Kapitel 12 - Alexei

4 0 0
                                    


An meinen Liebsten,

Die Tage scheinen nur so dahin zu kriechen. Ich vermisse unsere gemeinsamen Stunden, die Zeit, die ich mit dir verbrachte erscheint mir heute, als seien es nur Sekunden meines bisherigen Lebens gewesen. Ich weiß, die Zeichen stehen schlecht, wir können uns nicht treffen, nicht solange meine Eltern noch so misstrauisch sind.

Meine Mutter scheint mich stets zu beobachten und versucht meinen Vater und meine Schwester davon zu überzeugen es ihnen gleich zu tun, so muss ich zugeben, ich habe Angst. Angst davor, dass sie auch nur einen Funken unserer Beziehung in meinen Augen sehen könnten und daraufhin alles erfahren. Ich bin nicht bereit dazu dich gehen zu lassen, so war doch die kurze Zeit die ich mit dir verbrachte die schönste meines Lebens.

Ein kleiner Teil von mir mag ihnen zustimmen, wie du gesagt hast, wir stammen doch eigentlich aus zwei verschiedenen Welten, wie sehr sie sich von außen gleichen. Doch tief in mir spüre ich, dass es nicht wichtig ist woher wir kommen. Es ist nur zu deutlich zu erkennen, dass uns mehr verbindet als trennt und keine Regeln, keine Verbote und keine Personen, ja nicht einmal unsere Eltern dürfen uns trennen.

Ich weiß, du wirst mich wieder als Träumerin bezeichnen doch jedes Mal wenn jemand unser Haus betritt beschleicht mich die Hoffnung, dass du es bist, so bist du doch auch schon zuvor wie jeder andere ein und ausgegangen.

Doch bisher wurde ich stets enttäuscht und die Ungewissheit, ob dich dieser Brief überhaupt erreicht scheint alles noch schlimmer zu machen, denn so scheint unsere Trennung viel stärker zu sein als mir lieb ist.

Mary

Als Alexei das Ende des Textes erreichte, blieben seine Augen am letzten Wort hängen. Seine Mutter hatte ihren Namen schwungvoller geschrieben als den Rest des Textes, sodass er ein wenig größer schien als die anderen Worte.

Mit einem Finger fuhr er über die Buchstaben und musste schlucken. Obwohl es ganz andere Umstände waren, konnte er die Sehnsucht seiner Mutter nur zu gut verstehen. Auch er sehnte sich nach ihr. Seit sie weg war schien nichts mehr zu sein wie vorher. Ihr Verschwinden hatte ein klaffendes Loch in seine Familie gerissen, eine Wunde die noch zu frisch war und wohl auch nicht mehr völlig verschwinden würde. Vielleicht würde sie eines Tages eine Narbe hinterlassen, doch stellte sich die Frage, ob er wollte, dass sie heilte.

Seufzend ließ er den Brief sinken und legte ihn auf die anderen aus dem Päckchen vom Dachboden, die er bereits gelesen hatte.

Zwar hatte sein Vater fast nie darüber gesprochen, wie sie sich kennenlernten, doch seine Mutter hatte die Geschichte gern erzählt. In ihren Worten hatte es sich stets nach einem romantischen Drama angehört, so waren sich die beiden begegnet als sein Vater angefangen hatte bei dem Vater seiner Mutter zu arbeiten. Jedoch war er nie davon begeistert gewesen, dass seine Tochter sich in einen so kleinen Arbeiter verliebte, da sie doch die Tochter eines reichen Unternehmers war. Irgendwann hatten die beiden schließlich beschlossen der Familie ihrer Mutter den Rücken zu kehren und waren davongelaufen.

Alexei wusste nicht, ob sich seine Mutter und sein Großvater je wieder getroffen hatten, doch aus dem nicht vorhandenen Kontakt zu seinen Verwandten schloss er, dass sie sich nicht versöhnt hatten. Wenn er genau überlegte, wusste er nicht einmal, ob seine Großeltern überhaupt wussten, dass er existierte. Diese Briefe jedenfalls schienen aus einer Zeit zu stammen in der sein Vater von der Familie seiner Mutter Abstand genommen hatte.

Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich und Alexei versuchte instinktiv die Briefe zu verstecken, schon die wütende Stimme seines Vaters hörend, doch als er aufblickte erkannte er Lucie.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt