Sie wusste, dass sie hinter ihr waren. Mittlerweile war es nicht mehr ihr Instinkt, der sie voran trieb, mittlerweile war es das Adrenalin, dass durch ihre Adern schoss, ihr Herz schneller schlagen und ihre Gedanken rasen ließ.
Gleichwohl war ihr Kopf klarer, ihre Sinne geschärft. Ihre Entschlossenheit größer denn je. Sie würde sich nicht von ihnen erwischen lassen. Sie würde entkommen. Auch wenn es bedeutete, dass sie keine Möglichkeit mehr hatte je wieder zurückzukommen. Auch wenn es bedeuten würde, dass sie auf ewig in Furcht vor ihrer Familie leben müsste.
Kurz nachdem sie in die Straßen der Stadt eingetaucht war hatte sie einen Blick über die Schulter geworfen und festgestellt, dass immer noch drei Personen hinter ihr waren. Eine davon kannte sie, Bernhard, der mittlerweile schwer schnaufend hinter den anderen beiden nachhinkte, trotzdem aber den Anschluss nicht verlor.
Die Namen der anderen beiden kannte sie nicht, obwohl sie sich sicher war, dass sie den Mann mit dem eingesunkenen Gesicht und die zierliche Frau mit dem hellroten Zopf schon einmal gesehen hatte. Wahrscheinlich sollte sie ihre Namen kennen, doch sie war noch nie eine gute Trägerin gewesen. Und so wie es aussah würde sie auch nie eine sein.
Als sie ein Ruf von hinten erreichte beschleunigte sie ihre Schritte noch, mittlerweile flogen ihre Beine über das Pflaster und auch wenn ihr Atem bereits schwerer wurde dachte sie nicht einmal daran aufzuhören.
Ein weiterer Ruf kam von hinten, begleitet von einem anderen Geräusch. Einem Ton, der ihr Herz gefrieren ließ. Schwer atmend haderte sie noch mit sich, dann drehte sie doch den Kopf.
Verwirrt starrt sie in die Gasse hinein. Die Personen waren weiter zurückgefallen, sodass sie sie in der Dunkelheit nicht mehr ganz erkennen konnte. Unsicher wurde sie langsamer und starrte in die Dunkelheit hinein.
Das Geräusch hatte sie an einen abgebrochenen Schrei erinnert, gefolgt von einem seltsamen Glucksen. Ihr Atem fühlte sich immer noch schwer in ihrer Brust an, trotzdem stockte er für einen Moment als sie erkannte was geschehen war.
Ihre drei Verfolger lagen auf dem Boden, offenbar unfähig sich noch weiter zu bewegen, während über ihnen eine andere Gestalt hoch aufragend dastand und direkt in ihre Richtung starrte. Es war ein Mädchen, ihre blonden Haare zu einem Zopf nach hinten gesteckt sah sie beinahe aus wie ein unschuldiges Lamm.
Trotzdem ließ ihr Anblick erneut Panik in ihr ausbrechen. Ihre Blicke kreuzten sich. Braun traf auf Rot.
Ezra stolperte ein paar Schritte zurück, dann, als das Mädchen ebenfalls zum Sprint ansetzte wirbelte sie herum und rannte wieder los. Der Blick des Mädchens hatte sich in ihren Kopf gebrannt und ließ die Panik immer wieder neu hoch lodern, trieb sie immer wieder in neue Spitzen.
Ihre Augen. Es waren dieselben Augen wie die des Mannes. Es war dasselbe hasserfüllte Starren. Kannten sie sich? Hatte sie sie schon einmal gesehen? Sie wusste nicht woher, doch sie kam ihr bekannt vor, als wären sie sich vor langer Zeit einmal begegnet.
Ein Surren hinter ihr ließ sie zur Seite springen und die Trägerin sog scharf Luft ein, als etwas an ihr vorbeischoss. Was es war konnte sie nicht genau erkennen, trotzdem wurde ihr etwas bewusst. Das Mädchen war sicher nicht zum Reden gekommen.
Panisch erreichte ihre Geschwindigkeit einen neuen Höhepunkt, als sie daran zurückdachte was passiert war, als sie dem Mann begegnet war. Lass dich bloß nicht von ihr berühren, schoss es ihr durch den Kopf.
Die Gedanken rasend tauchte sie in eine der Seitengassen ab und schlug somit einen Bogen um die innere Mauer. Sie wusste nicht, ob das Tor offen war, doch sie würde es sicher nicht darauf ankommen lassen.
Noch während ihre Beine über den kalten Steinboden flogen warf sie einen Blick nach hinten. Die Hoffnung sie im Gewirr der Gassen zu verlieren platzte jedoch augenblicklich, als sie erkannte, dass die Andere ihr immer noch folgte.
Ein Schluchzen kroch über ihre Lippen und verwandelte sich in ein Husten, das sie straucheln ließ, trotzdem schaffte sie es jedoch ihre Geschwindigkeit beizubehalten. Angst umfasste sie wie eine kalte, harte Faust. Sie würde es nicht schaffen. Wie sollte sie sicher aus der Stadt kommen, wie sollte sie flüchten ohne auf ihrem Weg ihrer Familie oder diesem Mädchen in die Arme zu laufen?
Ein weiteres Schluchzen unterbrach ihren Atem und sie blinzelte, verzweifelt versuchend nicht innerlich aufzugeben. Doch als vor ihr das große Haus wieder näher rückte brannte es sich in ihren Kopf ein, genauso wie die erbarmungslosen, kalten roten Augen, die sie für immer verfolgten und nie aufgeben würden.
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Zwischen Licht und Schatten
FantasyDie Welt ist gespalten zwischen vier Namen, vier Familien: Vertere, Travail, Prevoir und Pensee. Vier Familien, die das Land unter sich aufteilen und die Macht für sich beanspruchen. Weit davon entfernt wächst Alexei mit seiner Familie in einem kle...