Kapitel 19 - Amaria

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Ein Knallen aus dem unteren Stockwerk ließ sie zusammenzucken. Amaria schlang ihre Arme um ihre Beine und kniff die Augen noch fester zusammen, sodass sie beinahe schmerzten. Sie wusste, dass es nur ihre Tante war, die im unteren Stockwerk hantierte, doch sie konnte es trotzdem kaum ertragen.

Sie spürte, wie ihr Gesicht feucht wurde. Wenn sie die Augen wieder öffnete, waren sie wieder da. Würde sie ihre Lieder auch nur ein kleines Stück heben, könnte sie die Gestalten wieder vor ihr sehen.

Die Wesen verfolgten sie, egal wohin sie ging, egal was sie tat, sie standen immer bei ihr, stille Beobachter, die sie anstarrten. Die ganze Zeit. Und sie durfte keine Reaktion zeigen, keine Angst; sie durfte sie nicht einmal ansehen, denn auch die Adleraugen ihrer Mutter und die ihrer Tante schienen nicht von ihr zu lassen.

Vor einer Stunde hatte ihre Mutter sie wieder darauf angesprochen, sie sorgte sich, Amaria sei nicht mehr dieselbe. Sie hatte ihr angeboten Hilfe zu suchen. Danach war sie verschwunden. Amaria wusste, dass sie sie gehört hatte, als sie in den letzten Tagen versucht hatte mit den Gestalten zu reden.

Zwei Wochen zuvor waren die Gestalt des Mannes verschwunden, nur um wieder zurückzukehren, dieses Mal war jedoch eine Frau an seiner Seite. Im Gegensatz zu ihrem ersten Beobachter wirkte sie normal, beinahe wie ein normaler Mensch, der jedoch genauso wie der andere ein stummer Zuschauer blieb, den die anderen nicht sehen konnten. Amaria wusste nicht welcher der Beiden ihr mehr Angst machen sollte. Und keine der Gestalten war wieder von ihrer Seite gewichen.

Das Mädchen wischte ihr Gesicht ab und nahm dann wieder ihre übliche Haltung ein. Ihre Mutter hätte ihr genauso erklären können sie sei mit Elisabeth einer Meinung. Dabei wollte sie ihr ja erzählen was sie beschäftigte, doch hatte gleichzeitig Angst was ihre Tante dazu sagen würde, denn es konnte nicht deutlicher sein, dass sie sie am liebsten sofort wieder vor die Tür gesetzt hätte.

Warum kann nicht alles wieder sein wie früher?, fragte sich das Mädchen wieder und wieder. Warum hatte sie überhaupt beschlossen zu den Häusern zu gehen? Weshalb war sie nicht einfach von Anfang an zuhause geblieben?

Sie wäre zufrieden gewesen, wären die Anderen abseits von ihrer Tante freundlich, doch überall wohin sie ging behandelte man sie anders. Auch die Menschen mit denen sie aufgewachsen war mieden ihre Gesellschaft, offenbar hatte sich die Nachricht, dass man sie dem Haus verwiesen hatte wie ein Lauffeuer um Dorf verbreitet, doch keiner wusste genau warum.

Und bevor man ihr die Chance gab sich zu erklären, erntete sie überall nur misstrauische Blicke. Es war, als sei sie kein Teil mehr von ihnen.

Amaria hörte, wie sich im unteren Stockwerk die Haustür öffnete und ihre Tante sich bewegte. Amaria öffnete die Augen und löste ihre verspannte Haltung. Die starren Augen ihrer Beobachter ignorierte sie. Langsam stand sie auf und ging zum Fenster.

Verwirrt sah sie nach unten und erblickte gerade noch einen grauen Haarschopf der ins Haus trat. Unsicher wandte sie sich zur Tür um, doch sie hielt inne und blickte zu den Gestalten, die bei ihrem Anblick wieder den Mund öffneten und schlossen. Stumme Schreie, die nie zu ihr durchdrangen. Es war nicht das erste Mal, dass sie versuchten Kontakt mit ihr aufzunehmen, doch trotzdem halfen sie dem Mädchen nicht weiter.

Amaria hatte sie Stunden um Stunden gefragt was sie wollten, hatte versucht mit ihnen zu geredet und sie angeschrien. Nie hatte sie eine Antwort erhalten. Sie hielt inne und blickte die beiden kurz an. Wieder waren sie verstummt; zeigten sie keine Regung, nur ihre Augen blieben. Ihre starren, blassen Augen.

Das Mädchen wollte sich gerade abwenden um unten nachzusehen wer gekommen war, da hörte sie die jemand im unteren Stockwerk zu sprechen begann. „Oh hallo", erklärte ihre Tante erfreut. „Komm doch herein, meine Schwester ist gerade im Dorf, sie kommt sicher nicht vor dem Abend wieder." Ihre Stimme war durch die Decke deutlich gedämpft, trotzdem verstand das Mädchen jedes Wort.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt