Kapitel 6 - Amaria

7 0 0
                                    


„Wo bitte seid ihr gewesen?" Die laute Stimme einer wütenden Luise begrüßte sie, als die beiden die Hütte am Rande des Anwesens betraten. „Die anderen sind alle schon fast fertig mit dem Essen. Ihr seid doch nicht etwa wieder draußen geblieben und auf dem Gelände herumgelaufen?" Ihr anklagender Zeigefinger schwebte nur einige Zentimeter vor Amarias Gesicht, sodass sie sich zusammenreißen musste um nicht ein Stück zurückzuweichen.

„Tut uns wirklich leid", rechtfertigte sie sich, „wir waren schon auf dem Rückweg als..."

„... ich bemerkt habe, dass ich meine Tasche vergessen habe und wir zurückmussten", vollendete Nox ihren Satz. Amarias Blick wanderte zum Profil ihres Begleiters. Ihre Umgebung war dunkel, weshalb sich tiefe Schatten, wie Furchen über sein Gesicht zogen.

Luise schüttelte den Kopf und ging deutlich über sie schimpfend zurück zum Herd in der Küche.

„Warum hast du sie angelogen?", erkundigte sich Amaria verwirrt mit deutlich gedämpfter Stimme damit Luise sie nicht hören konnte.

Die Beiden gingen langsam die Treppen nach oben um vor dem Essen ihre Taschen abzulegen und kurz das Bad zu besuchen. „Weißt du", erklärte Nox ebenso leise, „vielleicht haben wir uns das nur eingebildet, immerhin sind wir beide ziemlich übermüdet und es war schon dunkel."

„Aha", bemerkte Amaria trocken und sie trennten sich, Nox verschwand in der Dunkelheit des Flurs, Amaria ging direkt in den Schlafsaal.

Beim Essen und den restlichen Abend beobachtete Amaria ihren Freund. Sie wusste, dass er ihr nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte, außerdem passte es nicht zu ihm so etwas wenige Momente später zu vergessen oder es als reine Fantasie abzutun.

Ihre Vermutung schien sich auch vorerst zu bestätigen, denn obwohl er sich Mühe gab normal zu wirken, kannte Amaria ihn mittlerweile gut genug, als dass er sie täuschen könnte. Sie bemerkte, dass etwas an ihm nagte und sie wusste, dass er einen Plan schmiedete.

Nach dem Abendessen verteilten sich die wenigen Gestalten, mit denen Amaria und Nox das Gebäude teilten. Das Mädchen schloss sich ihren Mitbewohnern jedoch nicht an, ergab sich stattdessen ihrer Müdigkeit und kehrte in den ausgestorbenen Schlafsaal zurück. Erschöpft ließ sie sich auf eines der vier Feldbetten sinken, die beinahe den ganzen Raum einnahmen.

Sie erwachte, als sich die Türe am anderen Ende des Raums schloss. Innerlich fluchend setzte sie sich auf und blickte zu Nox' Bett hinüber. Im Mondlicht konnte sie eine aufgebauschte Gestalt in seinem Bett erkennen, doch sie wusste, dass es nur seine Decke und ein ausgewaschenes Kissen waren. Er hatte vorgesorgt, falls Luise in den Raum blicken sollte um nachzusehen, ob sie alle schliefen.

Immer noch nicht vollends in der Realität angekommen rieb sie sich die Augen und stieg aus ihrem Bett, dann knüllte sie ebenfalls ihr Kissen zusammen und schob es unter ihre Decke. Das letzte was sie wollte war, dass jemand bemerkte, dass sie zur Schlafenszeit schon wieder in den Gärten war.

Möglichst leise, um keinen der Anderen zu wecken, tapste sie an den anderen Betten vorbei und zur Tür hinaus. Nox war schon verschwunden, aber sie wusste ohnehin schon wo sie als erstes nach ihm suchen würde.

Im Dunkeln war der Weg um einiges schwerer zu finden als bei Tag, der kleine Bogen, der zu dem Garten mit der Trauerweide führte, setzte sich farblich kaum von der Hecke ab und auch das Mondlicht spendete weniger Licht als erwartet. Sie trat durch den Bogen und entdeckte bei dem nicht weit entfernten Baum einen kleinen, gelben Punkt. Die Flamme einer Laterne.

„Wer ist da?" Nox' Stimme verhallte hinter ihr in der Ferne.

„Ich bin es", antwortete sie, viel leiser, da sie nicht wollte, dass sie möglicherweise jemand hörte. „Was machst du hier draußen?"

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt