Kapitel 38 - Ana

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„Was hast du gesagt?", frage das Mädchen verwirrt und starrte den Jungen an.

Sein Blick war immer noch starr auf das Bild gerichtet, von dem aus die Frau ihnen mit leuchtenden Augen entgegenblickte. Es war ein hübsches Bild von ihr, vor dem matten Hintergrund leuchteten ihre blonden Locken, sodass sie beinahe aussah wie ein Engel.

Ihr Blick blieb für einen Moment an ihren feinen Gesichtszügen ihrer Mutter hängen, dann blickte sie wieder zu dem Jungen, der die Worte wiederholte, die er vorher schon ausgesprochen hatte. „Warum hängt hier ein Bild meiner Mutter?"

Ana schüttelte den Kopf. Er log. Er musste lügen. Wie konnte es seine Mutter sein?

Sie ist tot, erschien eine Stimme in ihrem Kopf. Es war die stärkere Seite von ihr, die, die immer ihrem Vater recht gab. Die, die das Haus verteidigte, ihre Familie unterstützte. Die Stimme, die ihr sagte, ihre Mutter war tot. War sie nicht vor so vielen Jahren vor ihrem Grab gestanden?

Doch dann meldete sich die leise Stimme, die zu dem Teil gehörte, der ihrer Schwester näher war. Der Teil, der ihr zuflüsterte, dass der Junge vielleicht recht hatte. Dass sie ihre Mutter wiedersehen konnte. Es war die Stimme, die ihr angeordnet hatte den Jungen persönlich zu treffen.

Sie blickte zurück zu dem Jungen und betrachtete sein emotionsloses Gesicht, als sie die starrenden Blicke in ihrem Rücken bemerkte.

Kurz zögerte sie, was würde ihr Vater in dieser Situation tun? Nachdem Ezra verschwunden war, hatte er sich in der Bibliothek eingeschlossen und sich geweigert mit irgendjemandem zu sprechen. Doch nun würde er ihr zuhören müssen.

„Bringt ihn ins Arbeitszimmer", sagte sie laut und beobachtete, wie sie den Jungen in den Raum bugsierten. Sie war nicht wie ihre Großeltern oder ihr Vater. So sehr sie auch Autorität ausstrahlen wollte; es gelang ihr nicht immer. Stets musste sie sich beweisen, dass sie die Magier akzeptierten.

In eben dem Moment, da die Tür sich schloss hastete sie los, die vertrauten Gänge entlang direkt zu den großen Toren der Bibliothek. Kurz lag ihre Hand noch auf der kalten Türklinke, dann drückte sie sie nach unten und stellte fest, dass die Tür wie üblich verschlossen war.

Sie hielt ein lautes Seufzen zurück, dann rief sie: „Dad?"

Stille.

„Dad ich brauche dich, es geht um Mum."

Wieder Stille.

Einige Augenblicke vergingen, dann wurden es Minuten, doch hinter der Tür blieb es still. Sie rief erneut nach dem Mann, doch ihre Rufe bewirkten keine Reaktion. „Dad!", rief sie nochmals verzweifelt, doch wieder waren nur die Geräusche auf den Straßen vor den Fenstern zu hören.

Resigniert hob sie nochmals die Hand und wurde zusehends wütender. Sie rief erneut seinen Namen, dann stieß sie nochmals gegen das Holz, obwohl sie wusste, dass es nichts bringen würde.

Vielleicht hatte Ezra ja recht. Vielleicht war er wirklich ein schlechter Anführer, ein schlechter Vater und ...

„Was ist denn los?", riss eine andere Stimme sie aus ihren Gedanken.

Sie wirbelte herum und erblickte ihren Bruder, der mit großen Schritten auf sie zukam. „Dich hört man fast schon im ganzen Haus", erklärte er vorwurfsvoll und seine Augen wurden schmal, als er von ihr zur Tür und wieder zurückblickte.

„Er ist nicht da", redete der Junge dann einfach weiter. „Er hat irgendwas von einer Höhle und den Travail geredet und ist dann verschwunden."

Anas Augenbrauen zogen sich zusammen und für einen Augenblick verschwand der Fremde und die Frau, von der er behauptete seine Mutter zu sein aus ihren Gedanken. „Einer was?", fragte sie verwirrt und ließ die Hand sinken.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt