Abschied

50 6 0
                                    


  Ohnezahns Sicht:

Spät am Abend sammeln sich alle Drachen am Westlichen Rand Silencias zum Aufbruch. Ich und Hicks sind mitten im Getümmel. Plötzlich entdecke ich Astrid auf Shadrian, die auf uns zufliegen und sich durch die Masse aus Drachen schieben.

*Kommt mit.* sagt Shadrian und fliegt los.

Ich schwinge mich schnell auf Hicks Rücken und dann stößt er sich kräftig vom Boden ab. Zusammen fliegen wir zu den höchsten Bergen von Silencia. Dort landen wir auf einem kleinen Plateau und lassen unsere Reiter absteigen.

„Du wirst hierbleiben, oder?" frage ich Astrid und werfe ihr einen kurzen Blick von der Seite aus zu.

„Ja." sagt sie mit gesenktem Kopf und leiser Stimme.

Ich höre die Trauer und das ehrliche Bedauern in ihrer Stimme. Ich habe es gewusst, dass sie bleibt, aber tief in mir habe ich immer gehofft, dass sie doch mit uns nach Berk zurückkommt, um Hicks Willen. Er kann nicht ohne sie. Er wollte immer nur sie, eine andere wird er nicht an seiner Seite akzeptieren. Ich kenne ihn schon lange genug, um das zu wissen.

„Es tut mir leid Hicks." sagt sie an den Nachtschatten gewandt.

Erneut werde ich daran erinnert, dass wir uns bald auf die Suche nach dem Heilmittel machen müssen. Schließlich will ich nicht immer in diesem Menschenkörper festsitzen. Ob es Hicks genauso geht? Er liebt das fliegen und das kann ich gut verstehen. Ich vermisse das fliegen ganz schrecklich, es ist ein ziemlich blödes Gefühl, wenn man weiß, dass man an die Erde gefesselt ist. Das Gefühl von Freiheit, das man beim Fliegen verspürt, ist so wunderbar. Es macht süchtig. Und nun ist es so weit weg.

„Was werdet ihr jetzt machen?" fragt Astrid schüchtern.

„Wir werden die Zutaten suchen und dann schauen, dass wir die Körper zurücktauschen." antworte ich ihr bestimmt. „Und ihr?" frage ich zurück.

„Ich werde hier weiter in die Schule gehen und ein ruhiges Leben mit meiner Familie führen. Das habe ich mir immer gewünscht, aber ich habe nie gedacht, dass dieser Wunsch je in Erfüllung geht." flüstert Astrid.

Ich nickte nur stumm. So etwas in der Art hatte ich mir schon gedacht. Aber nun war es trotzdem ein Schock, es nochmal aus ihrem Mund zu hören.

„Na komm schon, Hicks, wir müssen los. Die Anderen sind fast fertig. Sie werden jeden Moment losfliegen." rief ich. „Tschüs Astrid, Tschüs Shaddi!" fügte ich noch hinzu.

Hicks verabschiedete sich auch und schmiegte sich dann einmal kurz an Astrid. Diese streichelte Hicks über seinen schuppigen Kopf, dann drehte Hicks sich um und kam zu mir. Bevor ich aufsteigen konnte, sprang Hicks noch mal zu Astrid und schleckte ihr über das Gesicht. Ich grinste und schwang mich dann endlich, kurze Zeit später, auf seinen Rücken. Sofort flog Hicks zu den anderen Drachen und den paar Reitern.

„Und was ist nun mit Astrid?" fragte Haudrauf neugierig.

„Sie bleibt hier. Bei ihrer Familie." erwidere ich.

„Tut mir leid, mein Sohn." sagt Haudrauf mit ehrlichem Mitleid.

Ich erwidere „Schon ok. Sie hat ihre Entscheidung getroffen und es ist für sie das Beste."

Dann fliegen wir nach Hause. Nach Berk. Hicks spricht während des gesamten Fluges kein einziges Wort und ich weiß, dass ihm der Verlust von Astrid sehr zu schaffen macht. Er hat sie mit Herz und Seele geliebt. Und zwar nur sie. Die kalte Abendluft schlägt mir ins Gesicht und ich fröstele. Am Horizont versinkt die Sonne langsam in den Wellen. Der Himmel schimmert bereits in allen lila und pink tönen. Es sieht einfach wunderschön aus. Ich drehe noch einmal den Kopf nach hinten und Silencia hebt sich nur noch als schwarze Silhouette vom Himmel ab. Schon nach kurzer Zeit erreichen wir Berk. Ich und Hicks fliegen sofort nach Hause, dabei kommen wir an Astrids Haus vorbei. Ein Fenster ist offen und der Wind bringt die Fensterläden zum klappern. Zuhause in unserem Zimmer planen wir noch kurz, wie wir Haudrauf erklären können, warum wir schon wieder wegmüssen.

Als der dann spät in der Nacht betrunken nach Hause kommt, sage ich zu ihm: „Hey Vater, also ich und Ohnezahn wir müssen noch mal los. Wir haben noch etwas sehr wichtiges zu erledigen."

„Und das wäre?" fragte Haudrauf misstrauisch.

„Das kann ich dir nicht sagen. Und es hat auch nichts mit dir oder dem Dorf zu tun. Es geht nur mich und Ohnezahn etwas an. Bitte Vater. Du musst mir vertrauen." flehe ich ihn an.

„Na gut mein Sohn. Aber komm schnell zurück, weil ... Weil ich dich nicht verlieren will. Ich liebe dich, Sohn." sagt Haudrauf zögerlich.

„Ich hab dich auch lieb, Vater." sage ich etwas gezwungen.

Hicks hätte sich sicher sehr gefreut, wenn sein Vater das zu ihm gesagt hätte.

„Wow!" keuche ich erschrocken, als Haudrauf mich an sich zieht und mir bei der Umarmung fast die Luft abdrückt.

Schnell mache ich mich wieder los und verziehe mich, so schnell es geht, nach oben zu Hicks. Ich muss ihm davon erzählen, vielleicht kommt er dann, nach dem Körperrücktausch, etwas besser mit seinem Vater aus.

„Na komm schon." dränge ich ihn.

Wir fliegen schnell los. Keiner bemerkt uns und so schaffen wir es ohne Zwischenfälle aus dem Dorf. Schnell rufe ich mir die Liste in Erinnerung. Es waren drei Dinge - fünf Aal Augen, dann noch sieben Blätter der sternförmigen Mondblume, die nur einmal im Monat blüht und dann noch klein geriebene Knochen eines Steinbocks. Als erstes wollten wir uns um den Steinbock kümmern. Das würde am einfachsten werden. Hicks stellte die Flügel schräg in den Wind und nahm Kurs auf die Gipfelinsel. Eine Insel, auf der nur sehr wenig wächst und das was dort wächst, ist nicht sehr schmackhaft. Dort leben Steinböcke, das weiß ich ganz genau. Früher, als ich Hicks noch nicht kannte, war ich einmal dort. Mittlerweile war die Sonne komplett verschwunden und im Meer unter uns spiegelten sich die Sterne. Sanft schwebten wir dahin, eilig hatten wir es nicht. Wir hatten uns ja mittlerweile bereits an den jeweiligen Körper des anderen gewöhnt. Also würden wir es auch noch ein paar Tage mehr aushalten.
-----------------------  

Verkehrte Welt 1 - Die Kinder des Himmels [Httyd/Drachenzähmen leicht gemacht]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt