Kapitel 60 - Ezra

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Das nächste, was sie spürte war die brennend kalte Luft um sie herum, die ihr durch die Haare wehte und jede einzelne Pore zum Schreien brachte. Wie ein Stein schien sie vom Himmel zu fallen und etwas Eiskaltes, Weiches umfing sie. Der Aufprall presste alle Luft aus ihren Lungen und als sie einatmen wollte spürte sie, wie etwas eisiges, staubiges in ihren Mund gezogen wurde und sie musste husten und würgen. Verzweifelt wedelte sie wild mit ihren Armen um sich, doch alles was sie erreichte war, dass auch auf ihrer Haut die Kälte brannte.

Erst als sie die Oberfläche erreicht hatte, realisierte sie, dass sie ihre Augen bereits geöffnet hatte, doch wieder fielen sie zu, als ein neuer Hustenanfall sie durchschüttelte und ihr allen Sauerstoff nahm.

Nur langsam beruhigte sie sich und als ihr Atem wieder einigermaßen gleichmäßig war öffnete sie wieder die Augen und sah sich zum ersten Mal richtig um. Der Anblick, der sich ihr bot schien sich wie ein Dorn aus Eis in ihr Herz zu bohren und entsetzt drehte sie sich um, doch alles was sie erkennen konnte, war ein riesiges Schneefeld, das in der Ferne sanft in einen hoch aufragenden Berg überging.

Tief in ihrem Gedächtnis regte sich ein Bild und sie erkannte die Landschaft von dem Gemälde im Haus der Wächterin. Ein Bild, dass sie Sekunden zuvor noch betrachtet hatte. Wieder fuhr sie herum, dieses Mal auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, wo sie hergekommen war und als die Erinnerung zurückkehrte schoss ihr Blick nach oben, doch alles was zu erkennen war, war der leicht bewölkte Himmel über ihr.

Ein neues, zuvor unbekanntes Gefühl stieg in ihr auf und sie erkannte es als Verzweiflung, die rasend schnell jede Zelle von ihr ergriff und Ezra bemerkte, wie ihr Herz immer schneller und schneller zu pochen begann.

Als ein verzweifelter Laut ihren Lippen entwich schlug sie die Hand vor ihren Mund um das Geräusch zu ersticken, obwohl niemand bei ihr war um es zu hören. Für einen kurzen Augenblick blieb sie einfach sitzen, in einer seltsam gekrümmten Haltung und die rechte Hand vor dem Mund, doch als ein kalter Windstoß durch ihre zerzausten Haare fuhr und eine erneute Welle der Verzweiflung sich anbahnte schloss sie die Augen und zwang sich selbst dazu, sich zu beruhigen.

Wie schon früher an diesem Abend versuchte sie sich auf das Bild in der Bibliothek zu konzentrieren, auf das Gefühl sich geborgen zu sein, doch dieses Mal schien es unecht, beinahe wie auf einer schlecht gezeichneten Skizze und alles, an was sie denken konnte waren die Vorwürfe, die jeder gegen sie zu erheben schien. Die Schuld, die sie sich klar bewusst war.

Wieder kam ein verzweifelter Laut aus ihrer Kehle, dieses Mal jedoch ließ er sich nicht zurückhalten und sie spürte, wie heiße Tränen in ihren Augen erschienen. Nein, nein, nein.

Das Mädchen sackte noch weiter in sich zusammen und presste die Augen noch fester zu, doch sosehr sie nach Ablenkung oder einem glücklichen Funken suchte, sie fand nichts. Ein neuer Schluchzer stieg in ihr auf und als er über ihre Lippen kam, spürte sie die heißen Tränen auf ihren Wangen, die sich von der kalten Umgebung absetzten und sie ließ es zu. Mit dem weiteren Schluchzen fiel etwas von der Anspannung ab, die sich in den letzten Tagen und Wochen in ihr aufgebaut hatte und mit dem darauffolgenden begannen ihre Tränen nur so dahinzufließen.

Im Nachhinein konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, wie lange sie dort saß, doch es war die Kälte, die sie wieder auf die Beine holte. Als sie sich aufrichtete, bemerkte sie, dass ihr Rücken bereits ganz steif war und als sie letztendlich aufstehen wollte, stellte sie fest, dass ihre Zehen so kalt waren, dass sie sie beinahe nicht mehr spürte.

Trotzdem quälte sie sich langsam auf die Beine und machte einige Schritte vorwärts, bei denen sie sich vom Wind mitreißen ließ. Dann blieb sie wieder stehen und bemerkte, wie der Wind sie ein Stück mit sich zog. Sie würde standhaft bleiben müssen.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt