Kapitel 40 - Alexei

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Alexei sah dem Mädchen hinterher, als ihr Lockenkopf im Gang verschwand und sie die Tür sich schloss. Für einen Augenblick blieb der Junge einfach stillsitzen und starrte weiterhin auf die Stelle, wo er sie zuletzt gesehen hatte.

Es war seltsam, beinahe surreal nach so langer Zeit wieder ganz allein zu sein.

Zuerst hatte er Noah und die Anderen verflucht, da er seit seinem Aufbruch nicht von ihrer Seite gewichen war und in den letzten Stunden war er durchgehend von dem Mädchen und wechselnd von ihrem Bruder und anderen Magiern, die er nicht einordnen konnte umgeben gewesen. Nun drückte die Einsamkeit auf ihn ein wie träger Nebel, der ihm alle Luft zum atmen nahm.

Er ließ seinen Blick einmal durch den Raum über die blank polierten, teuren Möbelstücke wandern. Er war sich sicher, dass allein der zimmerhohe Schrank schon wertvoller war, als das ganze Mobiliar seines Zimmers. Langsam stand er auf um das feine Holzmuster zu betrachten.

Als er mit einer Hand darüberfuhr musste er laut lachen. Er wusste, es war keine passende Reaktion auf das, was gerade um ihn herum geschah, doch das ganze wirkte so unwirklich, so überzogen und unwahrscheinlich, wie eine der Märchengeschichten seiner Schwester.

Wie konnte es auch der Wahrheit entsprechen? Wie konnte eine Frau, die er schon sein ganzes Leben lang kannte, die ihn aufgezogen hatte, ebenso zu dieser Familie gehören?

Ana – das Mädchen hatte sich nach ihrer Rückkehr mit diesem Namen vorgestellt – hatte ihm erzählt, dass sie alle dachten ihre Mutter sei vor langer Zeit gestorben.

„Sie ist eines Tages losgezogen und Wochen später mitten in der Nacht wiedergekommen. Daraufhin ist im Schutz der Dunkelheit eine finstere Gestalt erschienen. Als die Sonne wieder über dem Haus aufging war sie wieder verschwunden. Tage später erreichte uns die Nachricht die sei gestorben", hatte sie erklärt und Alexei dabei den glänzenden Marmorstein gezeigt, der tief unter ihnen in den Katakomben stand.

Nun, da Alexei daran zurückdachte erschien es ihm, als sei es der einzige Moment gewesen, in dem er gegenüber dem Mädchen Sympathie verspürt hatte. Sonst wirkte sie eher kalt und unnahbar, in diesem Augenblick jedoch glänzten Sehnsucht und Trauer in ihren Augen. Eben die Sehnsucht und Trauer, die er nur zu gut kannte.

Dabei war der Junge froh gewesen, als er wieder aus den dunklen Gängen ins Sonnenlicht gekommen war. Die Katakomben, die sich unter der ganzen Stadt ausbreiteten waren eng und dunkel, auch der Ort, zu dem Ana sie geführt hatte war nur von einigen Kerzen beleuchtet, was den kalten, weißen Marmor und die welkenden Blumen davor nicht gerade einladender wirken ließ.

Marianne. Die Frau, von der sie sprach hatte trug auch den Namen Mary. Wie viele Marianne gab es wohl in diesem Land? Genug, dass es ein Zufall sein konnte?

Alexeis Hand glitt zu dem zweiten Talisman, der immer noch bei sich trug. Er schüttelte den Kopf. Nein, nein, nein. Es konnte nicht wahr sein. Wenn es wahr sein sollte, warum sollte sie die Talismane zweier Häuser haben?

Nachdem er in den letzten Tagen und Wochen denkbar wenig Privatsphäre gehabt hatte, sehnte sich der Junge nach einigen Stunden beinahe in die Zelle zurück. Nein, er wünschte sich dem Augenblick zurück, als er aufgebrochen war seine Mutter zu suchen, denn nun wusste er, es wäre besser gewesen, wäre er ganz allein losgezogen.

Die Ungewissheit ließ seinen Puls steigen, sodass er nicht anders konnte, als ruhelos auf und abzulaufen und dann fühlte er sich wieder ausgelaugt und starrte auf einem der Stühle sitzend an die Wand.

Er versuchte nur ein einziges Mal den Raum zu verlassen, doch schon als er die Tür nur ein kleines Stück öffnete, erkannte er, dass jemand vor seiner Tür stand und ihm durch den Spalt entgegen starrte.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt