[33] A little mercy

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Selten hatte ich mich vor einem Konzert derart gefürchtet wie heute. Es war nicht die Angst, den Einsatz zu verpassen oder sich zu blamieren. Blamiert hatten wir uns schon oft genug.
Wie oft hatte Harry sich auf die Klappe gelegt oder hatten wir den Text vergessen und improvisiert. Es war normal geworden, dass es auf der Bühne chaotisch zu ging.

Heute jedoch befand sich das Chaos nicht nur auf der Bühne, sondern auch dahinter. Vor wenigen Stunden hatte ich erfahren, dass Hailee und ich keine Chance bekamen und jetzt sollte ich lachen und singen, als würde nichts von all dem vorgefallen sein?
Im Stillen verfluchte ich unseren Tourplan, doch wusste ich, dass ich die Fans nicht enttäuschen durfte.

„Niall!“, riss mich eine Stimme aus den Gedanken. Erschrocken sah ich auf. Bevor ich reagieren konnte, wurde ich auch schon von Louis vorwärts befördert.
Am liebsten hätte ich mich gewehrt und wäre erneut abgehauen, doch dieses eine Mal siegte meine Vernunft. Langsam ließ ich mich von Louis vorwärts schieben.
Der Schmerz in meiner Brust schnürte mir die Luft ab. Dieses Gefühl wurde nur noch schlimmer, als wir auf die Bühne traten und die vielen Rufe auf mich einprasselten, wie ein Platzregen.

„Lächeln“, rief ich mir immer wieder ins Gedächtnis, doch ob sich meine Mimik daran anpasste, konnte ich schlecht beurteilen. Ich hatte jegliche Wahrnehmung verloren.
„Bonjour Paris“, durchbrach Louis auf einmal meine Gedanken und rannte zu dem Bühnenrand.
„Seid ihr bereit?“, fragte nun auch Liam und kam zu Louis herüber gelaufen, um seinen Blick über die vielen Köpfe schweifen zu lassen.

Darauf folgte ohrenbetäubendes Geschrei. Einen Moment schloss ich die Augen und atmete tief durch.
Zu dem Stechen mischte sich nun ein Schwindelgefühl, welches mich endgültig in Panik versetzte.
Ich wollte nicht hier sein. Ich wollte in einem Bett liegen und mir die Bettdecke über den Kopf ziehen.
Ich wollte das Gespräch von vorhin immer wieder durch gehen, bis ich endlich gecheckt hatte, dass es vorbei war. Der letzte Hoffnungsschimmer war endgültig erloschen.

„Ganz ruhig, Nialler“, hörte ich plötzlich Harrys leise Stimme in meinem Ohr.
Ich schüttelte panisch den Kopf. „Ich kann das nicht“, stammelte ich leise und sah bemüht neutral zu unseren Zuschauern.

„Das schlimmste ist, dass das alles ihr nichts bedeutet hat. Wahrscheinlich ist sie nicht einmal mehr lange Single. Und kann sich gar nicht vorstellen, wie sehr es weh tut, wenn einen das weggenommen wird, was einem derart wichtig ist“
Tränen füllten meine Augen, während ich mich bemühte nicht die Fassung zu verlieren. Meine Kehle brannte unerträglich. Lange würde ich dem nicht mehr stand halten können.

Da erklangen die ersten Takte von dem Lied Second History, welches wir heute für den Anfang ausgewählt hatten.
Ich versuchte daran zu denken, wie es entstanden war.
Das Treffen bei Harry war ein richtiges Highlight gewesen. So lange hatten wir nicht zusammen geschrieben, gelacht und unsere Ideen geteilt. Doch Highlight hin oder her, meine Gedanken blieben ein wildes Durcheinander.

Ich lenkte meine Konzentration auf die Musik und die Fans, welche mit leuchtenden Augen zu uns aufsahen. Die Emotionen spiegelten sich in ihren Gesichtern wider.
Bevor Harry begann zu singen, klopfte er mir noch einmal brüderlich auf die Schulter und warf mir einen mitfühlenden und zugleich aufmunternden Blick zu. Er lief ein paar Schritte vor.
Ich gesellte mich währenddessen zu Louis und Liam, welche sich lachend im Flüsterton unterhielten. Als ich dazu stieß, warfen sie mir einen kurzen Blick zu. Schnell winkte ich ab, da ich ansonsten noch ganz die Selbstbeherrschung verlieren würde.

Ich achtete auf die einzelnen Gesichter, lenkte mich mit den Texten ab, welche ich im Stillen durchging und schaffte es, mich ein wenig zu beruhigen.
Doch als plötzlich das Lied Love you Goodbye ertönte, stockte ein Moment mein Atem.

Ich konnte mich noch gut erinnern, als Louis es für Eleanor geschrieben hatte. Als es ihm so schlecht ging und er mit niemanden reden wollte. Er hatte Tage lang geschwiegen und nicht ein Ton von sich gegeben.
Erst als ich Louis das erste Mal bei diesem Lied singen gehört hatte, wurde mir Bewusst, wie sehr er gelitten haben musste. Die Liebe war ein Verräter und würde es wohl immer bleiben.

„I know you're saying you don't wanna hurt me. Well, maybe you should show a little mercy“
Liam sang voller Gefühl und schloss einen Moment die Augen. Die Songzeilen drangen zu mir herüber und versetzten mir einen Stich.
Sie hatte gesagt, dass sie mich nicht verletzten wollte. Sie hatte sich entschuldigt, mehrfach.
Vielleicht sollte ich dieses Mal Derjenige sein, der ein bisschen Gnade zeigen sollte.

Meine Finger klammerten sich um das Mikrofon, während die Stimmen meiner Freunde jede Ecke der Halle erreichten. Schließlich hob ich langsam mein Mirko und begann meinen Teil zu singen. Meine Stimme klang lauter und selbstsicherer, als ich es erwartet hatte. „I know there's nothing I can do to change it. But is there something that can be negotiated?“

Im Stillen wiederholte ich diese Frage, obwohl ich mir ihre Antwort schon selbst erschließen konnte.
„Gleich ist es vorbei“, hauchte Louis in mein Ohr und legte mir seinen Arm um, während Harry und Liam vor uns standen und den Song ausklingen ließen.
Louis hatte Recht. Gleich würden wir ins Hotel fahren und konnten uns ausruhen. Auch morgen hatten wir den ganzen Tag frei und mussten keinen Verpflichtungen nachgehen.
Nur hinterfragte ich, ob dieses Konzert, welches als gute Ablenkung diente, nicht angenehmer war, als die Stille, die mich nach unseren Auftritt aufsuchen würde.

Comeback (One Direction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt