Sie wusste, dass er ihr nicht glaubte, denn sie konnte es an seiner Art sehen. Auch wenn er es nicht bewusst tat, behandelte er sie so, wie all die Anderen die sie für verrückt erklärt hatten, als sie gedacht hatte ihre Mutter zu sehen. Als hätte sie sich die beinah vergessene Gestalt in den Straßen von Nivie nur eingebildet. Nur eine Woche bevor sie weggelaufen war.
Und das Schlimmste daran war, dass sie tief in ihrem Inneren glaubte, dass er mit seiner Vermutung recht behielt. Trotzdem jedoch konnte sie nicht anders als sich ständig umzudrehen. Hatte sie nun wirklich die Paranoia ihres Vaters gepackt? Verstohlen warf sie einen weiteren Blick nach hinten. Er war immer noch da. Die ferne Lampe am Horizont und wieder schossen ihr die Worte ihres Vaters in den Sinn. Es gibt keine Zufälle, nur Details, die wir sonst übersehen.
Wenn sie es sich genau überlegte, war es schon seltsam. So sehr sie ihren Vater verurteilte, so sehr sie es verabscheute der Träger des Hauses zu sein fand sie doch mehr und mehr gefallen daran. So sehr sie die Handlungen ihrer Vorfahren verurteilte, war sie in ihrem tiefsten Innersten doch stolz auf ihren Namen.
Stetig einen Fuß vor den anderen setzend blickte sie zum Hinterkopf ihres Begleiters. Sie konnte es nicht genau erklären, doch irgendwie störte ihn seine Art die Häuser für alles, was sie taten in eine Schublade zu stecken.
Gleichzeitig war sie immer wieder überrascht darüber, wie wenig er wusste. War ihre Mutter wirklich so verzweifelt gewesen? Seltsamerweise hatte sie Gefallen daran gefunden, dass ihre Mutter dem Haus den Rücken gekehrt hatte, denn auch sie hatte ihre Familie verlassen, doch nun, da sie ihr vermeintliches Kind vor sich hatte ...
Ein Kind, das sie sein Leben lang gekannt und aufgezogen hatte und das doch nie etwas von den Häusern gehört hatte, ein Kind, dass nicht einmal die zahllosen Geschichten der Prevoir kannte, konnte sie ihre Handlungen nicht mehr nachvollziehen.
Hasste sie die Häuser wirklich so sehr, dass sie nicht einmal mehr über sie sprechen wollte? War ihr Leben so schrecklich, dass sie ihr Kind lieber in völliger Isolation aufzog? Ezra biss abwesend ihre Zähne zusammen und kaute dann auf ihrer Zunge herum. Nein, auch wenn ihre Mutter sich anders entschieden hatte, würde sie, Ezra, so etwas niemals tun.
„Können wir mal wieder eine Pause machen?", kam es plötzlich von hinten und Ezra wandte sich überrascht um. Sie hatte nicht bemerkt, dass Alexei zurückgefallen war und sie die Führung übernommen hatte.
„Natürlich", schloss sie und sah sich nach einem geeigneten Platz um.
Als ihr Blick ein paar Flache Steine an einem nicht allzu weit entfernten Waldrand fand, hob sie die Hand. „Dort ist doch ...", begann sie, doch als sie sich zu Alexei umdrehte, bemerkte sie, dass dieser sich bereits am Wegrand niedergelassen hatte.
Ein schiefes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich neben ihn setzte und ihre Beine ausstreckte. Beim Stehen hatte sie es noch nicht bemerkt, nun jedoch schienen sich ihre Beine wieder auszudehnen und sie spürte, wie eine unsichtbare Last von ihr fallen zu schien.
Für einen kurzen Augenblick warf sie ihrem Begleiter einen Seitenblick zu, dann betrachtete sie ihre Umgebung. Die Berge waren schon höher geworden, doch trotzdem kamen sie nicht so schnell voran, wie sie gehofft hatte.
Zwar wusste sie nicht, wo genau sich ihre Mutter befand, jedoch bezweifelte sie, dass sie sie noch im Gebirge befinden würde. Das Mädchen schluckte und blickte dann nach unten zur Taschenuhr. Das waren die Nachteile ihres Erbstücks. Zwar würde er sie stets zum Ziel führen, allerdings zeigte er ihr nicht wie lange ihr Weg noch war.
Und sie wussten nicht wohin er sie bringen würde. Da sie die Richtung die sie einschlugen, ständig miteinander verglichen wussten sie, dass sie beide dasselbe Ziel hatten, jedoch schien es immer noch so fern.
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Zwischen Licht und Schatten
FantasyDie Welt ist gespalten zwischen vier Namen, vier Familien: Vertere, Travail, Prevoir und Pensee. Vier Familien, die das Land unter sich aufteilen und die Macht für sich beanspruchen. Weit davon entfernt wächst Alexei mit seiner Familie in einem kle...