nett... genau so freundlich wie der Mann, der mich jetzt anlächelt und dessen blaue Augen regelrecht strahlen.

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