„... und gemeinsam reisten sie weiter, immer weiter gen Süden hinein ins Unbekannte. Der Junge und das Mädchen, die sich kaum kannten; die sich so fremd waren. Und beide wussten nicht, was sie in der Dunkelheit erwarten würde –"Ein Lächeln huschte über Alexeis Gesicht, ebenso leise wie die sanfte Brise, die sie immer wieder umfing, trotzdem jedoch blieb es nicht unbemerkt.
Lucies Blick wanderte von dem braunen, kleinen Buch, aus dem sie vorgelesen hatte zu ihrem Bruder. „Was ist?"
Der Junge zögerte einen Moment. „Ich weiß nicht, mir ist nur gerade aufgefallen, dass deine Geschichten in letzter Zeit um einiges besser geworden sind. Hat Dad dir dabei geholfen?"
„Nein." Lucie sah ihn noch einen Moment an, dann las sie weiter.
Alexei lehnte sich wieder an den Nussbaum hinter ihm und ließ das warme Sonnenlicht auf sein Gesicht scheinen. Wenn es nach ihm ginge, könnte er jeden Tag hinten im Garten unter dem großen Baum sitzen und den Geschichten seiner Schwester zuhören. Für seinen Geschmack gingen diese Stunden immer viel zu schnell vorüber, die Zeit schien ihm zu entgleiten, wie Sand, den man mit bloßen Händen fassen wollte. Dabei war sie so kostbar für ihn.
Gerade als sich eine Wolke vor die Sonne schob hörte er einen Knall aus der nicht weit entfernten Küche. Dem deutlich vernehmbaren Fluch seines Vaters und dem nachhallenden Klang nach, hatte er einen der Küchentöpfe fallen gelassen. Mitsamt Inhalt.
Alexei grinste wieder und setzte sich auf.
Die besorgten Augen seiner Schwester trafen seine. „Sollten wir ihm nicht helfen? Es sind nur noch ein paar Stunden, bis Mum zurückkommt."
Er schlang seine Arme um die Beine. „Warum? Er hat nichts gesagt."
Lucie lachte, klappte das Buch zu und sah ihn mit erhobenen Augenbrauen an. „Er sagte, du sollst die Wohnung und den Gastraum putzen, oder?"
„Was ich getan habe", gab er mit einem nun schiefen Grinsen zurück, dann fügte er leise „so halbwegs", hinzu.
Seine Schwester schüttelte den Kopf. „Manchmal könnte man denken, dass ich die Ältere von uns beiden bin." Sie stand auf und warf ihm das Buch zu. „Hier lies sie selbst fertig, wenn du unbedingt willst."
Immer noch mit einem Lächeln auf dem Gesicht sah er dem kleinen Mädchen nach, bis sie im nicht weit entfernten Haus verschwand. Gedankenverloren begann er das gebrauchte und bereits abgegriffene Buch in seinen Händen zu drehen. Lucie hatte an einigen Stellen den Einband verbessert, und wenn er es aufschlagen würde, würde er feststellen, dass einige Seiten herausgefallen und neu eingeklebt waren. Seine kleine Schwester hatte es in den Jahren, in denen sie es besessen hatte, sehr viel benutzt.
Als sie es vor einiger Zeit von seiner Mutter bekommen hatte, war er, genauso wie sein Vater, eher skeptisch gewesen, was sollte schon ein fünfjähriges Mädchen mit einem solchen Buch anfangen? Doch wie sich herausstellte war Lucie schon immer besonders gewesen. Bereits einen Tag später hatte er die beiden, die Frau und das Mädchen, zusammen an einem Tisch in der Ecke ihres Restaurants sitzen sehen und Lucie hatte ihre erste Geschichte geschrieben, zwei Wochen später hatten sich ihre Mutter, Alexei und Lucie erstmals zusammen unter den, noch viel kleineren Baum gesetzt und sie hatte ihm ihre Märchen vorgelesen.
Mittlerweile war es zu einer Art Ritual geworden, Lucie und er unter dem Baum, die gemeinsam die Geschichten lasen, die sie mal mit ihrer Mutter, mal mit ihrem Vater geschrieben hatte. Jedoch hatte sie ihm noch nie erzählt, dass sie einen Text ganz allein verfasst hatte.
„Alexei!" Die laute Stimme seines Vaters riss ihn aus seinen Gedanken. „Kommst du und hilfst, wie du es eigentlich versprochen hast oder willst du dich weiter verstecken?"
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Zwischen Licht und Schatten
FantasyDie Welt ist gespalten zwischen vier Namen, vier Familien: Vertere, Travail, Prevoir und Pensee. Vier Familien, die das Land unter sich aufteilen und die Macht für sich beanspruchen. Weit davon entfernt wächst Alexei mit seiner Familie in einem kle...