Kapitel 56 - Ezra

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Als die beiden Gestalten sich trennten und eine der beiden wieder in dem Gebäude verschwand schluckte das Mädchen hart und drückte sich in die Schatten neben ihr. Als sie ihr Bein wieder belastete durch fuhr sie ein stechender Schmerz und sie zuckte zusammen.

Für einen Augenblick stand die andere Gestalt einfach da, den Blick aufmerksam auf die Fassade des Gebäudes gerichtet, dann wandte diese sich auch ab und verschwand in einer der Seitengassen. Als der Vorplatz wieder leer war ließ sie sich erneut auf ihr Bett fallen und den Kopf gegen die Wand sinken.

Mit einem tiefen Seufzen schloss sie die Augen und streckte ihre Hand nach der Taschenuhr aus, den sie neben sich auf dem Bett hatte fallen lassen. Der Gedanke daran, dass er sie so leicht gefunden hatte jagte ihr Angst ein, denn auch ohne sie war er nur wenige Minuten nach ihr auf dem Platz erschienen.

Ihre Finger umfassten das kalte Metall um sich zu versichern, dass es noch neben ihr lag. Die Worte des Jungen hallten immer noch in ihren Ohren nach. Der Blick, mit dem er sie bedacht hatte schien sich immer noch durch sie zu bohren.

Sie war sich sicher, dass er vermutete, dass sie ihm nicht glaubte und ja, zuerst hatte sie ihn für einen der Magier gehalten, die ihr meist in Nivie begegneten. Diejenigen, die ihre Familie, oder alles andere für das Haus aufgegeben hatten und sie dafür behandelten, als wäre sie ihnen irgendetwas schuldig.

Doch er trug ihren Talisman bei sich. Ein Talisman, den er zweifellos von einem Träger der Familie Prevoir haben musste. Den er zweifellos von ihrer Mutter haben musste, denn wäre er von den Prevoir gesendet worden, hätte ihm Uriah nicht die Uhr übergeben. Dann trüge er nicht die Farben des Hauses ihrer Familie.

Nein, sie glaubte ihm. Und seine Worte passten auch zu den Worten mit denen sie aus Nivie verabschiedet wurde: Ich würde im Süden beginnen. Doch denk immer daran, dass du wenn du sie findest, vielleicht nicht die Person findest, die du gern hättest.

Ezra zog beide Beine an ihre Brust und legte den Kopf auf ihre Knie. Für eine Weile hielt sie inne und hielt die Augen geschlossen. Auch wenn ihr Verstand realisierte, dass der Junge womöglich ihr Bruder war, weigerte sich jedoch ihr Kopf es als die Wahrheit zu akzeptieren.

Weitere Minuten verstrichen, die dem Mädchen jedoch vorkamen wie Sekunden. Als sie wieder die Augen öffnete schien sich nichts verändert zu haben. Immer noch waren die einzigen Lichtquellen in ihrem Zimmer ein kleiner Kerzenstummel und das Licht, dass durch das Fenster schien. Immer noch war der Platz vor den Gebäude verlassen und leer. Und selbst wenn jemand kommen würde, hatte Elias alle ermahnt das Licht zu dämmen, denn seit wieder so viele aus den Häusern in der Stadt waren hatte er Angst, dass jemand kommen und sie verscheuchen würde.

Als ihr Blick über den Rest des Raumes wanderte blieb er an der glänzenden Uhr neben ihr hängen. Sie hatte sie nie gemocht. Sie würde ihr immer genau sagen was zu tun war. Sie immer in eine Richtung führen, egal ob es die Richtige oder die Falsche war.

Gedankenverloren zog sie sie zu sich und öffnete sie. Beide Zeiger wiesen in dieselbe Richtung, ein Stück rechts hinter ihr. Nicht genau die, aber nahe an der Richtung in die der Junge verschwunden war. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken schloss sie den feinen Deckel und stieß den Gegenstand von sich weg.

Ganz langsam, als sei es ein einstudierter Ablauf zog sie unter dem Bett eine schmale Kiste hervor und begann ihr verletztes Bein mit einer Bandage zu stützen. Dann wickelte sie ebenfalls ihre Handgelenke ein, bevor sie die Handschuhe darüber zog. Als sie all ihre Verletzungen versorgt hatte, rutschte sie vorsichtig zur Bettkante und stand auf.

Seltsamerweise fiel es ihr überraschend leicht zu laufen. Auf ihrem Rückweg noch hatte sie jeden Schritt gespürt, doch nun war es nichts weiter als ein leichtes Ziehen. Der Junge hatte alle Gedanken an den Mann aus ihrem Kopf vertrieben und sie musste hart schlucken, als sie doch wieder an ihn dachte. Ihn und das Metall, das sich beinahe in ihren Körper gebohrt hätte.

Ezra ließ sich die ersten paar Stufen noch Zeit, dann wurden ihre Schritte wieder schneller und wenige Minuten später erreichte sie die improvisierte Küche, die im Keller lag. Als sie den Raum betrat sah sie sich kurz um und entdeckte Elias am Tisch sitzen.

„Hey", rief sie ihm zu und ließ sich gegenüber von ihm auf der Bank nieder.

Elias Augen wanderten nach oben und musterten sie. „Du siehst furchtbar aus."

Ein heiseres Lachen kam Ezra über die Lippen. „Wie geht es dir?", fragte sie freundlich.

Der Junge antwortete zuerst nicht, dann schüttelte er den Kopf. „Warum bist du hier?"

Obwohl seine Worte kalt und eine Spur weit abweisend klangen ließ sich das Mädchen nicht davon beeindrucken. „Das hier soll ein Gemeinschaftsort sein, oder?"

Ein freundliches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Du warst noch nie hier", stellte er fest. Ein Mädchen, das Ezra einen neugierigen Blick zuwarf stellte einen Teller vor den Jungen und Elias nickte ihr freundlich zu. „Womit kann ich dir helfen?"

Den Blick auf die karge Mahlzeit ihres Gegenüber gerichtet schüttelte sie leicht den Kopf. Vielleicht war er doch nicht so leichtgläubig, wie sie dachte. „Wer war das vorhin?"

Die Augenbrauen des Jungen wanderten nach oben. „Wo?"

„Vor dem Gebäude, ich habe euch gesehen, kurz nachdem ich zurückgekommen bin."

Der neugierige Gesichtsausdruck auf Elias Gesicht vertiefte sich. „Ach so, ja. Es war einer aus der Stadt, der nach jemandem sucht."

Ezra schluckte. Soweit nichts Neues. „Nach wem?"

„Einer Frau. Er hatte etwas wie eine Kette von ihr dabei."

Die Trägerin nickte nachdenklich. „Was hast du zu ihm gesagt?"

Der Junge nahm sich Zeit mit seiner Antwort und Ezra biss den Kiefer zusammen um keinen Kommentar zu geben, denn offenbar gefiel es ihm, sie bei Stange zu halten. „Ich habe ihn zu einem Freund geschickt."

„Zu wem?", fragte Ezra verwirrt.

„Zu demselben bei dem du auch warst."

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt