[63] Silence and sound

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Eine Weile blieb ich noch auf dem Hocker sitzen, griff nach einer der Gitarren und spielte leise vor mich hin.
Meine Aufregung fiel zumindest zum Teil von mir ab und ich beruhigte mich allmählich.
Die Musik war der beste Lebensretter, den der Mensch erfunden hatte. Sie half einen nicht nur Dinge auszudrücken, sondern auch zu verstehen. Ich wüsste wirklich nicht, wie ich ein Leben ohne Musik und Gitarren führen sollte. Sie gehörten dazu, wie Essen, Trinken und Schlaf.

Doch konnte ich mich nicht ewig in diesem Zimmer verstecken. Vielleicht war Hailee schon wach. Vielleicht war sie schon längst aus der Haustür gelaufen, da sie es bereute mich besucht zu haben.
Die Gedanken kreisten in meinen Kopf, während ich schweren Herzens die Gitarre zurück an den leeren Fleck an der Wand hängte und das Zimmer verließ.

Leise schlich ich zur Treppe und spähte über das Gelände ins Wohnzimmer. Doch meine Vorsicht war unbegründet. Hailee saß auf dem Sofa, den Kopf in den Händen gestützt.

„Morgen“, sagte ich mit rauer Stimme. Erschrocken zuckte sie zusammen. „Morgen“, nuschelte sie schließlich als Antwort und sah mir zu, wie ich die Stufen herunter kam.
Ohne ein Wort zu sagen ließ ich mich neben sie nieder und starrte auf den Boden. Hailee währenddessen kaute nervös auf ihrer Unterlippe.

„Hailee“, fing ich auf einmal an. Dummerweise wusste ich nicht, wie der Satz weiter gehen sollte, weshalb ich einen kurzen Moment schwieg. „Wollen wir vielleicht etwas unternehmen… So wie früher“

Unruhig zupfte ich an dem Kissen herum. Weshalb ich das fragte, wusste ich selbst nicht genau.
Vielleicht wollte ich sie daran hindern nach Hause zu fliegen. Vielleicht lag es aber auch an meinem Haus, welches mir enger und erdrückender vorkam als je zuvor.

Da Hailee noch immer keine Antwort gegeben hatte, hob ich den Kopf und sah sie von der Seite fragend an.
„Ich weiß nicht… Wie definierst du denn unternehmen?“, hakte sie endlich nach und erwiderte meinen Blick wieder selbstbewusster.

„Ich hätte da eine Idee“ Einen Moment tauchte ich in meine Gedanken ab. Gerade als ich meinen Blick ins Leere wieder Hailee widmete, fragte sie neugierig nach: „Und die lautet wie?“

„Lass dich überraschen“ In mir machte sich das warme Gefühl von Geborgenheit und Vertrautheit breit. Es schien so als wäre unser Verhältnis wie vor einem Jahr. Einfach, einzigartig und wertvoll.
So als wäre zwischen uns nie etwas vorgefallen. Ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Realität ihren Weg zu uns zurück fand. Doch würde ich die uns gegebene Zeit voll und ganz auskosten.

Die Jungs würden mich für verrückt erklären, ganz sicher. Doch nach einem kleinen Frühstück, welches ich schnell zubereitet hatte, fuhren wir zu einem Wald am Rande Londons.
Dort hatte ich des Öfteren schon Spaziergänge gemacht, um den Kopf freizubekommen.

Einmal war ich auch mit Louis und seinen Hunden, kurz nach seiner Trennung mit Eleanor, dort gewesen. Wir hatten durchgehend geschwiegen und doch hatte Louis sich für den Spaziergang bedankt.
In dieser Zeit hatte er kaum mit uns gesprochen, obwohl er unter der Einsamkeit schwer gelitten und sich über Gesellschaft meistens gefreut hatte.

Nun einige Jahre später stand ich neben Hailee vor der großen Waldfläche. Die Fahrt über hatte uns ebenfalls ein Schweigen umhüllt.
Doch im Gegensatz zu Louis' und meinem war es unangenehm gewesen und machte mich nervös.

Erst jetzt wo wir zu dem Baumreihen vor uns sahen, brach Hailee endlich die Stille: „Kann ich dem Herren denn trauen, der mich alleine in den Wald führt?“
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Du bist so ein Spinner!“, lachte ich und schüttelte gespielt fassungslos den Kopf.
Noch immer lachend setzten wir uns in Bewegung und ließen den Straßenlärm hinter uns.

Es war ein frischer Maimorgen, doch die Sonne lugte bereits zwischen den Baumkronen zu uns herunter. Der Wald sah so aus wie ich ihn das letzte Mal verlassen hatte.
Letztes Jahr im Dezember, als wir uns entschieden hatten das Comeback zu planen und ein Treffen vereinbarten, war ich so aufgelöst gewesen, dass ich erst einmal raus musste.

Es hatte sich alles verändert, aber der Wald war der gleiche.
Nur dass jetzt die Bäume neue Blätter bekommen hatten und keine weiße Schneedecke mehr zu sehen war.

Eine Weile liefen Hailee und ich still nebeneinander her. Tief in Gedanken versunken starrte ich auf den dreckigen Boden und setzte ein Fuß vor den anderen, während ich die Hände in den Taschen verborgen hatte.

Glücklicherweise waren die Wege völlig ausgestorben, sodass wir keine überraschenden Gäste bekamen.
Erst als wir eine Kreuzung erreichten, kam uns plötzlich eine kleine Familie entgegen.
Der Mann schob einen Kinderwagen, während die Frau einen kleinen Jungen an der Hand führte, der uns neugierig ansah. Kurz trafen sich unsere Blicke, doch er wich meinen schüchtern aus.

Auch seine Mutter hob nun den Kopf und starrte uns einen Augenblick an. Ich kannte diesen Blick.
Es war der Blick, den man drauf hatte, wenn man eine Person sah, diese kannte, aber nicht zuordnen konnte. Scheinbar wurde die Frau aus meinem Gesicht noch immer nicht schlau und wandte sich schnell von uns ab. Ihr Sohn währenddessen sah uns aus seinen großen blauen Augen nach.

„Süß“, murmelte Hailee, als sie außer Hörweite waren. Ich nickte zustimmend und lief weiter. Abermals suchte uns ein Schweigen auf.
Eine Weile hielt ich diesem Stand, dann machte ich plötzlich den Mund auf: „Ich war in Irland oft mit meinem Opa im Wald. Er war Jäger und liebte es durch Gebirge zu ziehen. Wir sind immer um vier aufgestanden, um in der Morgendämmerung die Rehe zu beobachten. Aber meistens war ich so aufgeregt, dass ich die ganze Nacht wachgelegen und auf die Uhr geguckt habe“

Die Worte verließen meinen Mund und wirbelten Erinnerungen auf, die ich in den Tiefen meines Hinterkopfes bereits vergessen hatte.
Da Hailee scheinbar aufmerksam zuhörte und nichts erwiderte, sprach ich weiter: „Er hat mir auch versucht das Fährtenlesern beizubringen“

Einen Augenblick sah ich prüfend auf den Boden und blieb schließlich stehen.
Langsam kniete ich mich hin und fuhr mit den Fingern über die Erde. „Sieh mal, das sieht nach einem Wildschwein aus“

Überraschenderweise ließ sich Hailee tatsächlich neben mir nieder und begutachtete den Weg. „Bist du dir sicher? Meinst du es gibt hier echt Wildschweine?“
Hailees Stimme ging ein paar Oktaven nach oben. Sie war so unglaublich niedlich, wenn sie das tat.

Bevor ich noch ein zweites Mal über meinen spontanen Einfall, wie ich Hailee reinlegen konnte, nachdenken konnte, zeigte ich ruckartig in eine willkürliche Richtung und flüsterte: „Nicht bewegen! Da steht eins“

Panisch krallte sich Hailee in meinen Oberarm und verfolgte mit ihrem Blick meinen Finger. „Wo?“
Ich verkniff mir das Lachen und versuchte in meiner Rolle zu bleiben. Doch Hailee kannte mich so gut, dass sie mich sofort durchschaute.
„Hey Niall! Ich dachte echt, dass uns gleich ein Wildschwein angreift. Das ist nicht lustig!“

„Ein bisschen schon“, schmunzelte ich und imitierte kurze Zeit später ihren Schmollmund. „Na komm, du Schisser“
Ich zog sie auf die Beine und nickte den Weg herunter. Noch immer gespielt beleidigt folgte sie mir.

Die Stimmung zwischen uns lockerte sich immer mehr und schon bald waren die Pausen nicht mehr ein unangenehmes Schweigen, sondern ein stiller Anlauf für das nächste Gesprächsthema.
Ich vergaß alle Komplikationen, die uns in letzter Zeit das Leben schwer gemacht hatten. Ich hatte das Gefühl endlich wieder richtig durchatmen zu können. Am liebsten wollte ich für immer hier bleiben. Nur der Wald, Hailee und ich.

Comeback (One Direction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt