Geister der Vergangenheit (Teil 9)

61 2 0
                                    

Ihr Lieben,

hier kommt Teil 9. Christian Grey ist in dieser kleinen Erinnerung natürlich noch immer 14 Jahre alt. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!

Grüßle
Ina
_______________



„Row, row, row your boat,
Gently down the stream.
Merrily, merrily, merrily, merrily,
Life is but a dream."
Mommy singt. Ich mag es wenn sie glücklich ist.
Gut gelaunt sitzt sie auf ihrem Bett, singt und ich darf ihr die Haare bürsten.
Aber dann höre ich Schritte. Schnelle Schritte, die immer näher kommen.
Mommy verstummt. Ich höre auf zu bürsten. Mommy hebt mich hoch, setzt mich wieder am Boden ab und schiebt mich in ihren Schrank. Mommy streicht mir noch einmal kurz über den Kopf, dann schließt sie die Schranktüren. Um mich herum ist es dunkel. Mommys Geruch ist überall. Ängstlich verkrieche ich mich unter ihren Klamotten, die so schön nach meiner Mommy duften. Ich muss mich oft hier drinnen verstecken. Jedes Mal, wenn ER kommt. Ich muss mich hier verstecken, damit niemand weiß, dass ich da bin. Obwohl ER genau weiß, dass es mich gibt. Aber ER will mich eben nicht sehen. Am liebsten wäre es IHM, wenn es mich gar nicht gäbe. Aber Mommy beschützt mich, passt auf mich auf, hat sie gesagt. Immerhin tut sie das alles nur für mich, damit es uns gut geht. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob das stimmt, aber wir haben ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Einen Fernseher haben wir zwar nicht, aber der ist auch nicht so wichtig.
Ob der große Mann in der blauen Uniform von gestern heute wieder kommt? Er schien recht nett zu sein. Was war er noch mal von Beruf? P... Po... Pol- ah ja, Polizist. Wenn ich groß bin will ich auch Polizist werden. Der Mann in der blauen Uniform hat mir gesagt, dass es Mommy nicht gut geht. Meine Mommy sei krank... sehr krank sogar. Was kann ich nur tun, damit es ihr wieder gut geht?
Plötzlich wird Mommys Schlafzimmertür geräuschvoll aufgerissen und mir versetzt es beinahe einen Herzinfarkt.
„Wo ist der kleine Scheißer?", höre ich IHN wütend schreien.
Mommy schweigt.
„Rede ich Chinesisch, du Crackhure?", donnert er los.
Ob er meinen Mommy wieder hochreißt, wie er das sonst auch immer macht, wenn er heimkommt?
Mommy antwortet nichts.
„Rede!", brüllt er, dann höre ich einen Schlag. Vermutlich hat ER sie wieder geschlagen. Das macht er oft, sehr oft sogar.
In letzter Zeit ist ER irgendwie immer nur noch wütend auf meine Mommy.
ER braucht Geld, viel Geld, aber Mommy kann es ihm nicht geben. Sie hat ja selbst keines, aber das versteht er nicht. Will ER einfach nicht verstehen.
Nach einiger Zeit höre ich Mommy wimmern. Dann schreit sie.
Ich hoffe, dass die nette Nachbarin vielleicht Mommys Schreie hört und zu Hilfe herbeieilt. ‚Bitte, bitte komm doch unbekannte Frau und hilf uns. Hilf meiner Mommy und mir!'
Die nette Nachbarsfrau versteht sich gut mit Mommy. Ich habe sie mal miteinander reden hören. Da hat meine Mommy glücklich gewirkt.
Erneut ein Schrei von Mommy. Was tut er nur mit ihr?
Ich rufe nach ihr, möchte ihr helfen, aber sie hört mich nicht. Doch ER hat mich gehört. Ich kann hören, wie ER nach mir sucht. Wie ein aufgescheuchtes Tier läuft er hektisch durch das Zimmer.
„Bitte", vernehme ich Mommys verzweifelte leise Stimme.
„Still", faucht ER stocksauer zurück, dann höre ich einen weiteren dumpfen Schlag. Mommy sagt nichts mehr... wimmert und weint nur noch.
Ich vernehme abermals Schritte. Sie kommen näher... immer näher, dann bleibt ER stehen. Die Schranktüren werden aufgerissen. Grelles Licht blendet mich und reflexartig kneife ich die Augen zu. Ganz fest.
Grob werde ich gepackt, was mich meine Augen wieder öffnen lässt.
ER verpasst mir eine Ohrfeige, die so heftig ist, dass ich auf dem Boden lande.
Eine Zeit lang höre ich nichts, außer einem hohen, störenden Ton. Augenblicklich wird mir schwindlig. In mir pulsiert die Angst, auch wenn ich versuche stark zu sein... stark für Mommy. Ich weiß, dass er mich wieder schlagen wird. Entweder mit den Stiefeln, mit seinem Gürtel oder mit den Händen, aber zuschlagen wird er. ER schlägt immer zu. Jedes Mal! Ein ‚Stop' kennt er nicht. ER entscheidet sich für den Gürtel... hebt die Hand und holt aus. Der Mann verfehlt mich nur knapp, ich bin ausgewichen.
Irgendwo höre ich meine Mommy husten.
„Bitte", presst sie unter Schmerzen hervor, „hör auf."
Ich will zu Mommy laufen, jedoch werde ich gepackt und unter seinen Arm geschoben.
„Lass ihn", Mommys Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, als der Mann sich zu ihr umdreht. Niedergeschlagen liegt meine Mommy am Boden. Ich wimmere. ‚Mommy, Mommy, Mommy.'
Sie will, dass er mich loslässt, sagt seinen Namen, aber ER hört nicht. Lacht nur spöttisch und meint „Jetzt siehst du es Ella, jetzt siehst DU, was du dem kleinen Scheißer antust. Ich hab dir doch gleich gesagt, dass du ihn loswerden sollst, aber du wolltest ja einfach nicht hören." Mommy schluchzt.
‚Nicht weinen, Mommy. Nicht weinen, es wird alles gut. Alles wird gut. Hast du mir selbst mal gesagt, erinnerst du dich?'
Ein weiterer Schluchzer. ER holt aus und bringt meine Mommy zum Schweigen. Dann verlässt er mit großen Schritten den Raum und geht mit mir in die Küche.
ER setzt sich, legt mich über seine Beine. Hält mich fest und schlägt dann auf mich ein. Ich will mich befreien. Will weglaufen. Aber ich kann nicht. Ich bin zu schwach. Habe nicht den Hauch einer Chance gegen ihn. ‚Mommy, Mommy, Mommy.'
Nach einiger Zeit spüre ich nichts mehr. ER hat mir schon so viele Schläge verpasst, dass meine Knöchel bereits taub sind. Irgendwann schiebt er mich wie eine lästige Decke von seinen Oberschenkeln, ehe er den Raum verlässt. Ob Mommy noch in ihrem Zimmer ist? Ich wüsste es nur zu gerne, aber ich kann mich nicht bewegen. Vielleicht kann mir ja die nette Nachbarin helfen herauszufinden, was mit meiner Mommy ist?
Ich höre wie ER wieder kommt und dann spüre ich den Schlag seiner Hand. Mitten ins Gesicht. Schwach bleibe ich einfach liegen, jedoch reißt er mich hoch.
„Komm mit, du", faucht er wütend, „wir gehen jetzt zu Mommy. Na komm schon."
Ich lasse mich von ihm mitschleifen, die Treppe hinauf in Mommy Zimmer. Oben angekommen, erblicke ich meine Mommy. Sie sitzt in ihrem Bett, trägt noch immer das schwarze Kleid von vorhin und wirkt komisch.
‚Mommy?'
ER schleift mich an ihr vorbei und Mommy scheint keine Notiz von uns zu nehmen.
„Sie hat wieder mal zu viel von dem Zeug genommen", sagt er an mich gewandt und sieht mich gehässig an, „elender Junkie."
Ich will zu meiner Mommy, aber ich bin zu schwach, um mich aus seinem Griff zu befreien. ER setzt mich am Boden ab, ehe ER sich eine Zigarette anzündet. „Jetzt wirst DU zuschauen, Ella", faucht er nur zornig, während er mir den weißen Rauch ins Gesicht bläst. Eckel packt mich.
Ich muss husten.
ER stinkt nach Schnaps und Zigaretten. Wie widerlich!
Unsanft öffnet er den Reisverschluss meiner Weste. Ich ahne schreckliches. Darunter trage ich nichts. ‚Nein, nicht wieder Feuer! Nein! Mommy! Mommy, hilf mir!'
Meine Gedanken überschlagen sich. Ängstlich weiche ich zurück, jedoch stößt mein Rücken nach einigen weiteren kleinen Schritten gegen die weiße Wand. ‚Oh nein! Mommy, hilf mir. Mommy, Mommy, Mommy!'
Über das Gesicht des Mannes, der sich nun bedrohlich vor mir aufbaut, huscht ein fieses Grinsen.
„Tja", meint er boshaft, „jetzt gibt's Feuer, du kleiner Scheißer und diesmal, diesmal kommt dir deine ‚ach so liebe' Mommy nicht zu Hilfe."
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
Durch meine Andern pulsiert nichts als Angst.
‚Mommy. Mommy, Mommy!'
ER nimmt einen weiteren Zug von seiner Zigarette, bläst mir den stinkenden Rauch ins Gesicht und drückt dann den Glimmstängel an meiner Haut aus.
Es brennt höllisch.
Ich wimmere. Zittere am ganzen Körper.
„Siehst du", raunt er, „Mommy hilft nicht. Mommy sitzt nur da. Mommy schaut zu!"
‚Mommy, Mommy, Mom....'
Mein Gedankengang wird unterbrochen, da ER mich unsanft gegen die Wand drückt und mir erneut eine klatscht. Meine Wange brennt. Höllisch. Ich weine nicht. Er hat mir schon so viele Schmerzen zugefügt, dass die Tränen bereits verschwunden sind. Außerdem hasst ER Tränen, wenn ich weine, schlägt er nur noch härter zu. Wütend stampft er einmal fest auf den Boden, dann wendet er sich von mir ab und geht zu Mommy.
Meine Angst ist so groß, dass ich wie versteinert einfach nur stehen bleibe und beobachte. Ich würde gerne weglaufen und mich verstecken, in Mommy Schrank oder so, aber ich habe einfach keine Kraft. Bin zu schwach, viel zu schwach. Wenn ich weglaufen würde, würde ER mich vermutlich sowieso wieder einholen und schlagen. Außerdem ist Mommy hier oben, wo soll ich denn hin?
ER hat sie erreicht.
Hebt seine Hand und schlägt zu.
Mommys Kopf fliegt zu Seite.
Mühsam richtet sie sich auf. Ihre langen braunen Haare sind zerrzaust.
„Himmel", schreit er, greift unters Bett und holt eine Wasserflasche hervor. Er öffnet sie und schüttet Mommy den nassen Inhalt mitten ins Gesicht. Mommy blickt sich hektisch im Schlafzimmer um, dann bleiben ihren Augen an mir haften. Sie hat gefunden, wonach sie gesucht hat. MICH. Entsetzen macht sich auf ihrem Gesicht breit.
„Nein", ihre Stimme ist brüchig. Mommy will aufstehen, jedoch wirft sie der Mann grob zurück und kommt mit großen Schritten wieder auf mich zu. Die ekelige Zigarette in seinem Mund. Ich will weglaufen, will fliehen, aber ich kann nicht, bin wie gelähmt.
„Schau her", brüllt ER wütend.
Mommy hebt langsam den Kopf. Erschrocken atmet sie aus.
„Da, siehst du", faucht er, „siehst du, was du ihm antust Ella!"
„Lass ihn." Mommy erhebt sich, will auf mich zugehen, jedoch bringt sie der Mann zum Stehen, indem ER mit seiner Zigarette auf mich deutet.
„Willst DU wirklich dafür verantwortlich sein, dass er eine Narbe mehr hat?", zischt ER bedrohlich.
Mommy schluchzt, während sie hastig den Kopf schüttelt.
„Klappe, Ella", schreit er.
‚Nicht weinen, nicht weinen, Mommy.'
Ich zittere am ganzen Körper, jedoch versuche ich trotzdem stark zu sein. Ich muss stark sein. Stark für meine Mommy.
„Ich habe doch gleich gesagt, wir sollen das Jugendamt anrufen", zischt er und auf einmal ist seine Stimme nicht mehr so laut, „der kleine Scheißer, macht doch nichts als Ärger. Wieso siehst du das nicht, Schatz?"
Wie ein Schimpfwort wirft er Mommy den Kosenamen entgegen.
In ihren Augen bilden sich Tränen.
‚Nicht weinen Mommy, sonst schlägt er dich.' ER hasst es, wenn Menschen weinen, dann verliere er immer ganz schnell die Nerven, hat er mir mal gesagt, als meine Mommy nicht da war. Ich habe damals trotzdem geweint, weil ich meine Tränen einfach nicht zurückhalten konnte, aber mit der Zeit habe ich es gelernt. Mommy muss es auch lernen, ganz schnell, sonst schlägt ER dreimal so stark zu. Ja, Mommy muss es lernen, so schnell wie möglich.
„Bitte", ihre Stimme ist brüchig und sie versucht abermals näher an mich herumzukommen. Doch ER bemerkt es.
„Ahahahahah, was haben WIR gesagt", faucht er wütend, „bleib da auf dem Bett... ansonsten kann ich für nichts garantieren."
Der Mann nimmt einen weiteren Zug von seiner ekelhaften Zigarette, ehe er damit auf mich deutet. Mommy zuckt zusammen und nickt schnell.
„Sag, dass es dir Leid tut, Ella", faucht ER.
Hastig nickt Mommy.
„Es, es...", stottert sie, jedoch kommt Mommy nicht weiter, da ihr ihre Tränen dazwischenkommen.
„SAG ES!", brüllt er lautstark.
„Es tut mir Leid...", schluchzt Mommy und nun ist ihr Gesicht tränenüberströmt.
ER lacht, ehe er sich an mich wendet und die Zigarette auf meinem nackten Oberkörper ausdrückt.
Ein stechend brennender Schmerz breitet sich in mir aus. Ich halte jedoch die Tränen zurück, Schreien muss ich aber trotzdem.
Mommy weint.
Er lacht... boshaft...

MEMORIES - Fast vergessene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt