Kapitel 53 - Alexei

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Er hatte sie gesehen. Er hatte sie gesehen und gehen lassen.

Die Taschenuhr wog schwerer den je um seinen Hals, als er dem Mädchen hinterher blickte, wie sie die Hand ihrer Begleiterin davon stieß und dann die Treppen hinauf stolzierte. Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des Jungen und er bemerkte, dass sein Puls sich beschleunigte.

Während das übrige Publikum sich nacheinander wieder umwandte und sich dem nächsten Kampf widmete wanderte sein Blick zurück zu dem Mann, der immer noch im Zentrum der Arena stand und sich nun nach der glänzenden Klinge bückte, die das Mädchen hatte fallen lassen. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck steckte er den Degen in seinen Gürtel und verschwand dann mit einem gekonnten Sprung aus der Grube.

Der Junge verstand es nicht. Warum hatte sie mit ihm gekämpft? War er auch aus ihrem Haus?

Der Junge beobachtete den Fremden noch kurz, bis er sich umwandte und hinter den anderen Menschen in der Menge verschwand. Er verstand es noch nicht. Doch bald würde er es wissen. Bald würde er alles wissen.

Als Alexei sich erneut umwandte erblickte er das Mädchen, das die andere aus dem Ring gezogen hatte. Der Junge packte erneut den Gegenstand und starrte darauf. Die Taschenuhr wies ihn in ihre Richtung, doch als sie zur Seite trat und an ihr vorbeischritt blieb die Nadel starr nach vorn gerichtet. Sie war es also tatsächlich nicht.

Doch das Mädchen, das im Ring gekämpft hatte.

Bevor er sich es zweimal überlegen konnte machte er sich ebenfalls auf zur Treppe. Sie war es gewesen. Sie musste es gewesen sein. Nach all der Zeit hätte er nie gedacht sie noch zu finden.

Sein Gespräch mit Uriah schien schon so lange her zu sein und die Person nach der er suchte schien genauso weit entfernt zu sein wie seine Mutter. Er suchte schon so lange nach ihr, dass es erschien, als würde das Bild, das er von ihr gesehen hatte mehr und mehr verblassen, wie ein Buch, dass man in der Sonne liegen lässt.

Als er Stufe um Stufe hinauf hastete, starrte er weiter auf das Zifferblatt. Der Zeiger hatte angefangen sich wieder zu bewegen, was ihm sagte, dass sie ebenfalls wieder in Bewegung war. Nein, er durfte sie jetzt nicht verlieren. Nicht jetzt, da er so nah war.

Sein Herz hämmerte schwer in seiner Brust, als er endlich die Oberfläche erreichte, doch er blieb nicht stehen um sich zu erholen sondern hastete die Gasse entlang immer dorthin, wo der Gegenstand in seiner Hand ihn hinwies.

Ganz tief in seinem Gehirn schien sich eine leise Stimme zu melden, als er auf dem holprigen Pflaster stolperte und einige Schritte brauchte bis er sich wieder abfing. Halb hatte er gehofft die Uhr würde ihn zu seiner Mutter führen. War sie nicht sein nächstes Ziel?

Die Stimme wurde noch eine Spur stärker, als er um die nächste Ecke bog, denn nun erkannte er das Ziel der Uhr. Das braunhaarige Mädchen wanderte nur einige Meter vor ihm die Straße entlang, den Blick nach unten gerichtet, schien sie in ihrer ganz eigenen Welt zu sein.

Alexei schluckte hart und mäßigte dann seinen Schritt. Während dem Gehen ließ er die Taschenuhr zurück unter sein Hemd gleiten wandte jedoch seine Augen nicht von dem braunen Haarschopf des Mädchens vor ihm.

Nun, da er sie vor sich hatte schien ein flaues Gefühl seine Aufregung zu dämmen. Der Gedanke an die anderen Vertere, denen er begegnet war sprach nicht gerade für das Mädchen. Gleichwohl schien sie überhaupt nicht so zu sein wie die anderen Mitglieder ihrer Familie.

Als sie erneut um eine Ecke bog und ihr Blick über ihn streifte drückte er sich instinktiv in die Schatten des nächsten Hauses. Aus der Dunkelheit heraus sah er, wie sie sich kurz umsah, dann den Kopf schüttelte und sich an die Wand lehnte.

Mit einem starren Blick nach unten drückte sie auf ihre Seite und betrachtete dann ihre Hand. Offenbar schmerzten sie immer noch. Kein Wunder, immerhin war der Mann nicht gerade zimperlich mit ihr umgegangen.

Alexei hielt ein Seufzen zurück. Er könnte ihr jetzt etwas zurufen. Er könnte sie problemlos ansprechen und sie um Hilfe bitten. Doch was sollte er sagen? Was, wenn sie doch so war wie Ana oder ihr Bruder?

Uriahs Worte hallten in seinem Kopf wieder und für einen Augenblick war er entschlossen, doch dann hielten ihn die Zweifel zurück und er drückte sich noch fester an die kalte Tür hinter ihm.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt