Kapitel 75 - Amaria

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Ein Gähnen kroch über die Lippen des Mädchens und kraftlos sank sie sank zu Boden, unfähig sich auf ihren Beinen zu halten. Mittlerweile mussten es Stunden sein, die sie auf diesem Fleck Erde verbracht hatten, einsam in Stille. Und immer noch fühlten sich ihre Glieder taub an. Alles schien auf den Kopf gestellt worden zu sein.

Mit einem drückenden Gefühl in der Kehle zog sie die Beine an ihren Körper und schloss die Augen. Sie wusste, dass Nox immer noch bei ihnen war, denn als sie sich letztendlich doch umgewandt hatte, stand er noch genau an derselben Stelle wie zuvor. Als wäre er zu einer Statue erstarrt. Jedoch hatte er ihnen nicht geholfen. Es störte sie nicht, dass er bisher nichts zu Elias gesagt hatte, doch dass er sich gar nicht beteiligte?

Für einige Sekunden öffnete sie die Augen und betrachtete den Jungen, der vor dem nun geschlossenen Loch saß und immer wieder eine Hand Erde hochhob, bis er sie wieder fallen ließ. Hätte ihn ein Außenstehender gesehen, würde dieser ihn womöglich als verrückt bezeichnen, doch Amaria wusste, dass er Zeit brauchte.

„Es war wirklich nett, dass du ihm geholfen hast."

Sie beobachtete aus dem Augenwinkel wie die Person, die gesprochen hatte sich neben ihr auf dem Boden niederließ, wandte aber ihren Blick nicht von dem Jungen ab. Die anderen würden Lumens Worte sowieso nicht hören.

„Er erinnert dich an deinen Vater."

Tatsächlich war es eher eine Feststellung als eine Frage, trotzdem zeigten die Worte Wirkung. Amaria nickte leicht, drohend den Kloß in ihrem Hals zu verschlucken und daran zu ersticken.

„Er wird es überleben. Und es wird ihn stärker machen. Ich denke, das hat es dich auch." Sie bemerkte wie er zu ihr blickte. „Vielleicht habe ich dich damals in Majora ja doch falsch eingeschätzt."

Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, welches sie jedoch wegen des überschwemmenden Gefühls erzwingen musste. Kurz versuchte sie noch die Frage, die wieder in ihrem Kopf erschienen war wegzudrängen, doch sie übermannte sie wie ein Rammbock, der eine Tür einriss; mitsamt der Ketten mit denen sie sie in der hintersten Ecke ihres Kopfes versucht hatte wegzusperren.

„Warum ist er nicht hier?", hisste sie beinahe tonlos und spürte, wie endlich Tränen über ihre Wangen rannen und eine heiße Spur hinterließen. „Mein Vater starb vor so langer Zeit. Was bringt es mir euch zu sehen, wenn er nicht hier ist?"

Als sie endlich in die Augen des Anderen blickte, sah sie das Mitleid in seinen Augen. „Nicht alle kommen wieder."

Ein lautes Schluchzen entwich ihrer Kehle und sie vergrub das Gesicht in ihren Knien, damit der nächste von dem Stoff gedämpft wurde. Vielleicht würden Elias und Nox sie hören. Vielleicht würden sie es, in ihrer eigenen Welt gefangen, nicht einmal bemerken. In diesem Augenblick war es ihr vollkommen egal.

Sie war froh darüber, dass Lumen ihr die Zeit ließ und wartete bis die Tränen wieder versiegt waren.

„Ich bin mir sicher, er wäre stolz auf dich." Ihr war bewusst, dass er die Worte ernst meinte, trotzdem kam es ihr vor wie eine leere Aussage. Er konnte nicht wissen, was ihr Vater gedacht hätte und was nicht. Genauso wenig wie sie.

„Meinst du es ernst?"

Über die Frage irritiert Blickte sie zu ihm.

„Dass du zu den Prevoir gehen willst."

Amaria nickte.

Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Und hast du schon einen Plan wie zu ihnen kommst?"

Das Mädchen blickte ihn lange an ohne zu antworten, denn sie bemerkte, wie ein Funken Wut ihr Herz schneller schlagen ließ. Enttäuscht dachte sie daran zurück, was er nur Minuten zuvor zu ihr gesagt hatte. Offenbar hatte er doch gelogen. Offenbar bewertete er immer noch ihr Handeln. Und verurteilte es, da sie sich nicht genug Gedanken gemacht hatte. Sie schluckte, dann schüttelte sie langsam den Kopf.

Das Grinsen wurde breiter. „Dann kann ich vielleicht doch noch helfen."

„Elias ... Elias, wir sollten gehen ..."

Amaria sprach leise und beugte sich zu ihm hinunter. Der Junge hob den Kopf und nickte bevor er sich langsam erhob, den Blick auf den kleinen Berg in vor ihm gerichtet.

„Wenn du noch hierbleiben willst ..."

„Nein", seine Stimme war fester und bestimmter als sie erwartet hatte. „ich komme mit."

Auf seinen eindringlichen Blick hin nickte sie und gemeinsam machten sie sich wieder auf zur Stadt zurück. Während sie den sanften Hang hinauf wanderten wandte sich Elias noch mehrmals um, den Blick auf die sich immer weiter entfernende Erhebung fixiert.

Kurz bevor sie die ersten Häuser erreichten wandte sie sich ebenfalls um, das einzige, was sie erblickte war jedoch Nox, der ihnen mit einem kleinen Stück Abstand folgte. Als sie ihn anblickte, hob er ebenfalls den Blick und ihre Augen trafen sich für einen Augenblick bevor sie wieder gen Boden blickte.

„Woher hast du sie?", fragte das Mädchen und deutete auf die Schaufel in der Hand des Anderen.

„Aus einem Schuppen."

„Du solltest sie zurückbringen."

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt