Kapitel 83 - Nox

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Es war schon seltsam, doch jede Sekunde, die er an diesem Ort verbrachte erschien ihm wie eine Erinnerung aus alten Zeiten. Wie die Zeit, die er mit Amaria bei den Travail verbracht hatte. Erinnerungen, die ihm das Herz schwer machten und in ihm den Wunsch weckten er könnte dorthin zurückkehren. Als sei es ein nicht allzu weit entfernter Ort.

In Gedanken versunken sah er sich einmal im Raum um und biss sich auf die Lippe. Obwohl er wusste, dass er mit ihr sprechen musste, fand er keine Gelegenheit dazu. Zudem schien sie ihm aus dem Weg zu gehen.

Unsicher stand Nox auf und trat aus dem Raum, in dem sie seit zwei Tagen zusammengepfercht schliefen und in dem sich weder Amaria noch Elias so viel aufzuhalten schienen wie er.

Einsamkeit. Ein weiteres Gefühl, welches er seit seiner Trennung von Amaria vor so langer Zeit bestens kannte. Doch nun verstärkte es sich noch, denn wie es schien war er ständig allein. Selbst in ihrer Anwesenheit.

Das Haus in dem sie sich befanden war das letzte in einer kleinen Ortschaft, die sich am Rande des Anwesens befand. Beinahe so wie jenes, in dem er bei den Travail gelebt hatte.

„Amaria?", rief er laut und schluckte dann, als seine Stimme laut an den Wänden wiederhallte. Dabei wollte er gar nicht gesehen werden. Eigentlich wollte er gar nicht hier sein. Und mittlerweile war ihm das auch bewusst. Er konnte das Gespräch mit ihr nicht weiter hinaus zögern.

Für einige Zeit wanderte er ziellos durch die Flure, wobei er niemandem begegnete. Eine weitere Tatsache, die ihm nicht gefiel. Bei den Travail war es nie so leer gewesen wie hier.

Er stutzte, als er die Stimme der Gesuchten laut und deutlich hinter sich hören konnte. Ob er in Gedanken einfach an der angelehnten Tür vorbeigelaufen oder sie erst jetzt angefangen hatte zu sprechen konnte er nicht einschätzen, also wandte er sich träge um und trat zu der Tür.

„...ich auch", schloss sie gerade und seufzte dann. „Lumen meinte er habe mit Matthias gesprochen und gibt Bescheid wenn sie aufbrechen."

„Sehr gut", bemerkte eine zweite Stimme, die Nox wieder stutzen ließ. Es war Elias.

„Ja, es scheint als würde es funktionieren." Sie hielt kurz inne. „Was ist mit dir, wie geht es dir?"

Ein trockenes Lachen erfüllte die Stille. „Na ja, so gut wie es eben sein kann."

Wieder eine Pause. „Ich wollte nicht verletzend sein, tut mir leid." Als die Stille sich weiter ausdehnte und Sekunde um Sekunde verstrich fragte er sich, ob er sich nicht bewegen sollte. Wenn jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür war mit ihr zu sprechen konnte er einfach verschwinden und wann anders wieder kommen. Doch irgendetwas hielt ihn zurück. Er schluckte.

„Elias", schon als sie seinen Namen aussprach konnte Nox erkennen, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte. Nox musste sich selbst auf die Zunge beißen um nicht vor Wut zu schnauben. Was Elias dachte interessierte sie offenbar noch. Er hingegen war ihr nur ein Klotz am Bein. „Ich denke nicht, dass du mitkommen solltest."

„Was? Warum?" Er war aufgebracht. Verständlich.

„Lumen meinte es könnte gefährlich werden. Und ich will nicht dass dir etwas passiert."

Der Andere schnaubte. „Glaub mir, ich kann gut auf mich aufpassen."

„Ja, ich weiß. Aber im Gegensatz zu deinem Vater bist du ..." Sie verstummte, bevor sie den Satz beenden konnte, offenbar wollte sie ihn nicht verletzten.

Trotzdem jedoch schien er sie verstanden zu haben. „Weil ich keine magischen Kräfte habe."

„So hab ich das nicht gemeint", erwiderte sie rasch, verstummte aber gleich wieder, offenbar nicht recht wissend, was sie am besten erwidern konnte. „Du kannst mitkommen, wenn wir das Mädchen suchen. Aber Lumen meinte, dass sie auch überlegen nach Nivie zu gehen. Er meint es wäre besser wenn du hier bleibst."

Die Worte des Mädchens trafen Nox wie ein Schlag in den Magen. Sie hatte es also wirklich vor. Kein Spiel, keine leere Drohung. Ein sarkastisches Lächeln legte sich über sein Gesicht und auch wenn sie es nicht sehen konnte wandte er sich enttäuscht ab. Es schien, als habe er genug gehört.

Lumen. Der Name des Unbekannten spukte noch in seinem Kopf herum, als er Minuten später wieder zurück in seinen altbekannten vier Wänden auf und ab ging, um sich abzureagieren. Selbst nach all der Zeit wusste er nicht, was er von dem mysteriösen Geist halten sollte.

Eine Stimme, die ihr sagte was sie tun sollte. Ein guter Geist, der ihr ins Ohr flüsterte sie habe eine große Aufgabe zu erledigen. Nox schnaubte. Wie naiv sie doch immer noch war. Egal wie erwachsen sie sich vorkam.

Alles was sie damit erreichte, dass sie der Prevoir von Alexei und seiner Schwester erzählt hatte war, dass sie nach ihnen suchten. Das Einzige was sie damit bezweckte war, dass nicht nur Alexeis Leben auf den Kopf gestellt wurde, sondern auch das seiner kleinen Schwester.

Immer noch vor Wut kochend fasste er einen Entschluss.

Bevor er es sich ein zweites Mal durch den Kopf gehen konnte sprang er auf das Feldbett in dem Amaria die letzten Nächte verbracht hatte und riss die beiden Säbel, die als Dekoration an der Wand hingen aus ihrer Halterung.

Mit seinem neuen Gepäck im Schlepptau hastete er dann nach unten und dach draußen. Er wusste was er tun würde. Er würde die kleine Schwester des Anderen beschützen, denn er wusste, sie hatte etwas Besseres verdient. Genauso wie Alexei. Er würde nicht zulassen, dass man sie ihres Lebens entriss, genauso wie sein Leben nach dem Tod seiner Mutter eine einzige Aneinanderreihung von Trauer und Wut gewesen war.

Gleichwohl wusste er, dass er sich damit noch weiter von Amaria entfernte. Noch weiter, als er ohnehin schon war. Er würde damit einen Weg einschlagen, der ihn auf eine andere Seite stellen würde, als die auf der seine Freundin stand. Doch vielleicht war das gar nicht so schlecht. Vielleicht würde sie ihn ja auf diese Weise wenigstens wieder bemerken.

Es war zu spät. Viel zu spät.

Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend wanderte er über die Ländereien der Prevoir und schließlich durch die Straßen der Stadt, bis er abgelegen in einer Gasse fand, wonach er gesucht hatte.

Es war das verschlungene Muster, welches Amaria stets dazu benutzt hatte wenn sie an einen anderen Ort gereist waren; offenbar verwaschen und ausgebleicht vom Schrubben, war es trotzdem noch deutlich auf dem Stein zu sehen. Nox biss sich auf die Lippe. Claire hatte gemeint es würde nicht funktionieren, wenn er keine magischen Kräfte mehr besaß. Trotzdem musste er es versuchen; denn wenn es nicht klappte wusste er nicht was er als nächstes tun würde.

Ein letztes Mal sah er sich noch um, dann legte er die Hand auf das Zeichen in der Mitte und dachte zurück an die Nacht in der er das Gasthaus mit Claire und Noah betreten und Alexei dort aufgefunden hatte.

Wie erwartet begann die Rune in seinem Nacken zu kribbeln und zu stechen. Das tat sie immer, wenn er Magie einsetzten wollte. Dieses Mal jedoch ignorierte er den stärker werdenden Schmerz und drückte fester gegen den Stein.

Umso mehr er sich anstrengte, desto stärker wurde der Schmerz. Ein weiterer Stich, dieses Mal stärker als die anderen, bohrte sich erbarmungslos in seinen Hals und er keuchte, seine Gedanken wieder zu Amaria wendend. Er war allein. Vollkommen allein.

Seine Hand schmerzte, genauso wie alles andere in ihm, er jedoch drückte weiter, fester, immer fester nahm er den Schmerz an, seine Gedanken bei dem Mädchen, das er gedacht hatte zu kennen. Ein Mädchen, welches nun einer Fremden glich.

Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als ein verzweifelter Laut über seine Lippen kroch. Unfähig sich noch weiter zu bewegen, bemerkte er wie sein Gesicht seltsam feucht und heiß schien. Er hatte nicht bemerkt, dass er angefangen hatte zu weinen.

Ein weiteres Keuchen entwich ihm, die Augen geschlossen zwang er sich dazu ein letztes Mal fester zu drücken, das Bild von Amaria brannte wie ein loderndes Feuer in seinen Gedanken und schien alles um sich herum zu verschlucken. Wie sie mit den anderen sprach: höflich, hilfsbereit. Und wie sie ihn ignorierte. Wie sie ihn enttäuscht anstarrte. Wie sie sagte, er sollte nicht hier sein.

Und dann schien er plötzlich nach vorn zu fallen, immer weiter nach vorne zu fallen, wie ein Stein.

Unfähig sich zu rühren öffnete er die Augen und sah für kurz noch das Licht, das langsam schwächer wurde. Ein seltsamer Laut durchschnitt die Stille und es dauerte einige Sekunden bis er es als sein eigenes Lachen erkannte. Er hatte es geschafft.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt