Kapitel 74 - Alexei

2 0 0
                                    

Obwohl der Junge sich schon seit längerer Zeit Mühe gab mehr in die Welt der Häuser zu erfahren und zu verstehen, brauchte sein Kopf eine Weile, bis er ihre Antwort verarbeitet hatte. Womöglich dauerte es noch länger als sonst, denn zuerst war er sich nicht sicher, ob er sich nicht verhört hatte.

„Henry Travail?", echote er langsam, „ du meinst wie der ..."

„Sohn von Gabriel Travail", vollendete sie seinen Satz mit einem seltsamen Tonfall, den er nicht einordnen konnte.

„Wie ... Warum sagen sie so etwas?", brachte er hervor und stellte damit nur eine der Fragen, die ihm durch den Kopf schossen.

Ezra biss ihre Zähne kurz zusammen, bevor sie gedrückt antwortete: „Weil er das überall erzählt."

„Wer?"

„Gabriel Travail."

Alexei zögerte und überlegte für einen Moment, ob er die Frage wirklich stellen sollte, dann jedoch fiel sein Blick auf die rote Spitze der Waffe und er besann sich anders. Unsicher trat er einen Schritt zurück bevor er wieder zu ihr blickte.

Zu seiner Überraschung sank ihr Gesicht etwas ein, als sich ihre Blicke begegneten und braun auf braun traf. Offenbar hatte sie verstanden, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war.

„Du denkst sie sind wahr", stellte sie resigniert fest.

Alexei verkniff sich den ehrlichen Kommentar und verschränkte stattdessen die Arme. „Sind sie?"

Das Mädchen verzog keine Miene, im Gegenteil. Und diese kalte Ruhe jagte dem Jungen mehr Angst ein als ihr üblich überhebliches, sarkastisches, oder gar wütendes Ich. „Es könnte genauso gut ich gewesen sein."

Ein weiterer Stein schien in seine Magengegend zu rutschen. „Also stimmt es."

„Nein!" Mit einem Mal schien ihre Stimme viel zu laut in seinen Ohren und er zuckte zusammen. Jedoch erkannte er, dass es statt einer rasenden Wut eher Trauer und Verzweiflung waren, die in ihrer Stimme mitmischten. „Ich hätte nie so etwas tun können, ich wollte nie ...", sie hielt mitten im Satz inne und schien einmal tief durchzuatmen, als sie weitersprach tat sie es langsamer und in einem ruhigeren Tonfall. „Weißt du wie es ist in meiner Familie aufzuwachsen? Noch dazu als Trägerin?"

Obwohl das Mädchen offenbar keine Antwort von ihm erwartete und gleich weitersprach schossen dem Jungen Bilder von dem großen Haus in Nivie und den teuren Möbeln, die er dort gesehen hatte durch den Kopf. Trotzdem schüttelte er leicht den Kopf.

„Es ist einsam", setzte sie ihre Rede fort. „Die meiste Zeit durfte ich das Haus nicht verlassen und wenn ich mal rausgekommen bin haben mich alle auf der Straße angestarrt. Aber nicht, als hätte auch nur eine Person jemals mit mir geredet, nein." Sie verstummte kurz und ließ Alexei Zeit über ihre Worte nachzudenken.

„Warum sollten sie ...", begann der Junge, doch er beendete seinen Satz nicht, stattdessen verstummte er und blickte ihr unsicher entgegen.

Ezra biss sich wieder auf die Lippe. „Mein Vater mochte es nie, wenn ich viel rausgehe. Vielleicht liegt es daran, dass sein Vater ihn so gut wie ignoriert hat bis er das Haus leiten sollte. Er meinte ich sollte mich lieber auf andere Dinge konzentrieren, immerhin bin ich die Erbin des Hauses, also hatte ich außerhalb des Hauses nie viele Freunde. Ich habe dann nach einiger Zeit beschlossen, dass es nicht immer nötig ist meinem Vater zu gehorchen."

Ein schmales Lächeln legte sich auf ihr Gesicht.

„Du bist weggelaufen", sprach Alexei seinen nächsten Gedanken laut aus.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt