Sie war bei ihm. Sie war immer noch bei ihm. Das war alles, an was er denken konnte. Sie war alles was er sah, während sie die nächsten Stunden überbrückten, die sich immer weiter in die Länge dehnten.
Nachdem sie aus dem Portal gekommen waren sie in einem Wald gelandet, scheinbar leer, doch während sie durch die Bäume gestreift waren hatten sie schnell bemerkt, dass die Sicherheit nur Schein war. Zuerst hatten sie Lux gesehen, scheinbar ziellos durch die Bäume streifend waren sie ihm aus dem Weg gegangen, bevor sie ihn aus den Augen verloren hatten.
Doch erst spät hatten sie bemerkt, dass noch eine vierte Person an diesem Ort war. Tatsächlich war Amaria diejenige gewesen, die sie zuerst gesehen hatte. Ein Mädchen mit dunkelbraunem Haar, das langsam aus ihrem Sichtfeld verschwand. Ein Mädchen von dem er sich wünschen konnte, dass sie sie nicht bemerkt hatte.
Mit schnell pochendem Herzen sie ihr den Berg hinauf gefolgt, zu dem einzigen Haus, welches selbst noch in der Dunkelheit zu erkennen war. Doch dann hatten sie festgestellt, dass sie verschwunden waren. Sowohl Alexei als auch seine vermeintliche Schwester.
Also waren sie einstimmig in das Dorf gegangen und hatten sich in der warmen Gaststube eine Ecke gesucht, in der sie möglichst ungestört blieben. Zuerst waren sie still geblieben, dann jedoch hatte Nox begonnen ihr von Alexei zu erzählen. Von dem Jungen, dem er im Gasthaus begegnet war und seiner Schwester, die bei seinem plötzlichen Aufbruch so traurig und erschrocken gewirkt hatte.
Er wusste nicht genau warum er begann von ihm zu sprechen. Vielleicht, weil er die drückende Stille auf seinen Ohren nicht mehr ertragen konnte und dies das einzige Thema war, von dem er wusste es würde sie interessieren. Denn Alexei schien zweifellos eine Verbindung zu ihnen zu haben. Zu all den Magiern aus den Häusern, die sie nun so offensichtlich missachtete. Auch wenn sie ihnen einst ihre Treue zugesagt hatte. Auch wenn sie eine von ihnen gewesen war.
Als er mit seinen Erzählungen am Ende war nickte sie zustimmend und gab ihm recht. Nox glaubte ihr, dass sie es ehrlich meinte. Zumindest hoffte er es, so wusste er, dass sie ihm bei weitem nicht alles erzählt hatte. Und auch jetzt schien sie die Gespräche mit Lux, Elias oder dem ominösen Geist, dem sie in Majora begegnet war für sich behalten zu wollen.
Tatsächlich zweifelte er immer noch an der Existenz des Gespenstes. Gleichwohl er neugierig war, ob sie ihn gerade in der Umgebung sehen konnte. Es war der Teil den er an ihr nicht mehr verstehen konnte. Die Amaria, die er gekannt hatte hätte nie andere Menschen, die sie nicht kannte grundlos gehasst. Die Amaria, die er kannte, hätte ihn nicht einfach so in Raviar allein gelassen.
Doch diese neue Amaria hatte all diese Dinge getan. Er war zurückgeblieben. Allein war er durch die Straßen gewandert, bis er schließlich Claire und Noah wieder begegnet war. Und die beiden hatten ihm in den letzten Tagen einiges von Lux und seinem Sohn erzählt.
Abwesend folgten seinen Augen der Bedienung, die gerade am Nachbartisch einige Gläser auf den Tisch stellte, bis sie wieder an dem Mädchen neben ihr hängen blieben. Als sie vor ihm in der Zelle gestanden hatte, hatte es für ihn beinahe so gewirkt, als sei sie ein Engel. Wunderschön und standfest war sie gekommen um ihn zu holen. Etwas, was er ihr nie zugetraut hatte. Und doch ...
Als sie mit einem Mal aufstand zuckte er zusammen. „Was ...", begann er wurde jedoch von ihr übertönt.
„Was zum", fluchte sie und trat einige Schritte nach vorn. „Elias?"
Es dauerte einige Sekunden, bis er ebenfalls den Jungen erkannte. Sofort schossen ihm wieder Claires Worte durch den Kopf. Sie hatte ihm von Gerüchten berichtet. Gerüchten, nachdem Lux die Kernfamilien stürzen wollte. Gerüchte nach dem er auf einer Art Rachefeldzug war. Deshalb wollten Claire und Noah Alexei von Anfang an zu ihm bringen.
Nun, zugegebenermaßen hatte Alexei auch noch ohne ihre Hilfe sein Ziel erreicht.
„Was machst du hier?"
Für einen Augenblick zögerte Nox noch, dann folgte er Amaria und stellte sich neben Elias, der wirkte als würde er einen Geist sehen. Sein Blick huschte immer wieder von ihnen zum nicht weit entfernten Fenster und wieder zurück.
„Mein Vater hat mich hergeschickt."
Amaria stutzte. „Wegen Alexei?"
Er biss sich auf die Lippe und sah nach oben, direkt in Nox' Augen. Es hätte nicht deutlicher sein können was er ihm damit sagen wollte: verschwinde. Nox bemerkte, wie seine Gesichtszüge einfielen und er ballte unbemerkt von den Anderen seine Hände zu Fäusten um seine Wut zu unterdrücken.
Amaria, die von ihm zu Elias blickte schien zuerst nicht zu verstehen was vor sich ging, dann schüttelte sie den Kopf. „Warum bist du hier?"
Elias Aufmerksamkeit wanderte wieder zu ihr, was Nox Wut in neue Höhen trieb.
„Ich bin wegen Emily hier. Vater meinte sie müsste hier sein. Er sagte, ich soll sie zu ihm schicken, weil ...", brach er mitten im Satz ab, offenbar aus Angst er hätte bereits zu viel gesagt, doch Amaria schien es zu ignorieren.
„Und?"
Mit einem weiteren Blick zur Tür zuckte er mit den Achseln. „Sie ist wohl zur Wächterin gegangen. Was mach ihr ..." Doch noch während er die Frage stellte sprang er auf die Beine und eilte zur Tür; so schnell es bei dem vollen Haus eben ging.
Verdutzt stand Amaria noch für einige Sekunden starr da, dann beeilte sie sich ihm hinterherzukommen, während Nox der Bewegung träge folgte. Da war sie wieder. Die neue Amaria. Die Amaria, die sich kaum für ihn interessierte.
Elias führte sie wieder aus dem Raum hinaus auf die dunkle Straße. Nachdem sie Stunden in der warmen Stube verbracht hatten wirkte die Nacht noch kälter und undurchdringlicher als zuvor. Der Junge, dem sie folgten war schon einige Meter weiter hinten, doch jeder, der auch nur einen Funken Intelligenz sein eigen nennen konnte erkannte nun auf wen er gewartet hatte.
„Dad", begrüßte er den Mann, der in dunkle Farben gehüllt beinahe mit der Nacht verschmolz. „Was ist jetzt?"
„Sie meinte sie hat sie in eine andere Welt geschickt." Der prüfende Blick des Mannes wanderte über seinen Sohn und Amaria, bis er an ihm hängen blieb. Wieder der Blick, den er schon von Elias erhalten hatte. „Sie meinte von dort sei noch nie jemand zurückgekehrt."
„Das ist gut oder?" Nox Blick schoss zu Elias, dessen Stimmung für Nox' Geschmack ein wenig zu euphorisch war.
Der Vater des Jungen jedoch schüttelte den Kopf. Wenigstens in dieser Hinsicht teilten sie offenbar ihre Meinung. „Ich vertraue ihr nicht."
„Und das bedeutet?"
Die kalten Augen des Mannes starrten direkt in die Augen seines Sohnes. „Sie könnten schon bald wieder zurückkommen." Für einige Sekunden ließ er die Worte zwischen ihnen stehen. Amaria, die nicht weit von ihm entfernt stand nutzte die Stille und starrte zu dem Haus hinauf in dem die Trägerin der Vertere verschwunden war. Nox folgte ihrem Blick; sich jedoch sicher, dass ihnen nicht dasselbe durch den Kopf schoss.
„Ich will, dass du hier bleibst und darauf achtest. Ich will, dass du sie verfolgst wenn sie wiederkommen."
Elias biss sich auf die Lippe. „Warum bist du dir so sicher, dass sie zurückkommen?"
Der Blick des Mannes war starr, beinahe glasig, offenbar mit den Gedanken an einem ganz anderen Ort. „Wenn ich eins gelernt habe, dann, dass man die Häuser nicht unterschätzen sollte. Sie werden wiederkommen und das einzige was wir tun können ist uns auf ihre Rückkehr vorzubereiten."
DU LIEST GERADE
Zwischen Licht und Schatten
FantasyDie Welt ist gespalten zwischen vier Namen, vier Familien: Vertere, Travail, Prevoir und Pensee. Vier Familien, die das Land unter sich aufteilen und die Macht für sich beanspruchen. Weit davon entfernt wächst Alexei mit seiner Familie in einem kle...