Ein herzzerreißender Schluchzer durchschnitt die Nacht wie ein Säbel. Er zerrte an ihrem Herzen, ließ sie nicht mehr los und zog sie mit in die Tiefe des bodenlosen Loches, welches sich vor ihnen auftat.
Hätte man ihr vor zwei Stunden erzählt was passieren würde, hätte sie diejenigen für verrückt erklärt. Trotzdem war sie vor wenigen Minuten noch am Rande der Ortschaft gestanden und hatte das Geschehen beobachtet. Mit eigenen Augen hatte sie gesehen wie die beiden mit dem Mann gekämpft hatten. Und wie der Mann schließlich am Boden zusammengesackt war.
Dann waren die anderen Beiden verschwunden. Sie waren einfach aufgestanden und verschwunden.
Obwohl ihr ganzer Körper sich immer noch seltsam taub anfühlte, trat sie einen Schritt auf Elias zu, der vor seinem Vater auf dem Boden kniete und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der Junge war das Einzige, was sie anschauen konnte. Sie wollte den Blick nicht auf den zusammengesackten Haufen am Boden richten, nicht in die leeren Augen oder sein seltsam friedliches Gesicht.
Amaria spürte, wie der Junge neben ihm von einem weiteren Anfall von Schluchzern erschüttert wurde und sie schluckte hart. Obwohl es nur wenige Minuten her war kam es ihr bereits vor, als wäre es schon vor Tagen, wenn nicht Monaten geschehen.
Gedankenverloren wanderte ihr Blick zu Lumen, der nicht weit von ihr entfernt auf dem Boden saß und sie neugierig anstarrte. Sie wusste, dass er es gewesen war. Sie wusste, dass er derjenige war, der mit der Trägerin und dem Jungen gekämpft hatte. Trotzdem konnte sie ihm nicht die Schuld dafür geben, denn er war nicht derjenige gewesen, der dem Mann die blanke Klinge direkt durchs Herz gebohrt hatte.
Schuld trug die Trägerin. Schuld trug die Trägerin der Vertere. Nun standen schon zwei Namen auf ihrer Liste.
„Dafür werden sie bezahlen."
Als Lumen sprach zuckte sie leicht zusammen. Seine Worte wirkten neben dem ständigen schluchzen des Jungen seltsam dumpf. Obwohl sie wusste, dass außer ihr keiner seine Worte gehört hatte nickte sie.
„Dafür werden sie bezahlen", wiederholte ein Anderer die Worte und zu ihrer Überraschung war Elias derjenige der sprach. Seine Stimme klang gebrochen, sein Gesicht war geschwollen, trotzdem konnte sie jede Silbe klar und deutlich verstehen.
Überrascht starrte sie ihn an.
„Sie werden es bereuen jemals einem Mitglied meiner Familie Schaden zugefügt zu haben."
Amaria wandte sich zu Nox um, der einzigen Person, die sich nicht zu ihnen gesellt hatte und immer noch ein paar Meter entfernt dastand und das Geschehen aus einiger Entfernung beobachtete. Offenbar war er nicht wirklich darauf erpicht zu sein etwas zu sagen.
„Elias ...", begann sie vorsichtig, dem dumpfen Gefühl in ihrer Brust folgend.
„Was?", fauchte er zurück und neue Tränen rannen über sein Gesicht. „Ich habe niemanden mehr zu verlieren. Sie haben mir bereits alles genommen. Jeden."
Das Mädchen schluckte hart. „Aber es bringt nichts, wenn du dein Leben einfach wegwirfst."
Erneut zitternd wandte er ihr sein verweintes Gesicht zu. „Und was soll ich dann tun?"
Amaria tauschte einen letzten Blick mit Lumen. Tatsächlich hatte sie wirklich eine Idee. Gleichwohl dies womöglich nicht der richtige Zeitpunkt war sie mit den Anderen zu teilen.
„Was wenn wir uns Hilfe holen? Allein kommen wir nicht gegen die Häuser an."
Elias Blick wanderte wieder zu dem starren Blick seines Vaters. „Er hat immer nach Verbündeten gesucht, aber es gibt nicht mehr. Deshalb seid ihr beide ja hier."
DU LIEST GERADE
Zwischen Licht und Schatten
FantasyDie Welt ist gespalten zwischen vier Namen, vier Familien: Vertere, Travail, Prevoir und Pensee. Vier Familien, die das Land unter sich aufteilen und die Macht für sich beanspruchen. Weit davon entfernt wächst Alexei mit seiner Familie in einem kle...