Kapitel 84 - Alexei

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„Ezra? Ezra!"

Sein Ruf verhallte in der Ferne und umso weiter er sich entfernte, desto mehr erinnerte seine Stimme an einen verzerrten Schmerzensschrei.

Er biss sich auf die Lippe, darauf konzentriert sich von den anderen Dorfbewohnern nicht ablenken zu lassen, die ihn teils neugierig, teils verirrt anstarrten. Er konnte sie gut verstehen. Immerhin war er Wochen, Monate lang weg gewesen und nun tauchte er wie aus dem Nichts wieder auf und suchte nach irgendeiner Fremden. Dabei war sie keine Fremde mehr. Nicht für ihn.

Und er musste sie finden, bevor es zu spät war ...

„Ezra", versuchte er es nochmal, doch wieder erhielt er keine Antwort. Konnte sie schon an einem ganz anderen Ort sein? War sie gleich nachdem er sie aus den Augen verloren hatte verschwunden?

„Alexei?"

Eine andere Stimme hallte in ihm wieder und er wandte sich um.

„Nick", sagte er laut bevor all die Luft von der Umarmung in die er ihn schloss aus seinen Lungen gedrückt wurde.

„Wo bist du gewesen?", wollte er schließlich wissen und starrte ihn an, als wäre heute der Tag ihres ersten Treffens.

Alexei schluckte und bemerkte, wie die Sekunden sich in die Länge dehnten ohne, dass er etwas sagte. Doch was sollte er sagen?

Nick räusperte sich laut. „Nach wem suchst du?", fuhr er fort, als hätte er ihm eine zufriedenstellende Antwort gegeben.

Dankbar lächelte Alexei und hoffte dem Anderen damit zu vermitteln, dass er es nicht böse meinte. „Ich suche nach einer Freundin, einem Mädchen. Sie ... hat braune Haare, ist ungefähr so groß ..." Er zeigte mit der Hand in die Luft.

Unsicher schüttelte Nick den Kopf. „Nein, so jemanden habe ich nicht gesehen." Er zögerte. „Ist alles in Ordnung?"

Ein Lachen kam aus Alexeis Mund; ein seltsam verzerrter Laut, von dem er nicht erwartet hatte, dass er ihn jemals aus seinem Mund hören würde. „Ehrlichgesagt weiß ich das nicht so genau. Ich denke das hängt davon ab, ob ich meine Freundin finde oder nicht."

Seine Gedanken wieder an einem ganz anderen Ort trat er langsam einen Schritt zurück, dann noch einen. „Tut mir leid, Nick", erklärte er leise und hoffte, sein Freund würde es ihm nicht übel nehmen.

„Schon in Ordnung", erwiderte dieser verwirrt, als sich immer weiter von ihm entfernte. „Wenn du Hilfe braucht, gib einfach Bescheid."

„Danke", hörte sich Alexei noch über die Schulter rufen, dann rannte er wieder los.

Seine Anspannung stieg noch weiter in die Höhe, als er das letzte Haus passierte und sie immer noch nicht entdeckt hatte. Deprimiert wandte er sich um und ging zurück die Häuser entlang.

Sich schon sicher, er würde sie nicht mehr finden entdeckte er jedoch etwas Eigenartiges auf dem Dach des Turms, dem einzigen Gebäude des Dorfes, welches den Häusern gehörte. Ein Stein fiel ihm vom Herzen, als er die Trägerin erkannte.

„Ezra!", rief er ein letztes Mal ihren Namen und stellte zufrieden fest, wie ihr Blick zu ihm wanderte und sie sich von dem Vorsprung fallen ließ.

Für einen Augenblick machte er sich Sorgen, sie würde sich bei dem Fall verletzten, dann jedoch landete sie schon wie eine Katze vor ihm auf dem Pflaster.

„Du bist noch hier", stellte er erleichtert fest.

Sie nickte. „Was ist?"

Immer noch außer Atem strömte ein Gefühl von Dankbarkeit durch ihn, denn sie verstand sofort, dass etwas nicht stimmte. „Es geht um Lucie."

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt