Kapitel 58 - Ezra

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Als sie begann zu rennen, spürte sie, wie der Wind durch ihre Haare fuhr, sie zerzauste und den Umhang hinter ihr her flattern ließ. Ezra wusste, dass sie aussehen musste, wie eine große Fledermaus, die durch die Straßen stürmte, als sei der Teufel hinter ihr her, doch das einzige, was sie wirklich wahrnahm waren die regelmäßigen Geräusche, die ihre Füße auf dem Boden erzeugten und bei jedem zweiten ein stechender Schmerz durch ihr Bein fuhr.

Um eine Ecke biegend blieb sie für einen Augenblick stehen und erlaubte sich einmal tief durchzuatmen, bevor sie weiterrannte. Wahrscheinlich ist es sinnlos, schoss es ihr immer wieder durch den Kopf. Wahrscheinlich geht der Junge nicht einmal zu ihm und selbst wenn, warum sollte er ihn auch zu der Verrückten schicken.

Doch dann erschien die alte Frau wieder vor ihrem inneren Auge. Die alte Frau und der Mann, die eine, die sie angegriffen hatte und der andere, der sie töten wollte. Sie hatte bei weitem schon Schlimmeres erlebt. Trotzdem hatte sie bei den beiden ein schlechtes Gefühl und egal ob er zu ihrer Familie gehörte oder nicht, er wusste nicht worauf er sich einließ.

Als das Mädchen die Treppen zu den Katakomben erreichte und der Wegbeschreibung folgte, die Elias ihr gegeben hatte, musste sie wieder an den Jungen denken. Er war ihr verwirrt vorgekommen. Verwirrt und unerfahren.

In der Arena herrschte immer noch reges Treiben, auf der anderen Seite des Raums konnte Ezra Joanna sehen, wie sie nachdenklich die beiden Kämpfer in der Grube beobachtete. Mit einem Stechen im Magen fragte sie sich, ob das Mädchen ihren Rapier bereits zurückbekommen, oder ob der Mann die Waffe an sich genommen hatte. Womöglich eher letzteres.

Sie brauchte einen Moment um den Eingang zu den weiteren Gängen zu finden, von denen Elias gesprochen hatte. Bevor sie sich durch den schmalen Spalt druckte, sah sie sich nochmals um, doch niemand aus der Traube beachtete sie also wandte sie sich wieder um und quetschte sich weg von der Menge.

Auf der anderen Seite wurde der Gang wieder breiter, doch in der Dunkelheit konnte sie kaum etwas erkennen, obwohl in der Ferne der gelbrote Punkt einer Lampe zu sehen war. Würde sie einige Schritte weiter vorne nach oben blicken, würde sie schmale Gänge nach oben sehen, die zu den Straßen führten und den Katakomben als Luftzufuhr dienten.

Wäre der Junge intelligent, würde er nicht jetzt nicht herkommen, sondern am Tag, wenn neben den künstlichen Leuchten auch das Tageslicht die Gänge erhellte. Jedoch bezweifelte sie, dass er warten würde.

Obwohl zwischen der Arena und ihr nur eine Mauer und ein Durchgang lagen, nahm der Lärmpegel umso weiter sie sich fortbewegte schnell ab, sodass Ezra nach wenigen Metern bereits ihr Herz schlagen hörte. Sie sah sich nochmals um und ging dann weiter, langsamer als zuvor und versuchte ein Geräusch vor sich auszumachen.

Jedoch hörte sie nichts als Stille. Als sie an einer weiteren Nische vorbeikam blieb sie kurz stehen und betrachtete die zerschlissene Matratze und einen kleinen Bündel, der an ihrer Stirnseite lag. Sie schluckte, als sie an die anderen Bewohner in dem Krankenhaus dachte. Viele von den Menschen hier wären sicher froh darüber, hätten sie einen Schlafplatz wie ihren.

Auf ihrem weiteren Weg begegnete sie keiner Menschenseele. Vorsichtig schritt sie an Nische um Nische vorbei, jederzeit darauf gefasst auf jemanden zu treffen, doch alles was sie entdeckte waren noch mehr Schlafplätze, manchmal Matratzen am Boden, manchmal in Form von Hängematten, die einige Zentimeter über dem Boden baumelten.

Während sie sich weiter vorarbeitete verlor sie komplett die Übersicht, welchen Gängen sie gefolgt war. In manchen kam sie auch an Türen vorbei, die als sie versuchte sie zu öffnen meist verschlossen waren. Als sich eine öffnen ließ und Ezra vorsichtig den Kopf in den Raum dahinter streckte schlug ihr überraschender Weise der stechende Geruch von Salz und Essig entgegen.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt