Kapitel 73 - Ezra

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Zu Ezras Erleichterung passte sich Alexei ihrer Geschwindigkeit an, sodass sie schnell vorankamen und weg von der Stadt hinter ihnen.

„Wir sollten zurück", erklärte der Junge nach einer Weile.

Unsicher drehte sich das Mädchen zurück. Hinter dem Jungen war schemenhaft noch die Stadt zu erkennen. „Warum?", fragte sie vorsichtig.

Als sein Blick für einen kurzen Augenblick zu ihrem Gesicht huschte und sich ihre Augen trafen sah sie wieder die Abscheu in seinem Gesicht aufblitzen. Seine Abneigung traf sie wie ein Speer in die Brust.

„Ich habe dort etwas vergessen."

„Was?"

Die Stille, die auf ihre Frage folgte dehnte sich Sekunde um Sekunde, bis der Junge nicht antwortete und sie schließlich feststellte, dass er gelogen hatte. Ezra war lange genug mit ihm unterwegs gewesen um zu erkennen, dass er nichts dort vergessen hatte. Wie auch immer er die Sachen bei sich gehalten hatte, so trug er Seine Tasche auf dem Rücken. Und die paar Sachen, die sie sich zusammengesammelt hatte, schienen nicht erwähnenswert zu sein.

Ohne etwas zu sagen ging er an ihr vorbei. „Wir sollten trotzdem zurückgehen", schloss er erneut, als er an ihr vorüberschritt.

Ezra ließ noch einige Sekunden vergehen, bevor sie weiterging. Alle ihre Glieder schienen zu schmerzen. Vorsichtig blickte sie auf den Arm hinab, den, den der Mann stets gepackt hatte und der gerade hart pochte. Resigniert stellte sie fest, dass sich auf ihrem Unterarm ein dunkelroter Fleck abzeichnete.

Unsicher legte sie ihn wieder an ihre Brust und zog den anderen, der immer noch das Rapier hielt nach oben. „Warum?", fragte sie laut und holte wieder einige Schritte auf.

Alexei verzog seinen Mund zu einer schmalen Linie. „Einen Menschen, Ezra." Seltsamerweise zuckte sie bei der Erwähnung ihres Namens zusammen. „Es war eine Person."

Die Trägerin schluckte hart. „Er war gefährlich", schloss sie leise und teilweise auch zu sich selbst. „Er hat sowohl dich, als auch mich mehrere Male versucht zu ermorden." Obwohl sie wusste, dass es genug war sprach sie weiter, mehr für sich selbst, als den anderen zu überzeugen. „Er bedroht deine Familie, genauso wie meine und wer weiß wie viele noch ..."

Der Andere erwiderte nichts auf ihre Aussage.

Lustlos ließ das Mädchen das blanke Metall an einigen Büschen entlang streichen in der Hoffnung, dass die trockenen Blätter etwas von dem verräterischen Rot mitnehmen würden, das immer noch wie ein Mahnmal an der Klinge klebte, doch ihre Versuche das Rapier zu säubern räumten nur mäßigen Erfolg ein.

Für einige Augenblicke betrachtete sie den Rücken des Jungen vor ihr und musste an die Kraftwelle denken, die sie verspürt hatte, als er mit der Klinge ausgeholt hatte.

„Du hast mich angelogen."

Ihre Worte ließen Alexeis zunehmend schlaffe Schultern erstarren. „Was? Wann?"

Ezras Lippen kräuselten sich zu einem schmalen Lächeln und sie hob die Klinge ein Stück nach oben, sodass sie nicht mehr in dem Gebüsch um sie herum hängen blieb. „Als du gesagt hast, dass du kein Magier bist."

Für einige Sekunden schien es, als hätte er sie nicht gehört, oder würde ihre Aussage ignorieren, doch dann blieb er plötzlich stehen, sodass sie ein Stück zur Seite ausweichen musste, damit sie nicht gegen ihn stieß.

Verwirrt stoppte sie ebenfalls und wandte sich um. Zu ihrer Überraschung sah er nicht besonders überrascht, oder ertappt aus. Stattdessen stierte er ihr wütend entgegen. „Ist das dein ernst?"

Verunsichert wich das Mädchen ein Stück zurück. „Was meinst du?"

Alexei lachte sarkastisch und verdrehte die Augen. „Als würde dir nichts Besseres einfallen, glaubst du wirklich mit solch einer Behauptung bewirkst du irgendetwas damit ich bei dir bleibe?"

Dieses Mal war Ezra diejenige mit der verzögerten Reaktion. Unsicher starrte sie ihm entgegen. „Warum sollte ich dich anlügen?" Sie verstummte kurz, dann hielt sie den Griff des Rapiers hoch. „Weißt du was das ist?" Ohne eine Antwort abzuwarten sprach sie weiter. „Den habe ich von einem Mädchen aus Raviar bekommen. Aber es ist nicht ein einfaches Rapier. Es ist ein magisches Artefakt mit dem begabte Magier ihre Kräfte übertragen können."

Alexeis Blick wanderte von ihrem Gesicht nach unten. Ein stechender Schmerz, der von ihrem Unterarm ausging ließ sie zusammenzucken und sie ließ die andere Hand sinken, sodass sich die Spitze des Gegenstands wieder in die Erde bohrte.

„Du und der Mann standet gut zehn Meter auseinander, du hast seinen Zauber mit einer Kraftwelle getroffen, nur so konntest du ihn aufgehalten. Und dann konntest du es nicht mehr halten, deswegen ist es dir aus der Hand geflogen."

Kurz erkannte das Mädchen, wie Erkenntnis auf seinem Gesicht einkehrte. Sein Blick wanderte von dem Griff, den sie immer noch hielt zu seinen eigenen Händen, dann schüttelte er den Kopf.

„Hast du nie irgendwas bemerkt?", fragte sie weiter, doch er schüttelte nur wieder den Kopf.

Ezra schluckte. Also hatte er nicht gelogen.

„Ich habe dich noch nie angelogen", bestätigte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Doch statt sie zu ermutigen, schienen die Worte das klaffende Loch noch weiter aufzureißen, denn sie wusste, es war als Anklage gemeint.

Im Gegensatz zu mir, setzte sie in Gedanken noch hinzu. Für einen Augenblick stand sie da und versank erneut in Bildern und Emotionen. Bilder von dem Mann, wie er vor ihm aufragte, wie ein gigantischer Schrank. Bilder von ihrem Freund, wie er genau wie der andere vor ihr zusammensackte.

„Kannst du wirklich damit leben, dass man dich für den Rest deines Lebens als Mörder bezeichnet?", riss Alexei sie plötzlich aus ihren Gedanken.

Ein bitterer Geschmack schien sich auf die Zunge des Mädchens zu legen und sie lächelte. „Wäre ja nicht das erste Mal", erwiderte sie trocken, bevor sie wirklich darüber nachgedacht hatte.

Dieses Mal hatten ihre Worte einen deutlichen Effekt. Der Junge erstarrte.

„Was? Wen?", stieß der Junge hervor und starrte sie an.

Ezra schluckte einmal hart. „Hast du noch nie mit einem andern Magier gesprochen?" Das Mädchen versuchte mit der Frage ihren üblichen, leicht überheblichen Ton zu treffen, doch sie scheiterte klaglos. Tatsächlich klang sie mehr nach einem krächzendem Huhn.

Alexeis Mund wurde zu einer schmalen Linie. „Und was erzählen sie sich?"

„Dass die Tochter von Raphael Vertere jemanden getötet haben soll", berichtete sie nüchtern.

„Wen?"

Ezra biss sich auf die Lippe. Sie wollte seinen Namen nicht laut sagen. Nicht in diesem Zusammenhang. Gleichsam wusste sie, dass es womöglich an der Zeit war die Geschichte jemandem zu erzählen. Jemandem, der ihr hoffentlich zuhören würde. Jemand, der sie verstand. „Henry Travail", schloss sie mit einem unsicheren Seufzer und starrte ihn an, unsicher wie er darauf reagieren würde.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt