Kapitel 48 - Ezra

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Ein kollektives Raunen ging durch die Menge, als ein Stöhnen verriet, dass einer der beiden im Zentrum des Raums zu Boden gegangen war. Ezra schenkte dem Mann nur einen kurzen Blick, dann begann sie wieder mit ihren Augen den Raum nach einem ganz bestimmten Gesicht abzusuchen. Er war hier. Sie war sich sicher, er war hier gewesen.

Sie sah, wie sich am anderen Ende des Raums eine dunkle Gestalt bewegte und erstarrte. Hastig drängte sie sich zwischen den anderen Zuschauern hindurch, doch die Luft war so warum, so schwül und dicht, dass es ihr eher vorkam, als würde sie schwimmen. Als sie an der Arena vorbeikam, schlug darin schon wieder Metall auf Metall, sodass der Lärmpegel im Raum wieder deutlich gestiegen war. Niemand würde sie bemerken.

Wie selbstverständlich tauchte sie unter dem Arm eines laut jubelnden Mannes durch und trat aus der Traube, die sich um den Ring versammelt hatte, doch als sie die Stelle erreichte, an der sie den Anderen vermutet hatte, war dort niemand.

Enttäuscht wandte sie sich um und suchte den Raum erneut ab. Oder zumindest das, was sie davon sehen konnte.

Sie wusste, dass ihr Vater nicht einmal einen Zeh in ein solches Gebäude gesetzt hätte. Sie war sich sicher, dass sie sich seine Wut, die in ihm aufsteigen würde nicht einmal vorstellen konnte, wenn er sie nun sehen könnte. Er würde es mehr als verurteilen. Und genau deshalb war sie erstmals hergekommen.

Obwohl ihr erster Besuch nicht vor allzu langer Zeit gewesen war, kannte sie sich mittlerweile genauso gut in diesem Keller aus, wie in den Katakomben von Nivie.

Beim genaueren Hinsehen waren sich Raviar und ihre Heimatstadt ähnlicher als man erst vermuten würde. Auch hier gab es Katakomben, die sich unter der ganzen Stadt ausbreiteten. Auch hier kämpften die Menschen für ihre Überzeugungen, ob mit Klinge oder mit Worten.

Ezra starrte in die Richtung des Rings. In Nivie trafen sich in den Katakomben verbotene Gruppen oder Flüchtige suchten darin Unterkunft, Seite an Seite mit den Zellen, wo ihr Vater diejenigen einsperrte, die ihm gefährlich werden konnten. In Raviar trat man gegeneinander an, um sich zu beweisen. Um stärker zu werden und dafür bereit zu sein, sich gegen die Häuser wehren zu können. Um ihnen entgegenzutreten, würden sie jemals wieder die Grenzen überschreiten.

Der Blick des Mädchens streifte wieder über eine dunkle Gestalt, doch als sie ihn für einige Augenblicke beobachtete, bemerkte sie, dass es unmöglich der Mann sein konnte. Es war ein Junge, seiner Größe nach zu schätzen konnte er nicht einmal so alt sein wie sie. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Nein, dieser Junge war sicher kein Kämpfer. Sie war auch keine gewesen, als sie hergekommen war, zumindest hatte sie das gedacht. In Nivie waren die Kämpfe eher eine Sportart, eine alte Tradition oder ein Zeitvertreib unter Freunden, bei denen zwar teils Magier verletzt wurden, doch niemals schwer. Von ihr war als Trägerin immer das Beste erwartet worden; trotzdem hatte sie abseits von wenigen Malen, nie regelmäßig gekämpft. Ihr Vater hatte immer gemeint, sie sei noch nicht weit genug. Wie sehr er sich darin geirrt hatte.

Die Kleider des Unbekannten waren dreckig, ebenso wie der Umhang, den er trug. Offenbar war er schon eine Weile lang unterwegs. Oder hatte nicht genügend Geld für etwas anderes.

Sie fragte sich, warum der Junge hier war, seinem Verhalten nach zu urteilen war er nicht besonders am Ausgang des Kampfes interessiert, stattdessen schien auch er in der Menge nach jemandem Ausschau zu halten. Ezras Blick schweifte über die zahllosen Gesichter und konnte ihn gut verstehen. Auch sie war auf der aussichtslosen Suche nach jemandem. Nur kannte sie die Person nicht einmal.

Ein unangenehmes Knacken durchschnitt den Raum und wieder schwollen die Rufe der Zuschauer zu Schreien an. Einer der beiden hatte gewonnen. So schnell die Traube es ihr erlaubte drängte sie sich vor zum Ring und blickte hinab.

Der Keller war groß, größer als manche Kirchen, die sie kannte und fiel zur Mitte hin leicht ab. Im Zentrum des Raums hatte man eine Art Loch errichtet in denen sich die Opponenten entgegenstellten. Schon an ihrem ersten Tag hatte sie gelernt, dass es nicht nur Magier waren, die gegeneinander kämpften.

Als sie die Grube erreichte musste sie erstmals ein paar Mal blinzeln, bevor sie sehen konnte welcher der beiden gewonnen hatte, da sie nun direkt unter dem verstaubten Kronleuchter stand, der den gesamten Raum erhellte.

Sie blickte auf den Sandboden hinunter, auf dem eine gedrungene Gestalt lag und schwer atmete. Neben ihm stand ein breiter Mann, der so wirkte, als könnte er die Steine mit bloßen Händen aus der Wand reißen. Mit erhobenen Händen stand er da und jubelte sich selbst zu, während er hämisch lachend nach einem neuen Gegner forderte.

Ezra bemerkte, wie sich manche neben ihr sich neugierig umsahen. Sie blickte wieder durch die Menge, bis sie das Gesicht einer ganz bestimmten Person erkannte. Das Mädchen nickte langsam und verschwand dann.

Ihre Hand schloss sich um die Verkleidung, die das Rapier auf ihrem Rücken umschloss. Es gab noch einen weiteren Grund, warum sie stets hierher kam. Die Wetten zwischen den Zuschauern waren sehr lukrativ.

Mit einer einzigen, fließenden Bewegung schwang sie sich über den niedrigen Rand und landete sicher auf der dünnen Sandschicht. „Wie wäre es mit mir?", fragte sie und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Sie bemerkte wie die Augen des Mannes sie abschätzend musterten. „Ich kämpfe nicht mit kleinen Mädchen", brummte er und seine grummelnde Stimme erfüllte den ganzen Raum.

Das Lächeln auf ihrem Gesicht wuchs zu einem breiten Grinsen heran und sie zog die Waffe aus ihrer Scheide bevor sie diese hinter sich auf den Boden warf. „Ich denke, das werden wir noch sehen."

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt